Das leise Zwitschern der Vögel hatte etwas unglaublich Beruhigendes an sich. Das Rascheln des Windes in den Bäumen und die kühle Nachtluft untermalten die perfekte Idylle einer Herbstnacht. Eine Wolldecke hatte ich locker um meinen Körper gelegt und lag so auf einer Liege neben dem Pool. Zum Schwimmen war es mittlerweile natürlich zu kalt, doch ich hatte in den letzten Tagen Gefallen daran gefunden, einfach irgendwo zu sitzen, den Geräuschen zu lauschen und vielleicht etwas dabei zu lesen. So auch jetzt, doch das Buch legte ich nach dem Einlegen eines Lesezeichens auf den kleinen Tisch neben mir ab.
Es war Sonntag, mein Urlaub war offiziell vorbei und der ehemalige Alltag würde wieder mein Leben prägen. Dinge wie Lesen oder etwas in der Art würden wieder zu einer Seltenheit werden. Luc würde mich hoffentlich erstmal in Ruhe lassen, solange die anderen sich um mich herum aufhielten. Vielleicht hatte ich jetzt endlich die Möglichkeit, mein Leben wieder so weiter zu leben, wie zuvor. Auch mein alltäglicher Begleiter, das Weinglas, stand wieder neben mir. Ich hatte mich jedoch nur auf dieses eine beschränkt. Sonst fehlten mir die Sinne, um das Buch richtig lesen zu können.
„Raphael?" fragte ich einfach in diese angenehme Stille hinein. Ich blickte lediglich auf das Wasser des Pools vor mir, welches durch den Wind angetrieben leichte Wellen schlug. Wie ich auf die Idee kam nach Raphael zu rufen, wusste ich auch nicht. Womöglich wollte ich sichergehen, dass er wirklich jederzeit in meiner Nähe war, so wie es Chamuel vorhergesagt hatte. Auch in solch unspektakulären Momenten wie jetzt. Während ich weiter auf das Wasser starrte und beobachtete, wie die Wellen über das Wasser zogen, um letztendlich am Beckenrand zu verschwinden, bemerkte ich im Augenwinkel eine Bewegung.
„Du hast gerufen, Prinzessin?" Ich drehte den Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam und entdeckte so Raphael, der auf der Liege neben mir lag und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte. Das leichte Grinsen dass er auf den Lippen trug, brachte mich zum Schmunzeln. „Hast du wirklich die ganze Zeit hier gelegen oder dich jetzt nur ganz schnell hier her teleportiert?" fragte ich nach, woraufhin der blonde Mann zu lachen begann. „Denkst du wirklich, ich lasse dich in unserer jetzigen Situation alleine? Natürlich liege ich die ganze Zeit hier. Ist doch mein Job." Sein Blick richtete sich auf den Himmel über uns und er schien über etwas nachzudenken.
Auch ich wandte meinen Blick mit einem langsamen Kopfschütteln von ihm ab. Warum genau hatte ich ihn nochmal gerufen? „So siehst du das also. Als einen Job. Sollte so ein Schutzengel nicht eigentlich mit Herz und Seele an dessen Schützling hängen oder habe ich da etwas missverstanden?" fragte ich mit einem leichten Schmunzeln nach. Ob er mich einfach nur als Job sah, den man ersetzen konnte, war mir eigentlich herzlichst egal. Ich hätte Chamuel trotzdem lieber als meinen Schutzengel gehabt.
„Weißt du Elodie, es ist schon so etwas wie ein Job. Nur eben ein angenehmer Job, wenn man ihn damit vergleicht, was ich als Erzengel noch so zu tun habe. Auch Engel haben es eben nicht leicht." Meinte er und drehte seinen Kopf dann wieder in meine Richtung. „Das klingt jetzt vielleicht bescheuert aber ich froh darüber, dass du nicht mehr so viel trinkst." Er deutete auf das Weinglas auf dem Tisch. „Davon mal abgesehen." Ich blickte zu ihm und runzelte leicht die Stirn. „Wie du siehst, bekomme ich mein Leben ganz gut selbst auf die Reihe. Außerdem .. hättest du mir das Zeug auch einfach wegnehmen können."
Raphael lachte leise auf als er meine letzten Worte hörte. „So leicht ist das nicht. Ich dachte, diese ganzen Geistergeschichten haben euch ein bisschen was beigebracht. Wenn du mich nicht sehen kannst, kann ich normalerweise auch nichts anfassen. Als Fremder plötzlich in deinem Haus aufzutauchen, wäre aber auch keine gute Idee gewesen." „Oh, wie rücksichtsvoll von dir." Brummte ich leise und musterte ihn dann einen Moment. Wieder trug er ein weißes Shirt, kombiniert mit einer weißen Hose. Wenigstens gab es unter ihnen keinen Neid wegen irgendwelchen Klamotten oder Kleidungsstilen.
„Wenn du mein Schutzengel bist .. bist du doch bestimmt schon seit meiner Geburt da, oder nicht?" fragte ich in die entstandene Stille hinein und merkte direkt, wie Raphael aufmerksamer wurde. „Naja, theoretisch schon. Wie gesagt, als Erzengel hat man auch eine Menge zu tun, da habe ich diesen Job hier wohl das ein oder andere Mal etwas vernachlässigt." In meinem Kopf begannen sich die Rädchen zu drehen. „Und du bist nur jetzt ständig hier, weil Lucifer es auf mich abgesehen hat?" Ich konnte ihn schon nicht mehr bei seinem Spitznamen nennen. Das klang einfach zu normal.
„Also was das angeht .." Er kratzte sich anscheinend verlegen am Kopf und blickte dann nachdenklich auf das Wasser vor sich. „In den wichtigsten Augenblicken war ich da. Zum Beispiel als du fast von einem Auto angefahren wurdest, weil du mit dem Fahrrad nicht bremsen konntest. Da hast du erst angefangen fahren zu lernen." Er lachte leicht auf. Ich musste damals noch sehr klein gewesen sein, da ich mich kaum noch an diesen Moment erinnerte. Ein paar gewisse Erinnerungen waren aber noch da. „Und im Flugzeug, als .." Begann er wieder und unterbrach ihn damit. „Du warst das .." Vor meinem inneren Auge spielten sich Erinnerungen ab, die ich lange versucht hatte zu verdrängen. Über Jahre hinweg, war mir das sogar gelungen.
Ich merkte, wie sich meine Stimmung von der einen zur anderen Sekunde wandelte und Tränen in meine Augen stiegen. Meine Sicht begann etwas zu verschwimmen. Raphael schien das bemerkt zu haben, weshalb das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand und zu einem eher besorgt wirkenden Gesichtsausdruck wechselte. „Sie meinten damals, dass mein .. mein Schutzengel gute Arbeit geleistet haben müsste, oder so etwas. Wie konnte ich das vergessen? .." Mittlerweile hatte Raphael wohl verstanden, wovon ich sprach, da er sich langsam aufsetzte, sich in meine Richtung drehte und nach meinen Händen griff. Sofort durchflutete mich eine Wärme, die sich im Gegensatz zur kühlen Nachtluft ziemlich seltsam anfühlte.
Die erste Träne verließ meinen Augenwinkel und ich spürte, wie sie mir über die Wange lief. Ich hasste es zu weinen. Besonders, wenn jemand anderes mich dabei sehen konnte. Dass Raphael diese Mauer um mich herum einfach zum Einstürzen bringen konnte, hätte ich nie für möglich gehalten. „Ja .. Ja, das war ich. Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich ihnen nicht helfen konnte." Ich entriss ihm meine Hände und blickte ihm mit auflodernder Wut entgegen. Plötzlich umgab mich wieder die kühle Herbstnacht. „Was war mit ihren Schutzengeln? Wo waren sie? Wenn du ihnen nicht helfen konntest, warum haben sie es nicht getan?" „Hör auf zu weinen Elodie, bitte. Das tut mir genauso weh wie mir." Murmelte er leise, sammelte seine Stimme dann aber wieder. „Nicht jeder hat einen Schutzengel, oder manche sind einfach nicht gut darin, einer zu sein."
Eine weitere Träne verließ meinen Augenwinkel und ich schüttelte den Kopf. „Nein! Sie hätten einen haben müssen. Sie.. sie waren doch .." Ich brach ab, als ich von Schluchzern ergriffen wurde. Schon lange hatte ich dieses Gefühl nicht mehr gespürt. Dieses Gefühl von Leere. Von Hass. Von Verzweiflung. Tief in mir drin. Raphael handelte sofort, indem er sich neben mich setzte und mich in eine Umarmung zog. Eine Handlung, die ich niemals von ihm erwartet hätte. Obwohl er ein Engel war, verhielt er sich einfach zu .. kühl.
Wieder umgab mich diese angenehme Wärme, doch diesmal wusste ich genau, dass sie von Raphael ausging. Wie auch immer er das anstellte aber es beruhigte mich ein wenig. „Wir sind nicht allmächtig .. niemand hätte das verhindern können." Ich schüttelte bei diesen Worten den Kopf. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass er es nicht hätte verhindern können. „Du bist ein scheiß Schutzengel!" fauchte ich leise, doch trotz dieser Aussage, ließ ich die Umarmung weiter zu.
„Ja .. ja, vielleicht bin ich das." Hörte ich ihn leise murmeln. Es war kein Unfall gewesen. Es war die Absicht der Piloten gewesen und dennoch musste ich als eine der wenigen, lebend aus dieser Sache herauskommen. „Ich war .. ganz allein. Wenn du doch ständig bei mir warst, warum hast du dich damals noch nicht gezeigt?" fragte ich ihn und er schien wohl einen Moment darüber nachzudenken, während mein Körper von weiteren kleinen Schluchzern erschüttert wurde. „Du warst noch zu klein. Du hättest es nicht verstanden."
„Dannwäre es mir aber bestimmt nicht schwer gefallen, dich wieder zu vergessen! Ichhätte mit ihnen sterben sollen."
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Des Teufels Königin
RomanceDer erste Teil der Reihe „In den Fängen des Teufels". - Elodie lebt das Leben, was sich wohl jedes Mädchen wünscht. Sie reist als weltbekanntes Model in unzählige Orte der Welt, besitzt eine große Villa und das Auto ihrer Träume. Doch gequält von sc...