Das gewisse Etwas

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P.o.V. Lucifer

Es waren grausame Monate, die an mir vorbeizogen, wie Wasser in einem Fluss. Unaufhörlich, stetig. Und dennoch so langsam, als würde es nur darauf warten, mich in die Tiefe zu reißen und nie wieder preiszugeben. Monate, in denen ich genau den Aufgaben nachging, zu denen ich berufen war und um zur gleichen Zeit auch, selbst für einen kurzen Moment, meinen Gedanken Einhalt zu gebieten. Die ersten Wochen waren grauenhaft gewesen. Mit jedem Tag wurde diese Stille um mich herum bedrückender. Doch nach diesen Monaten hatte ich mich schon fast daran gewöhnt.

Daran gewöhnt, dass kaum etwas zu hören war, wenn nicht gerade eines dieser Wesen oder mein Bruder durch diese Gänge lief. Das Leben des Teufels hatte ich mir wohl ein wenig anders vorgestellt, als es nun wirklich war. Ein wenig spektakulärer. Erfüllender. Denn ich hatte seit Monaten das Gefühl, als würde irgendetwas fehlen. Etwas, was eigentlich da sein müsste, es aus irgendeinem Grund aber nicht war. Irgendetwas, was dem Leben des gefürchteten Teufels, das gewisse 'Etwas' verlieh.

„Du sitzt ja immer noch hier." Hörte ich die Stimme von Zane, nachdem er sich bereits mit einem Seufzen erkenntlich gemacht hatte. Ich hob nur ein wenig den Kopf, als er näher kam und schließlich vor mir stehen blieb. „Hölle an Lucifer, du benimmst dich wirklich seltsam." Erklärte er mir und ich warf ihm daraufhin nur einen bösen Blick zu. Zane legte allerdings nur den Kopf ein wenig schief. „Ich habe vorhin mit Levia gesprochen, es geht ihr gut. Sie ist wirklich froh darüber, dass sie auch weiterhin in deinem Haus wohnen darf."

Ich gab ein kurzes Schnauben von mir. „Das ist nicht mein Haus, Zane. Es gehört der Familie." „Die Familie, die jetzt nur noch aus uns drei besteht." Ergänzte mein großer Bruder und meine Augen flackerten einmal kurz bedrohlich auf. Er nahm es mir also immer noch übel, obwohl es schon einige Monate zurücklag. Als Teil der Teufelsfamilie, sollte er so etwas doch eigentlich gewohnt sein. Tod war hier etwas vollkommen Alltägliches. Ich wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als Zane mich bereits unterbrach, bevor ich die Worte von mir geben konnte.

„Nein, du kannst sie nicht besuchen, Lucifer." In Zane's Stimme schwang ein ernster Unterton mit. „Warum nicht? Sie hatte in all den Monaten Zeit genug, um mir aus dem Weg zu gehen." Beschwerte ich mich natürlich direkt und setzte mich ein wenig aufrechter hin. „Es geht ihr nicht nur um ein paar Monate, Luc. Sie möchte dich nie wieder sehen und daran solltest du dich auch wirklich halten." Ich schüttelte entrüstet den Kopf. „Ich muss sie sehen, nur für einen kurzen Augenblick. Sie ist ein Teil unserer Familie, Zane. Ist das nicht verständlich?"

Zane rollte allerdings mit den Augen. „Levia, ja. Elodie ist kein Teil dieser Welt mehr, seitdem sie wieder Zuhause ist. Lass sie endlich in Ruhe, sie hat ihren Seelenfrieden gefunden und du bringst das alles nur wieder durcheinander." „Bist du dir da wirklich sicher?" Gab ich mit einem abschätzigen Lachen von mir und erhob mich von meinem Thron. Fast automatisch wich Zane ein Stück zurück. „Sie ist alleine Zuhause, dieser Typ mit Heiligenschein wird auch nicht ewig bei ihr sein und du weißt, wie das enden kann." Fauchte ich ihm entgegen und verzog bei dem Gedanken daran etwas das Gesicht.

Ich hatte damit leben können, dass Elodie Zuhause war. Dass sie mich nicht mehr sehen wollte, war verständlich. Das stellte auch kein Problem dar. Doch was würde passieren, wenn sie wieder ihrer regelmäßigen Arbeit nachging und Raphael nicht mehr ständig bei ihr sein konnte, um ihr den Tag zu erleichtern? Sie war nun ein anderer Mensch und seltsamerweise machte ich mir sogar ein wenig Sorgen, dass Elodie wieder zu genau dem Menschen wurde, der sie früher war. Innerlich verletzt, unnahbar und schädigend für sich selbst.

„Sitzt du wirklich seit Monaten hier und denkst nur über diese eine Sache nach?" fragte Zane mich schließlich, fast schon mit einem Hauch von Verwunderung in seinem Blick. Wieder ein böses Funkeln in meinen Augen, welches ich ihm zuwarf, ehe ich einfach an ihm vorbeilief. „Sie bedeutet dir anscheinend doch mehr, als du zugibst, Lucifer." Ich war nur wenige Meter gelaufen, da brachten mich diese Worte bereits wieder zum stoppen. Nur ein kurzes Zögern meinerseits, bevor ich murmelnd ein „Vermutlich." von mir gab.

Es trat eine seltsame Stille ein, in der ich mich jedoch nicht wieder in Bewegung setzte. Vielleicht war ja genau das, das Problem. Sie war mir zu wichtig und schwirrte deshalb noch nach Monaten ständig in meinem Kopf herum. „Okay, du darfst sie besuchen. Für ein paar Minuten. Du wirst aber nicht mit ihr sprechen und sehen wird sie dich auch nicht, verstanden?" Ich drehte mich langsam in die Richtung meines Bruders und konnte ein amüsiertes Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen. Es war wirklich interessant, wie er die Macht hatte, mich den neuen Teufel, auf eine grausame Weise hier festzuhalten. Ich konnte nämlich nur gehen, wenn er hier blieb. Die Hölle sollte man nie alleine lassen. Zumindest nicht zu lange.

„Verstanden." Bestätigte ich, gefolgt von einem kurzen Nicken. Daraufhin ließ sich Zane erstmal auf meinem Platz nieder und ich verzog erneut das Gesicht. „Worauf wartest du denn noch? Levia wird dich im Auge behalten, damit du nichts Dummes machst." Nur ein kurzes Schnauben von mir, gefolgt von einem Lachen von Zane, dann wurde bereits alles dunkel um mich herum und ich verließ, das erste Mal seit Monaten in dieser grauenhaften Stille, wieder diesen Ort, der sich mein Zuhause nannte.

Als ich nur einen winzigen Augenblick später wie Augen öffnete, befand ich mich vor dem Haus, welches mir nur schemenhaft in Erinnerung geblieben war. Das erste Mal, dass ich Elodie hier besucht hatte, war schon ein ganzes Jahr her. Wie verrückt das doch war. Doch irgendetwas war anders. Abgesehen von der Tatsache, dass nicht das Auto von Elodie hier stand. Zumindest nicht das, welches ich von ihr kannte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Elodie jemals einen Jeep gefahren war. Kurz darauf hörte ich ein kindliches Quietschen, welches ganz sicher nicht von einer erwachsenen Person stammen konnte und ich lief langsam um dieses Haus herum, welches mir mit jedem Meter immer unbekannter vorkam. Als wäre ich das erste Mal an diesem Ort. Ich umrundete das Haus, bis schließlich der Garten in mein Blickfeld trat.

Passend zu den kindlichen Geräuschen entdeckte ich schließlich zwei Kinder, ein Mädchen und ein etwas älter wirkender Junge, scheinbar um die 5-8 Jahre alt, die durch den Garten rannten und Seifenblasen durch die Luft wirbeln ließen. Dies zu sehen irritierte mich. Wer zur Hölle war das? Dass ich in die Zukunft gereist war und deshalb diese Kinder sah, war völlig absurd. Das hier waren nicht Elodies Kinder. Das wäre zeitlich gesehen überhaupt nicht möglich. Ihr Auto war das vermutlich auch nicht. Es gab also nur eine andere Erklärung für dieses Bild, welches sich mir bot. Sie war umgezogen. Vermutlich schon vor einer ganzen Weile.

Warum hatte Zane mir das nicht erzählt? Selbst wenn er es nicht gewusst hätte, Levia hatte das ganz bestimmt mitbekommen. Raphael war immerhin ständig bei Elodie und da hätte zumindest Azrael irgendetwas mitbekommen müssen. Ich schüttelte nur langsam den Kopf und trat zurück vor das Haus. Wenn sie nicht mehr hier wohnte, wo war sie dann? Hatte sie das vielleicht sogar mit Absicht getan? Eine absurde Vorstellung. Elodie war in diesem Haus aufgewachsen, sie würde das Alles nicht einfach so zurücklassen.

Ich besaß nicht die Fähigkeit, zu wissen, wo sie war. Nicht so stark, wie es bei Raphael gewesen war. Ich konnte nicht genau sehen, wo sie sich befand. Keine direkten Straßen-/ oder Ortsnamen, keine klaren Bilder wo ich den Ort detailliert sehen konnte. Nur kleine Bruchstücke von Dingen, die Elodie in genau dieser Sekunde selbst sehen konnte. Ich sah die Welt sozusagen durch ihre Augen. Allerdings war das etwas vollkommen Neues für mich und mir war bereits jetzt bewusst, dass es gar nicht so leicht werden würde, sie zu finden.

Denndas was ich sehen konnte, waren abgesehen von dem Rand eines Buches, dessenWörter ich nur verschwommen erkennen konnte, das tiefe Blau eines großes Sees,vielleicht auch das Meer. Doch wirklich genaue Angaben zu ihrem jetzigenStandort, gab mir das nicht. Frustriert versuchte ich die Orte durchzugehen,von denen ich wusste, dass Elodie sie kannte. Doch selbst daraus wurde ichnicht schlau. So gut wie keiner dieser Orte hatte auch nur annähernd Wasser inder Nähe oder auch nur in irgendeiner Weise damit zu tun. Ich würde die Suchenach ihr allerdings nicht aufgeben, selbst wenn es Jahrzehnte dauern sollte.

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt