Fellbündel

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Es dauerte eine ganze Weile, bis mein Kopf diese Information richtig verarbeitet hatte. Der Brief, der scheinbar den Grundstein für meine Veränderung gelegt hatte, war nicht von Raphael? Lucifer hatte ihn geschrieben? „Wie konntest du nur.." hauchte ich leise und blickte einfach nur fassungslos zu ihm. Der Brief hatte auf Raphaels Stuhl gelegen. „Ich dachte es würde dir helfen.. und wie du siehst.." setzte er an und wandte sich dabei zu mir, doch dann stoppte er allerdings mit seiner Aussage, als er meinen Blick bemerkte.

Wenn dieser Brief nicht von Raphael war, konnte ich mir nur noch weniger erklären, warum er plötzlich verschwand. Das Chaos in meinem Kopf nahm nun noch größere Ausmaße an, weshalb ich die Tasse auf dem Tisch vor mir abstellte und mein Gesicht in den Händen vergrub. Was zur Hölle war hier eigentlich los? „Es geht ihm gut, Elodie. Zumindest gehe ich davon aus. Mehr kann ich dir allerdings nicht sagen." Nur langsam schüttelte ich den Kopf. Das durfte doch alles nicht wahr sein! „Warum nicht?" murmelte ich, in einer Lautstärke, die er gerade noch so verstehen konnte.

„Du würdest versuchen wollen, ihn umzustimmen." Was auch immer Raphael für eine Entscheidung getroffen hatte, dass er mich dadurch hier alleine ließ, hatte Lucifer sogar Recht. Ob ich nun wusste wo er war, oder nicht. Ich würde versuchen wollen, ihn zum Bleiben zu überreden. „Sie hatten nicht vor, dich.." fing Lucifer wieder an, doch mit jedem weiteren Wort welches er von sich gab, störte mich seine Anwesenheit immer mehr. Ich brauchte nur ein paar Minuten für mich. Sonst würde ich nie wieder einen klaren Gedanken fassen können, bei all dem Chaos in meinem Kopf.

„Verschwinde Lucifer.. bitte." Meine Stimme war genauso leise wie zuvor, doch sie brachte Luc immerhin zum Schweigen. Ich hob den Kopf etwas an und blickte nun nicht mehr mit diesem eisigen Blick zu ihm. Ich war erschöpft. Müde. Ich brauchte einfach eine Pause. Lucifer blieb allerdings skeptisch, das sah ich mehr als deutlich in seinem Blick. Warum verhielt er sich so? Wenn die Engel weg waren, hatte er doch freie Bahn um seine teuflischen Pläne umzusetzen. Was also hatte er vor?

„Trink deinen Tee und schlaf etwas." Murmelte der schwarzhaarige junge Mann vor mir daraufhin nur und löste sich kurz darauf einfach in Luft auf. Als wäre er nie hier gewesen. Natürlich nutzte er die Möglichkeit, überall verschwinden und auftauchen zu können wie er wollte, hier auf der Erde aus. Ob er einfach nur unsichtbar war, oder das Haus wirklich verlassen hatte, war mir in diesem Moment gleichgültig. Ich musste mir seine Nerv-tötende Stimme nicht mehr anhören und das war erstmal alles was ich wollte.

Ich warf der Tasse auf dem Tisch einen erst skeptischen Blick zu, überwand mich dann aber doch und griff danach, ehe ich einen kleinen Schluck draus trank. Das erste Getränk seit Wochen, bei dem es sich nicht um langweiliges Wasser handelte. Es war eine mehr als willkommene Abwechslung. Mein kleiner Moment der Ruhe wurde jedoch zäh unterbrochen, als ich ein Klimpern an der Haustür wahrnahm. Sofort richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die noch geschlossene Tür, auf der mit gegenüber liegenden Seite des Hauses. Von meinem jetzigen Standort hatte ich diese gut im Blick. Ich fragte mich aber dennoch, wer oder besser gesagt was, dort draußen war.

Die Haustür öffnete sich quälend langsam und ich erhob mich automatisch von meinem Platz. Die Teetasse hielt ich fest umschlungen in meinen Händen, wie einen rettenden Anker, der mich nicht ganz den Verstand verlieren ließ. Aus meinen Erlebnissen der letzten Wochen wusste ich, dass es nie ein gutes Zeichen war, wenn jemand unangemeldet vorbeikam. Aus diesem Grund wagte ich es kaum zu atmen, während sich die Tür weitere öffnete und nur einen kurzen Augenblick später ein relativ großes Bündel aus Fell durch den Spalt schlüpfte und ins Haus rannte. Dicht gefolgt von einer mir nur all zu bekannten Person.

Das Bündel aus Fell war eindeutig Tiago, der sich mit einem regelrechten Sprint in meine Richtung bewegte. Als würde eine riesige Last von mir fallen, überkam mich die Erleichterung darüber, dass es sich hierbei nicht um irgendwelche seltsamen Wesen mit schwarzen Augen und gruseligem Aussehen handelte. Sofort stellte ich die Tasse auf dem Tisch ab und kniete mich auf den Boden, kurz bevor Tiago mich erreichte und mich wortwörtlich zu Boden riss. Hätte das Sofa nicht direkt hinter mir gestanden, hätte der Boden wohl meinen Hinterkopf kennengelernt.

„Was machst du denn hier?" Der Husky sprang so wild auf mir herum, dass ich kaum die Möglichkeit hatte, ihn richtig anzusehen. Wie lange war ich weg gewesen? Ich hatte das Gefühl, als sei er um einige Zentimeter größer als zuvor. „Ms? Sie sind schon zurück?" Durchbrach eine so freundlich klingende Stimme das wilde Durcheinander vor mir und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Amanda, die in dem Übergang zwischen Eingangsbereich und Wohnzimmer stand. Doch sie wirkte überraschter darüber mich hier zu sehen, als ich es war.

Nach weiteren Augenblicken, die Tiago nicht von mir ablassen wollte, schaffte ich es dann doch endlich, ihn von mir wegzuschieben und wieder aufzustehen. Ich wusste jedoch nicht recht, was ich sagen sollte. Wie sollte ich ihr erklären, wo ich gewesen und was passiert war? Ich fand keine Worte dafür, um zu erklären was diese Wochen von mir abverlangt hatten. Ich fühlte noch immer diese grundlegende Leere in meinem Inneren, doch da war noch etwas anderes, was sich nun an die Oberfläche zu kämpfen versuchte.

„Ich dachte, sie würden erst in ungefähr zwei Wochen zurückkommen." Versuchte Amanda ihre Verwunderung über meine Anwesenheit zu erklären und ich konnte nur zu deutlich die Irritation in ihrem Blick ablesen. „Kurzfristige Planänderung?" gab ich nur leise von mir, obwohl ich nicht mal wusste, wo ich in diesem Moment eigentlich hätte sein sollen. Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, Amanda von meinem Verschwinden zu berichten oder ihr eine Ausrede aufzutischen. Es gab also nur ein paar gewisse andere Personen, die das geregelt haben konnten.

„Gab es Probleme?" fragte sie nach und hängte sowohl Tiagos Leine, als auch ihre Jacke auf einen der Wandhaken im Eingangsbereich. „Nein, ich wollte nur.. nicht zu lange wegbleiben." Gab ich nach grober Überlegung als Antwort von mir. Was hätte ich denn auch sagen sollen? Dass ein Sohn des Teufels sich nach meiner Entführung seltsam verhielt und sich kurzfristig dazu entschlossen hatte, mich wieder nach Hause zu bringen? Nicht mal ein Verrückter würde mir diese Geschichte glauben.

Ich trat etwas näher zu ihr und beobachtete sie einen kurzen Moment. So lange hatte ich sie nicht gesehen und auch sie wirkte noch genauso wie vor dieser quälend langen Zeit. Nichts hatte sich verändert. Weder das Haus, noch Tiago, noch Amanda. Das neue aber auch seltsam bekannte Gefühl in meinem Inneren wanderte immer weiter nach oben, bis ich schließlich nicht anders konnte, als den Tränen freien Lauf zu lassen. Ich hatte mir umsonst Gedanken darüber gemacht. Es war alles genauso wie vorher.

„Aber Elodie, was ist denn los?" Sichtlich besorgt über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch, trat Amanda näher und zog mich schließlich in eine Umarmung. Ich hatte ganz vergessen, wie schön es sein konnte, eine Person in meinem Leben zu haben, die kein kryptisches Wesen aus irgendwelchen Legenden war. Ein völlig normaler Mensch in einer völlig normalen Welt. Nirgendwo gab es mehr einen Hinweis darauf, dass ich noch vor kurzem wortwörtlich durch die Hölle gegangen war.

„Ich habe dich so vermisst." Murmelte ich in ihre Schulter hinein und ich spürte, wie Amanda begann mir sanft über den Rücken zu streichen. „Du warst doch nur ein paar Wochen weg.. das bist du doch gewohnt." Es war amüsant, wie falsch sie mit dieser Aussage lag. Für sie waren es nur ein paar Wochen gewesen. Doch für mich, was es eine halbe Ewigkeit. Umso glücklicher war ich darüber, endlich wieder hier zu sein. Nicht einmal Lucifer konnte diesen kurzen aber schönen Moment zerstören.

Hierauf der Erde fühlte sich alles so viel leichter an. So viel freier. Ich warZuhause und hatte die Dinge um mich, die ich so lange gebraucht hatte. NurRaphael fehlte, doch das tat jetzt nichts zur Sache. Die Last die zuvor aufmeinen Schultern gelegen und mich in die tiefsten Winkel meinesUnterbewusstseins gezogen hatte, verschwand wortwörtlich im Nichts. Sie ließnur eine Ruhe zurück, über die ich im Augenblick mehr als dankbar war. Ichhatte eine grauenhafte Zeit in meinem Leben überstanden. Doch in meinem Innerenwusste ich, dass Lucifer derjenige war, der mir das ermöglicht hatte. 

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt