Nichts dergleichen

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P.o.V. Lucifer

„Du willst sicher nichts essen?" fragte sie mich, mit einem so aufgeschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht, den ich an dem heutigen Tag zum ersten Mal an ihr sah. „Ist die Frage ernst gemeint?" stellte ich als Gegenfrage, während wir uns an einen der so einfach gestrickten Tische setzten, die sich in diesem Lokal befanden. Menschlicher könnte es hier gar nicht sein. Außer uns befanden sich nur drei weitere Personen in diesem Raum, abgesehen von den zuständigen Bediensteten. Untermalt wurde diese Ruhe von einer leisen Hintergrundmusik. Ich wusste nicht recht, ob ich diesen Ort mögen oder ihn auf den Tod verabscheuen sollte.

„Natürlich ist das ernst gemeint. Du kannst es ja wenigstens probieren, wenn du schon einmal hier auf der Erde bist." Ich verzog nur leicht das Gesicht. Für Elodie etwas zu essen zu machen, war kein Problem. Diesen überbewerteten Fraß aber selbst essen? Nicht mit mir. „Nein, das.. passt schon. Du hast es nötiger als ich." Diese Worte, die ich nur halb überlegt aussprach, veranlassten Elodie dazu, den Blick von der Speisekarte abzuwenden und stattdessen mich anzusehen. Es war nur ein Blick von ihr, der bereits genügte um mir klarzumachen, dass ich damit schon fast ein wenig zu weit ging. Mir war schon früh genug klar gewesen, dass sie aktiv vermied, über dieses Thema zu sprechen.

„Tut mir leid." Murmelte ich daher nur leise und versuchte mich wieder auf die Atmosphäre dieses kleinen Restaurants, irgendwo am Rande einer Seitengasse, zu konzentrieren. Ich war der Sohn meines Vaters. Ein Sohn des Teufels. Dass Elodie mich solch einem einfachen Blick in die Knie zwang, wollte und konnte ich mir nicht eingestehen. Und dennoch war es so. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass dies zwischen meinen Eltern jemals der Fall gewesen war. War es nicht verständlich, dass mich das verunsicherte?

„Wann hast du damit angefangen? Mit dem Modeln, meine ich." Ich brauchte ein Thema um mich selbst von meinen Gedanken lösen zu können. Erst blickte sie mich etwas verwirrt an, bis ihr wohl wieder einfiel, dass ich nicht die Person war, die sie ihr Leben lang begleitet hatte. Von ihrer Vergangenheit wusste ich nichts, obwohl es genau das war, was ich über sie wissen musste, um sie verstehen zu können. Sie war für mich noch immer ein Rätsel. Vielleicht fand ich sie aus diesem Grund so interessant.

„Schon als ich klein war. Kennst du diese Schönheitswettbewerbe, die hier gelegentlich stattfinden?" sie blickte mich abwartend an, doch ich konnte nur unwissend den Kopf schütteln. Ich kannte die Menschen, ja. Doch was sie täglich hier auf Erden veranstalteten? Da war ich überfragt. Bevor Levia auf die Erde kam, hatte ich nie einen Fuß in diese Welt gesetzt. Ich fand es nicht wichtig, etwas darüber zu erfahren. „Meine Mutter hatte mich dort angemeldet, sie war der Meinung, dass ich das gewinnen könnte oder so. Ich weiß auch nicht, was sie da geritten hat." Sie zuckte mit den Schultern und ließ ihren Blick wieder über die Speisekarte wandern.

„Und du hast gewonnen?" fragte ich nach, da sich mir aus ihrer Aussage keine deutliche Antwort auf meine Frage erschloss. Sie sah jedoch gar nicht erst von der Karte auf, während sie darauf antwortete. „Nein.. nein, habe ich nicht." Darauf folgte erstmal Schweigen, bis Elodie die Karte letztendlich zur Seite legte und mich irritiert anblickte. „Warum willst du das wissen?" Es war eine Frage, auf die ich nur ungerne eine Antwort gab, da ich wusste, dass es ein Thema betraf, welches sie umgehen wollte. „Du meintest einmal, dass ich gar nicht weiß, wer du bist. Das möchte ich ändern." Es folgte ein skeptischer Blick ihrerseits, dem ich nur mit Mühe standhielt, dann widmete sie sich allerdings der Bedienung zu, die in dem Moment an unseren Tisch trat.

Nach der kurzen Herausgabe ihrer Bestellung, blickte Elodie aber wieder zu mir. Ich hatte erst geglaubt, mit dieser Antwort davon gekommen zu sein, doch da hatte ich mich getäuscht. „Du bist nicht der Erste, der mich das fragt. Oder fragen will." Ein leichtes Lächeln trat auf ihre Lippen, doch es wirkte nicht ehrlich. Anfangs war mir das nicht aufgefallen. Doch mit jedem Tag den ich sie länger kannte, wurde es mir klarer. Ich konnte mir nur nicht erklären, weshalb sie sich das antat. „Warum tust du das, Elodie?" Es musste einen Grund dafür geben. „Ich weiß nicht was du meinst." Antwortete sie mir nur, gestellt unwissend. Denn ich wusste ganz genau, dass auch sie wusste wovon ich sprach.

„Ich kann nicht in deine Gedanken blicken oder sehen was du fühlst. Raphael konnte das aber ich kann es nicht." Ich sah, wie ihr Blick sich etwas veränderte. Der Versuch, ein weiteres Thema zu umgehen, welches sie lieber vermied, war fehlgeschlagen. „Wenn ich dir helfen soll, dann muss ich wissen, was mit dir los ist." „Ich brauche deine Hilfe nicht!" zischte sie mir augenblicklich entgegen. Wohl darauf bedacht, dass sich noch andere Menschen um uns herum befanden, die sicherlich verwirrt wären, wenn sie unser Gespräch an diesem Tisch mitbekommen würden.

„Achja?" Ich lachte leise auf. Was hatte ich auch erwartet, natürlich sagte sie so etwas. „Du wärst gar nicht mehr hier, wenn ich dich nicht davon abgehalten hätte, von dieser Brücke zu bringen." Elodie wandte ihren Blick augenblicklich von mir ab und sah stattdessen nach draußen. „Und wer hat mich überhaupt erst auf diese Idee gebracht? Du warst das, Lucif.. Luc." Korrigierte sie sich und blickte dann wieder zu mir. „Elodie, das ist nicht.." Sie schüttelte allerdings nur den Kopf. „Wärst du nicht in mein Leben getreten, wäre alles genau wie immer. Keine seltsamen Wesen aus Orten, die eher Legenden gleichen und mir mit jedem Tag mehr den Kopf verdrehen."

„Ich komme mit dir, aber nicht weil ich das für richtig halte, was du tust. Auch nicht, weil dein Vater das von mir verlangt. Ich tue das, weil ich hoffe, damit endlich alles beenden zu können. Sobald ich wieder zurück auf der Erde bin, möchte ich dich nie wieder sehen." Diese Worte ließen mich einen Moment schweigen. Nur wenige Stunden zuvor, hatte sie sich bei dieser Sache etwas anders ausgedrückt. Sie hatte ihr Leben als langweilig bezeichnet. Nein.. 'unspektakulär' war ihre Wortwahl gewesen. Sie wollte nicht mehr, dass es so sein würde wie früher. Warum also sagte sie nun so etwas? „Ich dachte, du würdest nicht wollen, dass alles wieder so ist wie damals." Sagte ich ein wenig verwirrt über diese kleine Veränderung ihrer Sicht auf diese Dinge.

„Das ist richtig." Sie nickte bestätigend und wollte zu weiteren Worten ansetzen, als sich die Bedienung wieder näherte und Elodie direkt verstummte. Nur einen kurzen Moment später befand sich ein Salatteller vor ihr auf dem Tisch und die Bedienung verschwand wieder. „Das ist doch nicht dein Ernst.." murmelte ich nur, als ich feststellte, was sie sich bestellt hatte. Selbst für mich, als jemanden der nie etwas aß, sah das nicht nach einer anständigen Mahlzeit aus. „Das hier ist nicht deine Entscheidung, Luc." Ihr Blick war auf mich gerichtet. Ihre nun von blau als auch grau getränkten Augen fraßen sich regelrecht in die Dunkelheit der Meinen. „Vorhin gab es einen Moment in dem wir lachen konnten.. und das ist okay." Sie senkte den Blick und begann schließlich ihren Salat zu essen. Ich konnte froh sein, dass sie überhaupt etwas aß.

„Wir sind aber keine Freunde. Nichts dergleichen. Ich kann nicht ändern was geschehen ist, genauso wenig wie du das kannst." Sie schwieg einen Moment, in dem sie einen erneuten Bissen nahm. Ich bemühte mich wirklich, ihr nicht dazwischen zu reden. Wenn sie sprach, wollte ich ihr zuhören. Nur so konnte ich sie verstehen. „Ich werde meine Aufgabe erledigen, komme zurück zur Erde und dann lebe ich mein Leben ganz normal weiter. So normal, wie man das eben nennen kann." Sie richtete ihren Blick wieder auf mich und diesmal blitzte dieses Grau in ihren deutlich hervor. „Du hast dann keinen Grund mehr, mir im Weg zu stehen. Ich habe meine Aufgabe erledigt."

Ich konnte nicht deuten, was ihre Augen damit ausdrücken wollten. Ich konnte lediglich das verstehen, was ich sah. Doch das was sie sagte, war korrekt. Wenn man die groben Tatsachen betrachtete. Sobald Elodie mit mir den Thron übernahm, war es ihr freigestellt, was sie tat. Sie konnte zurück zur Erde und musste auch nicht zurück kommen. Sie trug nur den Titel als eine der Herrscherinnen über die Hölle, mit sich herum. Die Hölle selbst bekam ich auch allein in den Griff. Sie hatte allerdings einen Punkt angesprochen, der mir schon seit einer Weile im Kopf herumschwirrte. Sie würde nicht zurückkommen. Nie wieder. Das hatte sie deutlich klar gemacht. Doch irgendetwas in meinem Inneren war mit dieser Version der Zukunft absolut nicht einverstanden.

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt