Eine Sekunde dieser Ewigkeit

682 39 1
                                    

Diesmal dürft ihr euch das Video/Lied ansehen, BEVOR ihr dieses Kapitel lest. ;)

_____________________________

Den Anfang der Strecke lief ich noch schneller als ich es für gewöhnlich tat. Doch ich wollte so schnell es ging, aus Lucifers möglichem Sichtfeld verschwinden. Erst als ich den Wald erreichte und dieser mich mit seinen dunklen Nadelbäumen umgab, verlangsamte ich meine Schritte und hatte sogar die Möglichkeit mich etwas zu entspannen. Mein Blick war zwar noch immer wie in Trance auf den Weg vor mir gerichtet, doch in meinem Inneren kehrte langsam wieder etwas Ruhe ein. Selbst wenn dies in meinem Kopf alles andere der Fall war. Denn anders als anfangs angenommen, trug diese Stille um mich herum nur noch mehr dazu bei, dass ich zu denken anfing. Über all das was geschehen war und was vermutlich noch geschehen würde, falls wir Lucifers Plan wirklich in die Tat umsetzen würden.

So lief ich Meter um Meter, Kilometer um Kilometer, bis meine Lunge wortwörtlich zu zerreißen drohte und ich in eine Umgebung kam, die ich noch nicht einmal in meinem Leben betreten hatte. Zumindest dachte ich das. Weiter als bis zum Ende des Waldes war ich nie gelaufen. Dieser war schließlich groß genug, um für Stunden darin laufen zu können. Doch ich wollte noch nicht aufhören. Ich wollte nur, dass diese Stimmen in meinem Kopf endlich aufhörten, auf mich einzureden und sich Szenarien vorzustellen, die das Ende von jedem von uns zeigten. Also lief ich weiter.

Noch bevor ich den Wald verlassen hatte, war es bereits so dunkel geworden, dass ich kaum den Weg unter meinen Füßen, geschweige denn einige Meter vor mir erkannte. Doch auch die Tatsache, dass ich nun blindlinks irgendwo im Dunkeln herumrannte, ohne überhaupt genau zu wissen wohin ich trat und was mein Ziel war, ließ mich nicht zögern, sondern trug mich nur noch weiter Meter um Meter vorwärts. In weiter Entfernung konnte ich bereits den Rand der nächstgelegenen Stadt erkennen, so hell leuchteten die Lichter dort und mein Blick fokussierte sich darauf, als würde mein Leben davon abhängen. Ich war so in Trance, dass ich nichts anderes mehr wahrnahm, als den halbwegs vom Schnee bepuderten Boden unter meinen Füßen, die Dunkelheit um mich herum und das helle Leuchten welches in einiger Entfernung die Nacht erleuchtete.

„Elodie!" Im nächsten Augenblick wurde ich ruckartig zurückgezogen und konnte nur noch einen starken Windzug direkt vor mir wahrnehmen, gefolgt von dem Raunen eines Motors und dem unüberhörbar lauten Rauschen von Rädern auf der Straße. Der LKW fuhr in nur wenigen Zentimetern Abstand vor mir entlang und mein Herz schien einen Augenblick still zu stehen. „Was tust du denn?" Ich war jedoch zu geschockt von diesem Moment, dass ich erstmal gar nichts sagte, sondern nur an die Stelle starrte, wo eben noch der LKW vorbeigerauscht war und sich nun wieder absolute Dunkelheit befand. Erst dann realisierte ich, wo ich mich eigentlich befand. Diese Landstraße wurde kaum befahren und war aus diesem Grund auch an keiner Stelle ansatzweise beleuchtet.

„Ist alles okay?" hörte ich wieder diese Stimme, doch ich brauchte einen weiteren Moment um zu verstehen, dass die Person die das sagte, mich auch vor diesem LKW zurückgezogen hatte und nun ihre Arme um mich gelegt hatte, um zu verhindern dass ich in mir zusammenfiel. Als hätte Lucifer es geahnt, fühlten sich meine Beine in diesem Moment an, als würden sie jeden Augenblick einfach unter mir zusammenklappen. Ich hatte noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, richtig zu Atem zu kommen. „Was.." sprach ich nur leise aus und mir stiegen Tränen in die Augen. Wäre nur Lucifer nur eine Sekunde später aufgetaucht, wäre ich direkt vor diesen LKW gelaufen, ohne es überhaupt zu merken.

„Elodie, sieh mich an." Hörte ich ihn sagen und ich traute mich kaum, mich zu ihm umzudrehen. Mein ganzer Körper begann zu zittern, während ich mich langsam zu ihm umdrehte. Seine Arme nahm er jedoch nicht von mir und ich war ihm im Augenblick sogar dankbar dafür. Ich befürchtete stark, mich nicht selbst halten zu können, wenn er dies nicht übernahm. Mein Blick richtete sich auf die zwei rot glühenden Punkte vor mir. Ich hätte mich auch täuschen können, doch es war wirklich Lucifer, der hier vor mir stand. „Ist alles in Ordnung?" fragte er mich erneut und erst einen kurzen Moment später schüttelte ich langsam den Kopf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er das sehen konnte. „Wie.. Wie hast du.." meine Stimme wirkte kratzig, als hätte ich von einen auf den anderen Moment die Fähigkeit zu sprechen verloren.

„Lauf nie wieder vor mir weg, Elodie. Tu mir das nicht an." Hörte ich ihn murmelnd sagen, doch mein Blick war weiterhin auf dieses rote Glühen vor mir gerichtet. Es fesselte mich, genau wie es die vielen Lichter der Stadt noch vor wenigen Sekunden getan hatten. „Soll ich dich nach Hause bringen?" fragte er nun und seine Stimme klang kaum merklich etwas besorgt, obwohl ich sein Gesicht in dieser Dunkelheit kaum erkennen konnte, um dies bestätigen zu können. „Ich.. ich weiß nicht.." stammelte ich nur leise, noch immer verschreckt von dem Augenblick, der bildlich an mir vorbeigezogen war. Es hätte mein Ende sein können. Ich hatte mich bereits mit zerschmetterten Knochen und zerfetzten Gliedern auf dieser Straße liegen sehen, als dieses Rauschen an mir vorbeizog.

„Dir ist nichts passiert, Elodie." Es war wohl ein Versuch mich beruhigen zu wollen, doch es ließ die Realität nur noch mehr über mir zusammenbrechen. Die Tränen die mir bereits in den Augen lagen, fanden nun ihren Weg hinaus und ein Schluchzen erschütterte mich. Nur ein winziger Augenblick und es wäre alles vorbei gewesen. Doch anders als noch vor einigen Wochen, hatte ich dies nicht gewollt. Ich hatte es nicht gewollt und dennoch hatte mein Unterbewusstsein diesen Weg eingeschlagen, obwohl ich genau wusste, dass sich diese Straße hier befand. Was war nur mit mir passiert, dass ich noch immer zu solchen Taten bereit war? Nicht einmal nach dem Tod meiner Eltern, hatte sich mein Unterbewusstsein so verändert.

Ich bemerkte es erst, als eine angenehme Wärme mich umgab, nachdem Lucifer mich in eine Umarmung gezogen hatte. Etwas was er noch nie getan hatte, nicht seitdem ich ihn kannte. Ich wollte auch nicht darüber nachdenken, warum er es gerade jetzt tat, doch ich fand es in Ordnung. Meine ganze Trauer über Raphael und all die Menschen, die ich in meinem Leben verloren hatte, trat in diesem Moment hervor und ich konnte nichts dagegen tun, als mich diesem Gefühl hinzugeben. Lucifer stand einfach nur da und hielt mich fest. Mehr verlangte ich in diesem Moment auch nicht. Er tat genau das, was auch Raphael in diesem Augenblick getan hätte und es machte mich traurig und glücklich zugleich. Fasst vergaß ich sogar, dass es gar nicht Raphael war, der sich hier vor mir befand.

Wie lange wir dort standen, wusste ich nicht. Es mussten nur wenige Minute vergangen sein, seit ich meinem Ende wortwörtlich entgegen getreten war. Es fühlte sich dennoch wie eine halbe Ewigkeit an, in der wir einfach nur hier standen und ich meinen Tränen freien Lauf ließ. Minuten, die mir nach all dem Rennen nun endlich einen Moment der Ruhe schenkten. Das Brennen in meinen Lungen verschwand langsam und auch meine Tränen versiegten immer mehr, bis ich nur noch dort in dieser Umarmung stand, meinen Kopf an Lucifers Brust angelehnt hatte und in die Dunkelheit neben uns blickte. Niemals hätte ich erwartet, dass Lucifer selbst über die Macht verfügte, mir diese Ruhe zu geben, nach der ich so lange suchte. Obwohl ich ihn zur gleichen Zeit auch dafür verabscheute.

„Ich bring dich nach Hause, Elodie." Murmelte er schließlich und zog seine Arme langsam von mir zurück. Langsam genug um prüfen zu können, ob ich auch sicher auf den Beinen stand. Mein Blick richtete sich langsam wieder zu ihm hoch und ich sah, wie ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen lag. Als wüsste er genau, was ich in diesem Moment dachte. „Wenn du das nächste Mal vor einen LKW rennen willst, bring bitte vorher jemanden um. Sonst sehe ich dich nie wieder." Dieser absurde Satz schaffte es sogar, ein leichtes Lachen in mir hervor zu bringen. So absurd diese Situation auch war. „Danke Lucifer." Murmelte ich nur mit einem leichten Lächeln, ehe ich mich von ihm abwandte, um den Weg zurück zu gehen, den ich auch hierher gelaufen war. Doch Lucifer tat es mir nicht nach. „Willst du wirklich laufen?"

Ich blieb mitten in meiner Bewegung stehen und blickte auf den Wald, der sich nun direkt vor mir in einiger Entfernung befand. Zugegebenermaßen wirkte er nun um Einiges gruseliger und angsteinflößender als zu dem Zeitpunkt, als ich hierher gelaufen war. Zögernd drehte ich mich zu Lucifer um, wodurch er meinen verunsicherten Blick direkt erkannte. Trotz dieser Dunkelheit um uns herum. „Also.. wenn du schon so fragst.." Wäre es taghell gewesen, hätte ich es bevorzugt, diese Strecke zu laufen, doch jetzt.. schien mir das nicht gerade eine gute Idee zu sein. „Dachte ich es mir doch." Meinte Lucifer noch immer mit diesem Schmunzeln auf den Lippen und streckte mir daraufhin die Hand hin.

„Und du bringst michwirklich nach Hause." Erwähnte ich noch einmal, da ich seine letzten Worte nochdeutlich genug in meine Erinnerungen hören konnte. Er nickte bestätigend,woraufhin ich mit einem deutlichen Zögern seine Hand ergriff. Wir war nichtganz wohl dabei, doch nach der seltsamen Situation von gerade eben, gab eseigentlich nichts, was im Augenblick noch normal wirken konnte. Als dieseangenehme Wärme mich wieder umfing, vergaß ich meine Zweifel für einen kurzenWimpernschlag. Im nächsten Moment verschwand alles vor meinen Augen.

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt