Kapitel 16
Ducan
üblicherweise wagte es niemand, mich infrage zu stellen, mir den Gehorsam zu verweigern oder mir auch nur direkt in die Augen zu sehen. Dass dieses Mädchen es tat, war eine Unverfrorenheit ohne gleichen und ich weiß, dass ich ihr das Letzte, fast übergriffige Verhalten, nicht hätte durchgehen hätte lassen sollen. Aber ich hatte es getan.
Weil sie bedeutungslos war, genauso wie ihr tun und handeln bedeutungslos ist. Sie mag das vielleicht anders sehen, aber ich hatte schon vor Jahren begriffen, dass Leute ohne Macht, es nicht wert waren, auch nur getadelt zu werden. Sie mag eine Prinzessin sein, aber eine ohne politischen Einfluss und ohne Thron, Lilyanna würde mir nichts als Ärger machen und bereits jetzt spürte ich die Auswirkungen von ihrer bloßen Anwesenheit, wie ein Schneesturm, auf mich zu kommen. Ob ich ihr glaubte oder nicht war dabei irrelevant, in erster Linie war sie ein Hindernis das entweder ich, oder jemand anderes aus dem Weg räumen würde.
Leider schien dieses Mädchen in ihrem Denken so beschränkt, dass sie nicht merkte, welchen Gefallen ich ihr damit tat, wenn ich mich weigerte ihre Identität anzuerkennen. Sie mochte keine Macht haben, aber sie war ein Symbol. Für eine Allianz, die es nicht mehr gab, für ein Unrecht das bis heute ungesühnt geblieben ist. Alle, die sich einen Vorteil aus ihrem Leid gezogen haben, die ihre Zukunft, auf eine Tod geglaubte Thronerbin aufgebaut haben, würden sie jagen.
Ich zog mich in meine Gemächer zurück, nachdem der höchstrangige meiner Garde mir die ernüchterte Nachricht überbracht hatte, dass Cedric bei den ersten Durchsuchungen nicht gefunden werden konnte. Das hatte mich weder überrascht, noch hatte es mich besonders wütend gemacht. Falls Cedric wusste, was er da gerade besaß – und ich war mich sicher, dass er es wusste – würde er von alleine zu mir kommen. Das tat er immer, denn wenn er eines liebte, dann war es, mir Vorhaltungen zu machen. Und sich einfach in den Palast zu schleichen, um mir zu beweisen, wie wenig ich doch kontrollierte. Er war eine wahre Nervensäge. Abgesehen davon, hatte ich seinen Lieblingssohn und er würde alles dafür tun, um ihn zurückzubekommen.
Dass er für Lilyanna kommen würde bezweifelte ich. Wahrscheinlich hatte er sie bei sich behalten, um zu sehen, ob es ihm etwas brachte, eine Prinzessin zu verbergen, vielleicht war es auch Mitgefühl gewesen. Seine Treue hatte schon immer mehr den Sommerlanden gegolten als meinem Reich. Zumindest schien er nun zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sie auf der Straße nichts mehr zu suchen hatte und nebenbei hatte sie ihm dieses Diamanten gebracht, von dem er sich sicher wunderte, dass ich darum so ein Aufhebens machte. Das Lilyanna hier war, spielte ihm sicher in die Hände. Er tat nie irgendetwas ohne Hintergedanken und wie immer konnte ich recht wenig gegen ihn unternehmen. Das zuzugeben machte mich rasend, aber es war etwas mit dem ich mich schon lange vor meiner Thronbesteigung abgefunden hatte. Ich konnte jeden in diesem Reich meinen Willen aufzwingen. Jeden, bis auf ihn. Das war die Wahrheit, die ich hatte akzeptieren müssen. Ich und auch all die Könige vor mir.
Aber egal wie seine Pläne und Beweggründe auch Aussehen mögen: Er war damit zu weit gegangen. Mit allem. Lilyanna zu verstecken, den Diebstahl des Diamanten und natürlich auch die Tod geglaubte Prinzessin jetzt einfach vor meiner Schwelle abzusetzen, wie eine Puppe, die für ihn wertlos geworden war.
„Mein Vater ist unzufrieden darüber, dass du nach Cedric suchen lässt", begann Owellya als ich meine Gemächer betrat und auch das war wenig überraschend. Seit unserer Jugend, ließ sie es sich nicht nehmen, einfach unaufgefordert meine Nähe zu suchen, als hätte sie noch das Recht dazu. Vielleicht hatte ich sie nie geliebt, aber sie war einst eine Freundin gewesen, eine Verbündete und ich war jung und dumm genug gewesen, es nie infrage zu stellen, bis sie mir ihren Preis dafür nannte. Denn den gab es immer: Einen Preis. Jeder wollte etwas. Immer. Sie heuchelten, sie logen und sie betrogen, um zu bekommen, was sie wollten und fast jeder wollte von der Stellung profitieren, die ich innehatte.
Bis auf Lilyanna.
Das hatte mich überrascht. Zu beginn, als ich tatsächlich festgestellt hatte, dass sie war, wer sie behauptete zu sein, hielt ich es noch für einen Trick. Eine Taktik, einen Schachzug, aber spätestens bei ihrer Audienz wurde mir klar, dass sie es ernst meinte. Sie wollte nicht hier sein und wäre auch nie freiwillig zu mir gekommen. Selbst nicht, wenn sie ihre Identität hätte beweisen können. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich seit der ersten Berührung ahnte, dass sie die Wahrheit sagte. Die Briefe, ihr Aussehen, das Alter und dann ihren leichten Widerstand gegen Magie. Sie war Lilyanna. Sie war eine geborene Prinzessin und sie wollte ein normales Leben. Sie war nicht hier, weil sie etwas von mir wollte oder etwas erwartete. Sie war hier, weil sie hereingelegt worden war und wahrscheinlich keine Ahnung hatte, von wem sie da großgezogen worden war. Und sie wollte zurück, in ihr Leben aus Dreck und Armut.
Wenn sie diesen Wunsch tatsächlich hegte, konnte sie es haben! Aber dazu musste sie eine Lügnerin bleiben. Sobald jemand ihre Behauptungen auch nur ernst nahm und es weiter erzählte, würde sie tot sein. Sie ahnte nicht einmal, dass es jede Menge mächtiger Männer und Frauen gab, die in ihrem Überleben ein richtiges Problem sahen, und die hatten nichts mit ihrem Onkel zu tun. Viele hatten ihre Machtbasis in der Leere aufgebaut, das sie nach ihrem angeblichen Tod hinterlassen hatte. Ganz besonders Owellya.
„Das geht weder dich, noch deinen Vater etwas an", fuhr ich meine Verlobte an, ohne ihr auch nur einen Blick zu schenken. Würde ich es tun, wäre sie wieder so anhänglich wie zu Beginn und sie sollte auf keinen Fall der Vorstellung erliegen, dass ich sie jemals als meine Frau betrachten würde. Vielleicht würde ich sie heiraten müssen, aber mehr würde es zwischen uns nicht geben. Nicht wegen verletzter Gefühle, dafür hätte ich solch tiefgreifende Dinge überhaupt spüren können, sondern weil es absolut irrational war, ihr zu vertrauen. Ich war seit meiner frühsten Kindheit nur zu oberflächlichen Empfindungen Fähigkeit. Leichte Wut, ein Mindestmaß an Mitgefühl vielleicht noch und andere eher kleinere Dinge, wie Abscheu gegenüber Owellya. Aber Liebe auf keinen Fall.
„Ich habe noch nie von einem magischen Gegenstand gehört, der sich nicht innerhalb von einigen Jahren selbst aufgelöst hätte und ein einzelner Eisdiamant kann dir unmöglich so wichtig sein, dass du deswegen so einen Aufstand machst. Und der Rest?", sie ließ eine dramatische Pause und ich spürte ihre zierliche Hand an meinen Arm. „Es kann dir nicht ums Prinzip gehen, das tut es nie, dafür bist du zu ... kalt."
Als Warnung schickte ich etwas Magie an die Stelle wo sie mich berührte. Das tat ihr nicht weh, nach so vielen Jahren Magie- Immunisierung, verspürte selbst jemand wie sie nur ein Kribbeln, aber es sollte auch nur ein Zeichen sein. Und als dieses Zeichen kam, verschwand ihre Hand. Ich hasste es, wenn sie mich berührte – wenn mich irgendwer berührte. Was wohl Lilyanna gespürt hatte, als sie meinen Arm ergriff?
Ich hatte ihr nicht bewusst Magie geschickt, wie ich es jetzt bei Owellya getan hatte. Wie bereits in dem Moment ihrer Folter, hatte Lilyanna sie von selbst aus, regelrecht angezogen. Wahrscheinlich ein Nebeneffekt davon, dass sie in ihren ersten Lebensjahren, speziell mit meiner Magie immunisiert worden ist. Ihr Körper erkannte mich, nahm mich als Verbündeten wahr. Selbst jetzt noch, wo ich im Sturm meiner Wut, ihr damit Leid zugefügt hatte. So etwas war mir seit Jahren nicht mehr passiert und würde auch nicht mehr vorkommen. Leider schien es Lilyannas besondere Gabe zu sein, meine eiserne Selbstbeherrschung ins Wanken zu bringen. Das war gefährlich, wahrhaft niemand in diesem Land kann wollen, dass ich auch nur in Ansätzen meine Selbstkontrolle verlor. Den Schaden, den ich dabei Anrichten könnte, wäre kaum zu ermessen. Es hatte bereits beim ersten Mal unzählige Opfer gekostet, meine Mutter mit eingeschlossen. Das würde nicht noch einmal passieren. Es durfte nicht passieren und sollte auch nicht möglich sein. Aber sie machte es möglich. Ein Mädchen, dass meine Selbstbeherrschung ins Wanken brachte und das Wenige an Gefühlen, zu dem ich imstande war , anzuheizen vermochte, durfte ich nicht in meiner Nähe behalten. Lilyanna musste weg.
Beta: noch nicht
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...