Kapitel 97
Lilyanna
Ich fühlte mich wie ein Krüppel und nicht wie eine hochgeborene Prinzessin, als ich in einem rollenden Stuhl in einen Salon gebracht wurde, um diese Mädchen zu empfangen, die sehr viel früher als ich in die Winterlande gekommen waren, um alles für mich vorzubereiten.
Ich wusste nicht, was ich von dieser Tradition hielt, Kinder aus ihren Familien zu reißen und in fremde Länder zu schicken, damit sie dort jahrelang alleine blieben, bis der Grund ihrer eigentlichen Reise sich bequemte, sich selbst einmal dort zu befinden. Aber ich wusste, dass diese Tradition selten benutzt wurde.
Bei meiner Geburt und Verlobung wurde es aber als notwendig erachtet, weil der Vertrag zwischen den Reichen als fragil galt. Man durfte nicht vergessen, dass die Winter- und Sommerlande damals nicht gerade miteinander befreundet gewesen waren, schließlich hatte mein Vater einen Winterprinzessin verschmäht und damit das Königshaus beleidigt.
Erst später, als ich geboren wurde und damit als Wiedergutmachung mit Ducan verlobt gewesen war, wurde die Stimmung zwischen den Ländern wieder besser, sogar freundschaftlich.
Ich versuchte all diese politischen Feinheiten in meinen Kopf zu behalten, so wie Eugen es mir geraten hatte, während ich wie eine Invalidin in den Salon gebracht wurde und eine Dienerin mir sogar eine Decke brachte, da der Kamin noch nicht so lange brannte, wie es bräuchte, um den Raum zu beheizen.
Leider musste ich auf Ducans wärmende Aura bei diesem Treffen verzichten, denn mein Verlobter hatte sich endlich dazu entschlossen, mich alleine zu lassen und seinen Aufgaben als Monarch nachzugehen.
Am liebsten hätte ich dieses Treffen daraufhin abgesagt, denn ich hatte die meiste Zeit des Tages auf einem Pferd verbracht und langsam brach der Abend an. Die Erschöpfung verlangte von mir zu schlafen, doch genauso wie Ducan diese Sitzung wahrnehmen musste, würde auch ich langsam meinen Verpflichtungen nachgehen. Ich konnte mich nicht mehr davon drücken. Meine Zukunft lag an Duncans Seite und ob mir seine Pläne im Einzelnen gefielen oder nicht, ich würde ihn darin unterstützen müssen und dazu gehörte hohe Familienangehörige aus den Sommerlanden nicht zu vergraulen.
Eine weitere Motivation, hier zu sitzen, waren die gerösteten Nüsse, die mir Ducan hatte bringen lassen, damit ich auch vor dem Abendessen etwas in den Magen bekam und es war schön, nach all den Jahren wieder so etwas Kostbares essen zu können. Auch wenn mir anfangs mulmig dabei gewesen war. Man hatte schließlich schon einmal versucht, mich zu vergiften.
Eugen aber hatte während unserer Abwesenheit ein Sicherheitssystem entwickelt, das zukünftige Vergiftungen verhindern sollte. Die Küche des Königs und damit auch meiner wurde von dem Rest der Essensversorgung des Palastes getrennt und diese Leute, die nur dazu da waren, mich und Ducan zu bekochen, wurden streng überwacht.
Also wagte ich es mir auch eine Nuss nach der anderen zu verspeisen. Nüsse stammten aus den Herbstlanden und waren hier ein begehrtes Importgut, das nicht unbedingt einfach zu bekommen war.
Während ich die Schale also genoss und mich dabei immer daran erinnerte, wie ich sie mit meiner Mutter gemeinsam gegessen hatte, schnüffelte Fünkchen im Empfangssalon umher und beachtete die vier Wachen mit kritischen Augen.
"Hoheit", meinte dann ein Diener und verneigte sich tief, als er in den Raum trat und mir nun scheinbar meine Gesellschafterinnen vorstellen wollte.
"Lady Holly, Lady Charlotte und Lady Xenia für Euch!", meinte der Mann, verneigte sich und trat dann beiseite, um drei jungen Frauen Platz zu machen, von denen ich sofort wusste, dass ich meine Schwierigkeiten mit ihnen haben würde.
Sie alle hatten ihre hellen Haare zu festen Winterland typischen Frisuren gebunden und trugen keine einzige Farbe am Leib, während ich in einem dickeren, hellgelben Leinenkleid mit sanft grünen Stickereien hier saß und meine Haare offen über meinen Rücken flossen. Selbst die Decke auf meinem Schoß besaß mehr optische Freunde als diese Frauen. Sie mögen einmal aus den Sommerlanden hierhergekommen sein, aber sie wirkten nicht so, als würden sie dieses Erbe wirklich noch in sich tragen.
Sie alle knicksten vorbildlich vor mir, auch wenn mich eine, die größte und dünnste von ihnen, fast schon unhöflich intensiv musterte. Doch ich versuchte es ihnen nicht übelzunehmen.
Ich hätte tot sein sollen und jede von ihnen hatte wahrscheinlich bereits ihr Leben ohne mich geplant, nur um jetzt abermals alles umwerfen zu müssen. Da stand es ihnen zu, skeptisch zu sein.
"Meine Damen, bitte nehmt doch Platz", bot ich ihnen mit einer Geste höflich an und frage mich, ob das die korrekte Anrede für diese Frauen war. Meine edle Erziehung war Jahre her und unvollständig. Ich würde in Zukunft gezwungen sein, das alles nachzuholen.
Nach der gerümpften Nase der Kleinsten von ihnen, deren leichter Überbiss dafür sorgte, dass ihr Gesicht nicht so schön war, wie es hätte sein können, hatte ich tatsächlich einen Fehler gemacht. Toll.
Ihre Wimpern flattern wie ein Fächer einmal an mir hinauf und hinunter, bevor sie an einem in den Schoß gefalteten Händen liegen blieben, unter denen das Buch verweilte, das Eugen mir zum Zeitvertreib gegeben hatte.
Nur falls ich einer Unterhaltung mit diesen Ladys müde werden würde.
"Es ist uns eine Freunde, Hoheit. Wir haben für Euch gebetet, als wir von Eurem Verschwinden hörten und sind sehr glücklich, dass ihr wohlbehalten wieder da seid", meinte die Mittlere und ich beschloss, dass diese wohl die Einzige zu sein schien, die sich wirklich freute mich zu sehen. Sie wirkte ehrlich.
"Obwohl wir uns alle Fragen stellen, wo ihr gewesen seid", fügte die große unverfroren hinzu und mein Lächeln wurde bitter.
"Nun offensichtlich an einen Ort, wo niemand mich finden konnte, vor allem mein Onkel nicht. Ist Euch das Antwort genug, Lady..."
"Xenia, Hoheit. Natürlich war es das Beste für Euer Überleben, aber es wäre dennoch hilfreich gewesen zu wissen, dass ihr noch lebt. Für Eure Untertanen, die in Unsicherheit über Euer Schicksal kämpften und ihr Leben dafür gaben, dieses Scheusal wieder vom Thron zu stoßen", meinte sie und ich hörte das Zittern in ihrer Stimme. Die freundlichere von ihnen ermahnte Xenia, sich zurückzuhalten, aber ich sah die Wut und die Verzweiflung in Xenias ihren Augen.
Berechtigte Wut und Verzweiflung!
Ich hatte nicht gewusst, welches Gefühlschaos sich ergeben würde, wenn ich plötzlich wieder als lebendig galt und schon gar nicht hätte ich geglaubt, dass einige Gegner meines Onkels sich von mir betrogen fühlen könnten.
Das alles würde scheinbar sehr viel schwieriger werden als gedacht.
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Schöne Weihnachten euch und wenn ihr wissen wollt was nächstes Jahr so ansteht gibt es diese Infos wie immer auf Instagram ^^
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...