Kapitel 59
Lilyanna
Ich erwachte mitten in der Nacht. Ich wusste das, weil ich spürte, dass ich bei weiten nicht lange genug geschlafen hatte, um mich zu erholen. Es war schwer ohne ein Fenster und den Stand der Sonne zu sagen, wie spät es war, aber meine innere Uhr war gut in solchen Dingen. Zu gut.
Als ich mich in den etwas zu hartem Bett umdrehte, flackerten gerade die letzten Flammen im Kamin und machten es mir gerade so möglich zu sehen, dass Ducan immer noch vor dem Feuer saß wie eine Statue. Meditation, hatte er es genannt und ich fand den Anblick genauso befremdlich wie die Worte, mit denen er mir das erklärt hatte.
Er hielt seinen Kopf gesenkt und seine weißen, langen Haare verbargen sein Gesicht vollständig vor meinen neugierigen Blick, dennoch wusste ich, das er mein Erwachen bemerkt haben musste und wahrscheinlich auch wusste, dass ich ihn gerade anstarrte. Er war ein faszinierender Anblick, das konnte ich nicht leugnen. Seine steife und dennoch imposante Körperhaltung war einnehmend und die Art wie der Rest des Lichtes seine Erscheinung beleuchtete war faszinierend.
Ducan hatte gesagt, dass er mir das Bett allein überlassen würde, doch angesichts der Tatsache, dass er in wenigen Stunden eine Miene von den Kreaturen würde säubern müssen, die die meisten Menschen nur aus ihren Alpträumen kannten, fand ich es äußert waghalsig. Vor so einem Kampf sollte er vollständig ausgeruht und gestärkt sein und nicht die ganze Nacht vor einem verlöschenden Kamin sitzen und 'meditieren'. Egal wie gut das seiner Aussage nach war, es konnte doch den Schlaf nicht vollständig ersetzen. Es war waghalsig. Aber das war meiner Meinung nach alles an dieser Reise.
Er war der König und dennoch war er hier, und würde etwas in Alleingang tun, was andere sonst hohe Verluste bescherte. Als mächtigster Magier seiner Generation, mag das für ihn nicht mehr als mit dem Finger zu schnipsen, aber wenn irgendetwas schiefging, verlor dieses Land ihren König. Ein König der keinen Erben hinterließ. Das war Wahnsinn.
Kurz flammten alle Gruselgeschichten aus meiner Kindheit über die Schattenkreaturen in mir auf und dem Land aus dem sie stammten.
Ein verlorenes Königreich, das von der totalen Finsternis verschlungen worden war, an dem Tag als der Mond brach. Geschichten, die so fantastisch und unfassbar waren, dass sie als Märchen, Legenden und Alpträume bis heute überdauert hatten. Und diesen Geschöpfen wollte Ducan sich aussetzen, ohne die Nacht davor geschlafen zu haben.
„Du musst richtig schlafen", sagte ich und als sein Kopf sich langsam hob und er mich durch den Vorhang seiner Haare hinweg ansah, schienen seine Augen in Schein der Flammen regelrecht zu glühen. Er sagte nichts und ich hielt diesem Glühen stand, als ein leises Schnarchen meinen Blick tiefer gleiten ließ. Die Welpen hatten sich auf seinen Schoß zusammengerollt und schliefen dort selig, als würden sie sich in Ducans Nähe sicher fühlen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Mir ging es genauso, gegen jede Vernunft.
Kurz entschlossen erhob ich mich aus dem Bett, zuckte kurz zusammen als meine nackten Füße den eisigen Steinboden berührten und ging auf Ducan zu.
„Ich kann dir die Wölfe abnehmen und hier sitzen, wenn es dir sonst unangenehm ist. Dann kannst du zumindest noch ein wenig schlafen", meinte ich und sah auf ihn hinab.
Der schwache Schein des Feuers ließ seine Gesichtszüge noch rauer aussehen, aber es waren nicht die Flammen, die seine Augen zum Glühen brachten, es war pure, reine Magie und ich reagierte wie jeder Nicht-Magier, darauf reagierte würde: mit instinktiver Furcht.
„Du denkst ich hätte Probleme damit, das Bett mit dir zu teilen, Prinzessin?", fragte er und dann erhob er sich in einer so geschmeidigen aber plötzlichen Bewegung, dass ich zurückwicht, um seiner Statur Platz zu machen. Man konnte über ihn sagen war er wollte, von ihm halten, was man wollte, aber er war ein beeindruckender Mann, dessen pure Anwesenheit einen einschüchtern konnte.
Als er sich bewegte, fauchten die Welpen kurz auf, rannten dann unter das Bett und schienen sich dort einen neuen Ort suchen zu wollen um zu schlafen, einen der sich nicht frecherweise einfach erhob.
„Wir sind nicht verheiratete, ich dachte...unwichtig. Ich habe mich geirrt." unterbrach ich mich selbst und schalte mich kurz für meine eigene Dummheit. Es war so lächerlich gewesen ihn anzusprechen während er...tja, was auch immer tat. Oder mich auch nur um ihn zu sorgen. Er war der König der Winterlande, er musste selbst wissen, was er tat und welche Risiken er dafür einging.
Ich sah noch eine Weile zu ihm empor und das Gold in seinen Augen wollte einfach nicht aufhören zu glühen und die Härchen in meinen Nacken stellten sich auf, als er einen Schritt auf mich zu machte und ich wieder zurückwich.
Plötzlich wurde mir die Kälte um mich herum bewusst. Die Tatsache, dass ich nur dieses Schlafkleid trug und dass ich mich trotz der ganzen Streitereien, die wir miteinander führten, zu ihm hingezogen fühlte, machte nichts davon besser. Ich wollte Wärme und es schien fast so, als wüsste mein Körper ganz genau, dass er sie mir geben konnte. Es war absurd sich so zu fühlen. Ich hatte jahrelang versucht dieses Gefühl der Zugehörigkeit ihm gegenüber zu ignorieren, selbst als ich schon in seinen Palast gewesen war. Und jetzt? Jetzt sehnte ich mich nach ihm. Ausgerechnet nach dem Mann, der so wenig zu mir passte wie ich in die Rolle einer Königin.
Als Ducan seine Hand hob, wollte ich wieder zurückzucken, tat es aber aus einem mir unverständlichen Grund nicht. Dafür aber öffneten sich aber meine Lippen und gaben ein nicht beabsichtigtes Seufzen von sich, als seine Finger meinem Gesicht berührten. Ein Schauer glitt durch meinen ganzen Körper und ich konnte kaum fassten, dass ich für diesen Mann tatsächlich so etwas wie Erregung fühlte. Ich musste den Verstand verloren haben.
„Wie süß, dass du auf meine Ehre Rücksicht nimmst", begann er definitiv amüsiert und die Funken an seiner Hand sprangen auf meine Haut über, aber ich spürte keine Schmerzen dabei. Seine eher sanfte Berührung wurde fester als er eine Hand um meine Wange legte und mit einem Daumen über meine Lippen fuhr.
Das war eine solch intime Geste, dass ich erschrocken die Augen aufriss, aber es dennoch nicht wagte, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Auch nicht, als seine Magie kribbelnd meinen Mund einnahm.
„Du hältst es tatsächlich aus. Du zuckst nicht einmal", sprach er, als wäre er ehrlich verwundert und ich wusste nicht, was er damit meinte oder was ich darauf erwidern sollte. Ich fühlte seine Magie, ja, aber sie tat nicht weh, aber das lag doch nicht an mir, sondern an ihm. Er hatte unter Beweis gestellt, dass er mir Schmerzen zufügen konnte. Wenn er wollte, würde ich nicht mehr als ein Häufchen Asche zu seinen Füßen sein.
Deswegen runzelte ich auch lediglich die Stirn als ein weiterer Funken, diesmal etwas größer, sich in meine Haut bohrte. Diesmal war das Kribbeln heftiger, aber weit davon entfernt schmerzhaft zu sein, geradezu...angenehm.
Ich wollte ihn fragen, was er mit seiner Andeutung meinte, doch da senkte Ducan, der König der Winterlande, schon den Kopf. Sein langes Haar berührte mich an meinem Schlüsselbein und meinen Oberarm. Es hüllte mich ein, bevor seine Hand meinen Nacken umfasste und mich an sich zog.
Ich wusste, dass er mich küssen würde und wusste auch, dass ich ihm so einfach nicht nachgeben sollte, aber bei den Göttern, ich wollte das er mich küsste. Ich wollte es und ich bekam meinen Willen auch.
Der Moment, als seine Lippen über meine glitten, war der erregendste meines Lebens. Ich hatte nicht gewusste, dass sich Küsse so anfühlen konnten, dabei hatte er bis jetzt nichts getan, als seinen Mund mit meinen zu streifen. Sodass ich mich kurz fragen musste, ob das überhaupt als Kuss zählte. Aber es reichte aus, um mich in dieser Berührung zu verlieren. Ich schloss die Augen und kam ihm entgegen, während seine Hand sich in mein Haar grub, fest zupackte und dann meinen Mund eroberte, als wäre er ein weiteres Stück Land, dass er unbedingt erobern wollte.
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...