keine gute Gefangene

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Kapitel 12

Ich wurde von Wachen zurück in meine Gast-Gemächer geführt und mit kurzen, schnellen Worte energisch darauf hingewiesen, dass ich sie nicht zu verlassen hatte. Was mich zu einer Gefangenen machte. Ausgerechnet in dem Palast, der einmal mein Zuhause hatte sein sollen. Aber wenn ich mir den Mann in Erinnerung rief, den ich dafür hätte heiraten müssen, wurde mir schnell klar, dass ich lieber eine Gefangene war, als die Frau an seiner Seite. Auch wenn der Moment, in dem ich ihn berührte ... seltsam gewesen war. Die Formulierung passte nicht recht, unterstrich nicht mal ansatzweise die Intensität dieses Momentes und die damit verbundene Aufregung in meinem Inneren. Noch immer glaubte ich, mein Herz würde gleich aus der Brust springen, weil dieser kleine Hauch von Magie so ... gut gewesen war.

Doch ich schob dieses Gefühl beiseite, in dem ich mir in Erinnerung rief, was seine erste direkte Berührung in mir ausgelöst hatte: Schmerzen. So intensiv, dass ich es nicht mal mehr beschreiben konnte. Mein ganzer Körper hatte nichts als Schmerzen gespürt und noch immer glaubte ich eine gewisse Schwäche in meinen Gliedern zu spüren, die sich nur langsam wieder legte.

Unzufrieden mit dem Ausgang meiner Audienz begann ich damit, hecktisch den Raum abzugehen, ließ meine Finger über die alten Möbel gleiten, genoss es, wie sich die Bezüge der Polster und des Bettes anfühlten und blieb dann an dem hohen Fenster stehen, durch die kaum Tageslicht drängte, weil die Außenseiten der Gläser mit Frostkristallen besetzt waren. Die Decke hier war weniger Hoch als im Rest des Palastes und da in kurzen regelmäßigen Abständen eine Dienerin vorbeischaute und das Feuer im Kamin wieder nachlegte, war es in diesem Raum erstaunlich warm. Eine Bequemlichkeit, die mich dazu reizte mich zu setzen und es einfach nur zu genießen, aber ich wollte nicht.

Ich wollte weder Kain im Stich lassen, noch hatte ich vor, mich wie eine gute Gefangene zu benehmen und bei dem Verbot mein Zimmer zu verlassen, hatte ich mich bereits bei dessen Ausspruch kaum ein Schnauben verkneifen können. Mag sein, dass ich in den zwölf Jahren in Cedrics Obhut etwas wilder geworden war als zu Kindertagen, obwohl ich auch da nie ein besonders fügsames Kind gewesen war. Aber ich besaß den Stolz einer Prinzessin. Ich würde mich nicht einsperren lassen und wenn Ducan Kain nicht frei ließ, konnte ich ihn zumindest hinausschmuggeln. Bestimmt. Ich brauchte nur einen Plan.

Konsequenzen fürchtete ich dabei nicht. Was sollte mir schon passieren, jetzt wo zumindest meine adelige Herkunft bewiesen war? Körperlichen Schaden zufügen konnte er mir nicht, als politischer Flüchtling besaß ich zwar keinen Einfluss, aber er war dazu verpflichtet für meine körperliche Unversehrtheit zu sorgen, selbst wenn ich eine Straftat beging. Seine einzige Waffe wäre es, mich öffentlich bloßzustellen und mich in meine Gemächer einzusperren. Ersteres war mich gleichgültig, Letzteres tat er bereits. Also, was sollte er schon tun, mich als Verlobte ablehnen? Bei dem Gedanken musste ich lachen.

Ich hatte zwölf Jahre lang in Armut gelebt, die Verachtung Höhergestellter hatte ich täglich ausgehalten, da lernte man schnell, wie wenig die Anerkennung dieser Leute wert war. Kurz grinste ich als ich mir vorstellte, welches Entsetzen auf den Gesichtern der Winterhofradligen erscheinen würde, wenn sie erfuhren, dass ich zwischen Huren und Schlägern aufgewachsen war und ab und an mein Essen hatte stehlen müssen. Die Hälfte von ihnen würde glatt in Ohnmacht fallen, die andere Hälfte würde ihnen folgen, wenn ich ihnen verriet, dass ich dieses Leben, den an Ducans Seite vorzog. Ich lebte lieber in Armut als in Gefangenschaft, missbraucht als politisches Druckmittel und den Bewertungen von Leuten ausgesetzt, die von dem Ernst des Lebens nichts verstanden.

Selbst wenn Ducan recht hatte und Cedrik wusste, wer ich war, mich vielleicht den Diamanten stehlen ließ, gerade weil ich war, wer ich war. Cedrik hatte mich auch aufgenommen. Mir Dinge gezeigt und beigebracht, die eine Prinzessin nie gesehen oder gelernt hätte. Die mich aber dazu befähigten zu überleben. Ohne fremde Hilfe. Und er hatte mich auch beschützt und mir so viel soviel Luxus zugestanden wie er sich hatte leisten können. Er war kein guter Mann, aber auch kein schlechter. Wenn er es wusste, hatte er sich bemüht mich so zu behandeln wie jeden anderen. Er hatte mich behütet, ohne mich zu verhätscheln und mich zu der Frau gemacht, die ich jetzt war. Ich war ihm dankbar. Wenn sein Preis für all das dieser Diamant war, dann soll er ihn verdammt nochmal haben. Was sollte ich schon damit anfangen? Er war zwar wertvoll aber dennoch ein Erinnerungsstück, auf das ich verzichten konnte. Der Diamant hatte meine schulden bei Cedrik beglichen, damit hatte er seinen Zweck erfüllt.

Als Prinzessin hatte ich mich nie gefangen gefühlt oder bedrängt. Ich war ein Vogel gewesen, der nur den Käfig kannte. Einen schönen Käfig und dennoch waren die Gitter da gewesen. Ich erkannte sie erst jetzt. Die Gitter waren Pflicht und Anstand gewesen, eine endlose Abfolge von Regeln und Normen, die mir als Prinzessin auferlegt worden waren. Dafür hatte ich niemals hunger oder Kälte oder Armut erleben müssen. Aber wenn ich mich entscheiden durfte, lebte ich lieber in der richtigen Welt. Das hatte Cedrik mir gezeigt: Die Freiheit, die zwar seinen Preis hatte, aber von Selbstbestimmung geprägt war. Dafür würde ich ihn ewig dankbar sein.

„Oh, verzeiht, MyLady", holte mich eine dünne Stimme aus meinen Gedanken und als ich mich umdrehte, stand eine Dienerin hinter mir.

Sie war nicht durch die Tür gekommen, sondern durch den Dienstboteneingang, hinter einen der großen Wandteppiche. Sie knickste tief und obwohl mir die falsche Anrede auffiel, korrigierte ich sie nicht. Niemand würde mich mit „Hoheit" anreden, bevor ich nicht beweisen konnte, wer ich war und irgendwie war es auch egal, wie sie mich ansprach. Wichtig war, dass sie es tat. Bisher hatte noch kein Dienstbote oder Diener mit mir geredet. Wahrscheinlich auf Anweisung eines gewissen Herren König, damit sich keine Gerüchte im Palast verbreiteten, dass Prinzessin Lilyanna doch noch lebte. Das wäre für ihn sicherlich problematisch. Und ein Grund mehr weswegen ich quasi Narrenfreiheit besaß. Wenn er mich öffentlich demütigen wollte, müsste er davor zugeben, dass ich überhaupt hier war. Ein Mädchen aus den Sommerlanden, das behauptete Lilyanna zu sein. Perfekt.

Die dünne, mittelalte Frau stellte schnell ein Tablett mit kleinen Häppchen auf dem Tisch ab und sah dann angestrengt auf ihre Schuhspitzen, bevor sie sich wieder in den Dienstboten Eingang flüchten wollte. Dass sie mich angesprochen hatte, war sicher nur der in Fleisch und Blut übergegangenen, Ehrerbietung geschuldet und der Überraschung, dass ich im Raum war. Sie dachte mit Sicherheit, ich wäre noch bei meiner Audienz. Sie hatte mich sicherlich nicht ansprechen dürfen und bereute es nun.

Bevor sie den Eingang aber erreichen konnte, stellte ich mich ihr in den Weg und lächelte sie breit an, was sie sichtlich nervös machte. Ich konnte daran kaum etwas ändern, denn für meinen Plan, den ich gerade hatte, würde ihre Nervosität nutzen müssen.

Beta: noch nicht

Chroniken der Winterlande Band 1 & 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt