Kapitel 144
"Sie nicht, nein. Sie ist nicht wie du", meinte Cedrik und betrachtete das Schauspiel mit absoluter Gleichgültigkeit, die Ducans Mutter das Leben kostete. Immer und immer wieder. Für einen Moment wollte ich ihn danach fragen, warum er mir nicht half, warum er nur ab und zu auftauchte, um in Rätseln zu sprechen und dann wieder zu gehen. Doch angesichts dieses Leids war mir etwas anderes wichtiger.
"Es ist grausam, Duncans Mutter das ständig durchmachen zu lassen", meinte ich, denn ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als seinen eigenen Tod immer wieder neu durchleben zu müssen. Cedrik zuckte mit den Schultern.
"Sie ist kein Geist, nur eine Erinnerung. Eingebrannt in dieses Gemäuer, das dank Ducan von Magie durchtränkt ist. Sobald sich die Steine des Turms entladen haben, wird auch dieses Abbild verschwinden. Sie ist schon lange fort, Kind," erwiderte Cedrik und Erleichterung erfasste mich, auch wenn es mich beunruhigte, dass Ducan bei seinem Wutanfall vor so vielen Jahren, eine so gewaltige Menge an Magie freigegeben hatte, dass selbst normaler Stein ihn hatte aufnehmen können. Gegenstände mit Magie anzureichern war schwer, gerade, wenn es sich dabei nicht um Kristalle oder Edelsteine handelte.
Doch darum konnte ich mich nicht kümmern. Ich brauchte Hilfe und wenn Cedrik hier war...
Er musste wissen, dass ich verzweifelt war, dass mir jemand ermöglichen musste, mit Ducan zu kommunizieren.
"Ich muss mit Ducan Kontakt aufnehmen und ich brauche etwas von diesem Wasser, Cedrik! Du musst mir helfen!" Sein Blick lag auf der Gestalt von Ducans Mutter, die im Zimmer ein weiteres Mal zerfiel und dann im Flur wieder erschien. Hatte er sie gekannt? Hatte er Mitleid mit ihr? Selbst wenn das hier nicht sie was, sondern nur ein Spiegelbild.
"Du hast, was du brauchst. Umso mehr ich mich einmische, umso mehr bringe ich durcheinander. Das könnte meine Geschwister dazu bringen, sich dir aktiv in den Weg zu stellen. Den Rest musst du alleine machen."
"Wie?", fragte ich und sah wie er tief die Luft einsog, als würde er mit sich ringen es mir zu sagen. Oder als wäre er enttäuscht.
"Du gehst einen Umweg, Kind. Lass es sein und nimm den direkten!", erklärte er, doch was meinte er damit? Von was für einem Umweg sprach er? Ich kannte mein Ziel: Mit Ducan Kontakt aufnehmen und an dieses Wasser kommen, um wiederzuerwachen. Wo sollte da ein Umweg sein?
Als hätte Cedrik meine Gedanken gehört, stöhnte er. Diesmal eindeutig enttäuscht.
"Deine Gefühle verleiten dich zu dieser Extrarunde. Du kannst bereits Tee umstoßen und über seinen Schoß fließen lassen. Konzentriere dich darauf zu erwachsen und lass den Winterkönig, Winterkönig sein. Dein Wille hat dich bereits hierher gebracht. Du findest hier alles, was du brauchst." Cedrik drehte er seinen Kopf demonstrativ zu einem anderen Raum, nur um dann einfach zu verschwinden.
Für einen Moment stand ich da und war einfach nur wütend auf ihn, bevor mir bewusst wurde, dass er mir eigentlich helfen wollte und es vielleicht auch getan hatte.
Der Umweg, von dem er sprach...hatte er auf Ducan angespielt? Vielleicht musste ich ihn gar nicht kontaktieren, auch wenn es mir das Herz brach, es nicht weiter zu versuchen. Duncans Schmerz und Einsamkeit brannte in meiner Brust wie ein flammender Schmerz. Ich wollte ihm Trost spenden, ihn von dem Wissen erlösen, ich wäre verloren. Doch wenn Cedrik recht hatte, hielt mich das nur auf.
Ich musste an dieses Wasser herankommen und folgte deswegen Cedrics stummer Aufforderung in den Teil des Turmes zu gehen, in die er mit seinem Blick gedeutet hatte.
Ich betrat andere verwüstete Räume, konnte dort aber nichts finden, was mir half, bis ich einen so üblen Gestand wahrnahm, dass ich glaubte, daran zu ersticken.
Fünkchen machte es eher neugierig und sie steckte ihre Wolfsnase in eine kleine Kammer, die sicher einmal ein Abstellraum gewesen war, aber noch vor dem Feuer in eine Art Arbeitszimmer umgewandelt wurde.
Die schmale Pritsche an der Seite war einst ein provisorischer Schlafplatz gewesen und dicke, bis zu Unkenntlichkeit verbrannte Bücher im Regal sprachen für einen Gelehrten oder ... einen Magier.
Ich entdeckte auf einem Tisch gesprungene Gläser, dessen Flüssigkeiten sich in dem Raum verteilt hatten. Das Feuer hatte sie nicht verbrannt, aber die Zeit verrotten lassen. Sie waren der Ursprung dieses Geruchs.
Einmal mehr stellte ich fest, wie ungewöhnlich dieses Feuer im Turm gewütet hatte. Wäre es ein einfacher Brand gewesen, würden längst nicht so viele Gegenstände noch im Takt sein, dafür war es sicherlich viel heißer gewesen, denn auch in diesem Raum was das Glas im Fenster geschmolzen. Ebenso wie die meisten Glasfläschchen und ...
ich stockte als Fünkchen eine intakte Flasche mit ihrer Nase anstupste und sie wie durch Zauberhand gegen meinen Fuß rollte. Eine klare Flüssigkeit befand sich darin und ich riss die Augen auf.
Konnte es ...
Wahr es tatsächlich...
"Das Wasser!", entfuhr es mir und ich bückte mich, um es aufzuheben, doch meine Finger glitten hindurch und in der nächsten Sekunde schnürte sich ein dunkles Seil um die Mitte meines Oberkörpers und zog mich aus der Kammer.
Ich verlor den Halt unter meinen Füßen, der Druck stieß mit dem Atem aus der Lunge, als ich durch die Luft flog.
Fünkchen Fell sträubte sich und sie knurrte, während ich schrie und dabei zusehen musste, wie die beschädigte Tür zur Kammer sich schloss. Das Wasser und mein Klagewolf darin eingesperrt wurde.
Dann landete mein Rücken gegen etwas Hartes. Presste mir ein 'uff' hervor. Keine Wand, keine Steine, sondern eine harte Männerbrust. Nicht so breit wie die von Duncan, sondern von jemandem, der kaum größer war als ich selbst. Schlanker, jungenhafter.
"Was mach' ich nur mit dir Lil?", fragte Kains Stimme nahe an meinem Ohr und mein gesamter Körper versteifte sich, als ich seinen Atem an meiner Haut spürte. Sofort begann ich damit gegen ihn anzukämpfen, schlug mit den Händen um mich, versuchte ihm meinen Kopf gegen das Kinn zu schlagen und meine Ellenbogen in den Magen zu rammen. Doch das Seil wurde durch einen Arm ersetzt und er hielt mich mit einer Kraft, die er nie zuvor gehabt hatte. Das Prickeln auf meinen Armen, war ein unangenehmes Ziehen an den feinen Härchen an meiner Haut. Magie. Aber eine finstere, dunklere und ekelhaftere Version als die, die ich kannte. Während Duncans Macht sich anfühlte wie kleine erregende Funken, was diese hier kratziger, als würde man mit Fingernägel über eine Schiefertafel kratzen. Kain umarmte mich wie ein Liebhaber seine Angebetete, doch in seiner Stimme klang purer Spott, keine Zuneigung. Als wäre von dem Jungen, denn ich einst wie einen Bruder geliebt hatte, nichts mehr übrig.
Der Schmerz dieser Erkenntnis durchfuhr mich, obwohl ich längst gewusst hatte, dass mein bester Freund, für den ich einmal alles riskiert hatte, nicht mehr existierte. Ich hatte geglaubt, es verarbeitet zu haben. Das Leben drehte sich weiter. Immer. Egal wen man verlor oder vermisste, doch das hier war schlimmer. Das hier vernichtete die guten Erinnerungen und ich musste mich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Kain, vielleicht nie der Junge gewesen war, von dem ich glaubte, er wäre es. Er hatte es immer gewusst.
"Andauernd mischst du dich ein, fügst dir selbst Leid und Schaden zu. Du könntest einfach aufgeben und es gut sein lasse!", höhnte er und obwohl ich es nie geschafft hatte, Ducan oder jemand anderen zu berühren, gelang es mir bei ihm hervorragend und ich zog noch einmal in einem verzweifelten Versuch meinen Arm nach oben, um ihm mit aller Macht meinen Ellenbogen in den Bauch zu rammen. Es gelang mir überraschend.
Kain stöhnte belustigt, als ich die Gelegenheit nutzte, um mich von ihm zu lösen. Ich würde nicht hier verweilen und mit ihm diskutieren. Also stürmte ich auf die Tür zu, konzentrierte mich darauf, den Knauf der Tür zu umfassen und die Tür zu öffnen.
Auf der anderen Seite hörte ich Fünkchens Krallen, die versuchten, sich durch das Holz zu graben, zusammen mit ihrem Knurren und Bellen.
"Ich liebe deine kämpferische Natur, Lil. Wirklich, aber es wird Zeit, dass du deine Position akzeptierst", meinte er und aus den dunklen Ecken des Raumes erhoben sich Schattenartige Gespinste. Ich stockte für einen Herzschlag. Spinnen, so groß wie die Tür vor der ich stand, krabbelten auf mich zu. Unwillkürlich schreckte ich zurück. Ich hatte nie besonders viel Angst vor Spinnen, in den Sommerlanden gab es sie überall. Handtellergroß. Die meisten ungefährlich. Umso größer die Spinne, um so ungefährlicher. Respekt hatte ich nur vor denen gehabt die in den kleinsten Ritzen lauerten und schmerzhaft beißen konnten. Doch diese hier waren anders Sie waren schwarz und ihre Schemen wirken wie ausgefranst. Sie waren Schatten und das war für mich tatsächlich ein wahr gewordener Alptraum.
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...