Kapitel 117
Lilyanna
Ich fuhr mit meinen doch sehr kalt gewordenen Fingern über einen der Zweige, die das Immergrün der Lomboschbüsche trugen und zuckte zurück, als ich mir an einen der Dornen in den Finger stach.
Ich gab keinen Laut von mir, doch sofort schien Tristan nach meinem Arm greifen zu wollen, um nachzusehen wie schlimm ich mich verletzt hatte. Eine sehr ritterliche Geste, doch Fünkchen kam ihm zuvor und fiepte fragend zu mir auf, wobei sie Tristan von mir wegdrängte.
Ich ignorierte den Schmerz oder den einzelnen Tropfen Blut, der noch an dem Dorn hing und warf beiden ein beruhigendes Lächeln zu.
Tristan war wieder zurückgewichen und verschränkte erneut seine Hände hinter dem Rücken. Eine strenge Haltung, die ihm eigentlich nicht stand, die ich aber von Ducan kannte.
"Abgesehen von den Albernheiten aus unserer Kindheit, Hoheit. Das wird nicht der Grund gewesen sein, warum ihr mich hier draußen sprechen wolltet", meinte Tristan und ich lächelte, weil sein Verdacht nicht nur albern, sondern auch deutlich von einer Rationalität sprach, die so viele Männer mit zunehmendem Erwachsen werden ergriff. Als Kind war er nicht so gewesen. So ernst.
Ich schlenderte weiter und mein Cousin folgte mir, während ich meine Röcke leicht hob und die Sohlen meiner warmen Stiefel begann auf eine nur wenige Fingerbreit hohe Steinreihe zu balancieren, die den Weg markierten.
"Warum den nicht?", fragte ich, weil ich ehrlich gesagt keine andere Absichten hatte, als darüber zu philosophieren, wie es war. Damals, in den Sommerlanden wo ich glücklich und zufrieden gewesen war, ohne zu wissen welche Strapazen noch vor mir lagen.
"In Erinnerungen hätten wir auch in warmen schwelgen können", meinte er und ich schnaufte, weil ich den Palast niemals als warm bezeichnen würde. Doch direkt vor dem Kamin und einer heißen Tasse bitteren Lombuschtee ließ es sich aushalten.
"Es sind meine Erinnerungen, Tristan. Ich will nicht, dass darüber am Hof geredet wird. Es würde sich anfühlen, als würden sie mir etwas stehlen. Momentan sind das die Einzigen, die ich habe und die will ich nicht teilen", meinte ich und sah mich zu ihm um. Er lächelte, weil ich noch immer balancierte und dabei wohl eher das Bild eines Mädchens abgab, als das einer erwachsenen Frau.
"Dann lass mich dir eine Frage stellen, Cousine", meinte er und ich lächelte breit, weil ich froh war, dass er diese Höflichkeiten abgelegt hatte. Das fühlte sich für mich falsch an.
"Sicher. Frag."
"Wo warst du all die Jahre? Hat er dich versteckt?", fragte Tristan und ich wusste sofort, wen er mit 'er' meinte. Ducan.
Einige der Hofmitglieder hatten Theorien gesponnen, angeheizt von Bruchstückhaften Erzählungen darüber, wie ich in den Palast kam, obwohl Ducan alles getan hatte, um meinen genauen Fundort zu verschleiern. Nicht mal die Diener schienen darüber zu tuscheln, allerdings war alles was sie wussten, dass mich Ducans persönliche Leibgarde aufgegriffen hatte und mich dann in den Thronsaal gezerrt hatte, wo ich meine Identität preisgegeben hatte.
Mein Gott, das fühlte sich an, als wäre das Jahre her, stattdessen waren lediglich wenige Wochen vergangen. Ende der Woche, in zwei Tagen, würde ich Ducan heiraten.
Doch es war witzig, dass die Adligen glaubten, ich sei von fernen Verwandten versteckt worden, und diese scheinbar davon ausgingen, der Winterkönig selbst hätte mich verborgen gehalten. Wir mussten bald endlich eine einstimmige Erklärung abgeben, um die Neugierde nicht weiter anzuheizen.
"Das kann ich dir nicht sagen. Tut mir leid", meinte ich und zum ersten Mal verlor Tristan sein Lächeln und blickte mich ernst an.
"Er hätte es wenigstens deiner Familie sagen sollen! Das ist ein Affront gegen unser Haus!" meinte er Tristan wütend und ich versuchte das Thema zu wechseln.
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...