Kapitel 118
Lilyanna
Dann aber dachte ich wieder an Owellya, ihren Anblick, ihre geheuchelte Gutmütigkeit. Ihren Mordversuch an mich.
"Lady Owellya hat versucht, mich zu vergiften, kaum dass ich einen ganzen Tag hier war. Es traf stattdessen eine Dienerin, der ich als Dankeschön eine der Pralinen übergab, die für mich gedacht waren. Und als ich sie damit konfrontierte, dass eine unbeteiligte Dritte wegen ihrer feigen Handlungen starb, war da keine Spur von Reue. Sie ist nicht mal ansatzweise so gut, wie sie tut!", platzte es aus mir heraus, weil ich es nicht ertrug, dass diese Wahrheit niemand sehen wollte.
Was mich schockierte, war die Gleichgültigkeit in Tristans Blick.
"Das wirst du ihr nicht beweisen können, Cousine und da nichts passiert ist..."
"NICHTS PASSIERT? Eine Frau ist Tod! Eine Dienerin! Sie wird ihre Familie nie wieder sehen, ihre Angehörigen trauern und Owellya hat..."
"Sie war nur eine Dienerin, Lilyanna. Nenn es grausam, dass ich das so sage, aber dein merkwürdiges Mitleid mit Bedienstete wird dir bei den Adligen nicht weiterhelfen", meinte er und ich öffnete wieder den Mund, um etwas zu sagen, bis ich ... verstand.
Ich verstand etwas.
Vermutlich zum aller ersten Mal, seit ich zurück bei Ducan war.
Ich verstand, dass der Tod der Dienerin keine Rolle spielte, dass der Hof es vielleicht als übertrieben empfand, was ich tat, um Owellya dafür zur Rechenschaft zu ziehen, denn schließlich war aus ihrer Sicht nichts passiert.
Vielleicht brachte mir das Pluspunkte bei dem Palastpersonal ein, aber das würde mir nicht weiterhelfen.
Tristan war adlig, hatte sein Leben unter Adligen verbracht und auch ich hätte vermutlich so empfunden, wenn ich nicht quasi auf der Straße aufgewachsen wäre. Ich wusste nicht nur faktisch wenig über Gepflogenheiten am Hof, ich hatte auch Probleme mich in all das hineinzudenken, weil ich im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus ihrer Welt stammte.
Ich hatte meine späte Kindheit und meine gesamte Jugend unter Leuten verbracht, die einem Stand angehörten, die von den Leuten hier als entbehrlich betrachtet wurden.
Als notwendiges Übel.
Mir fehlte diese Sichtweise und alles in mir verkrampfte sich bei dem Gedanken daran, dass sich das jemals ändern könnte. Innerlich wollte ich nichts an meiner Sichtweise ändern, aber wenn ich hier überleben wollte, würde ich mich auf die Gedankenwelt der Adligen einlassen müssen.
"Was also denkst du?", fragte ich. Er zuckte mit den Schultern.
"Ich denke, dass du für die Herbstlande nicht nützlich bist. Du wirst immer eine ungeliebte Königin sein, mit beschenkter Macht gegenüber dem Adel und nur wenig Unterstützung in der breiten Bevölkerung. Owellya könnte noch hunderte Diener töten, niemand würde sie deswegen hassen, denn diese Liebesgeschichte wollen die Menschen glauben. Ich kann dir nicht sagen, was du daran ändern könntest, oder wie. Ich denke, du wirst dich damit abfinden müssen, wie so viele Frauen und Männern sich mit Geliebte und Affären abfinden müssen." sagte er und ich ignorierte die Tatsache, dass auch Tristan offensichtlich an diese Liebesgeschichte glaubte.
"Was wollen die Herbstlande dann hier, wenn ich doch so unnütz bin?", fragte ich und konnte nicht verhindern, dass ich dabei verbittert klang.
"Der Winterkönig ließ nach dem Botschafter schicken. Ich vermute, dass er versucht Allianzen zu schmieden und glaubt, dass er mit den Herbstlanden gute Karten hat. Es gibt stabile Handelsgeschäfte zwischen den Ländern. Aber die gibt es auch zwischen den Herbstlanden und den Sommerlanden. König Triton wird versuchen neutral zu bleiben, um beide nicht zu gefährden", meinte Tristan und ich war entsetzt.
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romansa(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...