Kapitel 2
Ich steckte den Diamanten in meine bereits fadenscheinige Jacke und zog die Knabenmütze tiefer in meine Stirn. Ich gab mich bereits seit einigen Monaten als Junge aus, damit ich nicht belästigt wurde, wie so viele andere Mädchen, die sich auf diesen Straßen herumtrieben. Aber das half natürlich nicht immer. Also kontrollierte ich auch, ob das Messer an meiner Hüfte noch dort war, wo es hingehörte und sich durch meinen Sprint nicht gelöst hatte oder verloren gegangen war.
Ich würde eher zur Mörderin werden, als meine Ehre aufzugeben! Eine Eitelkeit, die mich eines Tages mein Kopf kosten würde, oder mir einen elendigen Hungertod einbrachte.
Zumindest sagte mir das Grece gerne, Cedrics "Lady", wie er sie nannte. Sie kümmerte sich um die belange und Probleme seiner "Damen", seiner Huren, und hatte sich mir angenommen, als ich hier ankam. Sie war keine wirkliche Ersatzmutter für mich gewesen und hatte kaum etwas mit einem traumatisierten Mädchen anfangen können. Aber sie hatte mich gelehrt hart zu sein. Ihre Ohrfeigen waren dazu ihr bevorzugtes Mittel gewesen, aber so oft wie sie mir gegenüber die Hand erhoben hatte, so oft hatte sie sich auch für mich eingesetzt und war ihrer Aufgabe, mich großzuziehen nachgekommen. So gut wie es ihr, als missmutige und hoffnungslose Frau, nur möglich gewesen war.
Die Welt war schlecht und hielt für ein Mädchen wie mich nichts Gutes bereit, das war ihre erste Lektion gewesen, unterstützt von der ersten Ohrfeige, die ich je in meinen Leben erfahren hatte. Als Prinzessin war ich nie so gezüchtigt worden und da war es auch kein Frevel gewesen zu weinen, wie ich es an diesem Tag getan hatte. Danach hatte ich noch mehr geweint als zu vor, worauf ich einen zweiten Schlag hatte einstecken müssen, mit dem ich dann endlich Ruhe gegeben hatte. Für Trauer hatte ich keine Zeit, das wusste ich seitdem, und begann damit einfach alles zu verdrängen und so zu leben wie es die Menschen um mich herum getan hatten. Grece hatte das mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, mir ein Messer in die Hand gedrückt und gemeint, ich sollte lernen damit umzugehen, über den Verlust meiner Mutter hinwegkommen und anfangen daran zu arbeiten, wie ich überleben konnte.
Ich hasste sie nicht direkt, das hatte ich nie. Ich hasste auch Cedric nicht. Ich wusste, dass sie so hart waren, wie es die Welt von ihnen verlangte und war froh, dass sie aus einer verwöhnten Prinzessin eine Diebin gemacht hatten, die mit einem Messer umgehen konnte, um ihre letzte Eitelkeit zu verteidigen, die sie sich noch bewahrt hatte. Naja, einer der Letzten. Nicht, die Letzte, es gab mehr an mir als nur meine Jungfräulichkeit.
Ich verdrängte meine Vergangenheit wieder und konzentrierte mich darauf meine Mission zu Ende zu bringen. Ich war froh, die vertrauten Gassen zu erreichen, in denen ich von einem Kind zur Frau geworden war. Die Wege waren schlammig und rochen übel nach Pferdemist und Urin, aber dazwischen vermischten sich die Düfte der Küchen, die in der Nacht ihre Speisen vorbereiteten, um sie am nächsten Tag zu verkaufen. Es war hier nicht schlechter als anders wo, vielleicht sogar besser. Weil Cedrics Leute sich diesem Viertel angenommen hatten, gab es keinen Mord auf öffentlicher Straße und kaum Übergriffe, die es notwendig machten, dass ich das Messer an meiner Hüfte benutzen müsste. Ein paar Diebe, trieben sich in den Gassen herum, ein paar Männer pöbelten, eine Schenke wurde demoliert, aber ansonsten war es ruhig.
Ich erreichte das Freudenhaus und schlüpfte über ein offen stehendes Fenster hinein, um mich nicht an den Huren vorbeidrängen zu müssen, die auf Laufkundschaft am Eingang warteten. Es war die Waschstube und eine der Hure, weichte gerade ihre Kleider in einen Zuber ein und bürstete ihr schulterlanges Haar, als ich mit den Füßen im Raum aufkam.
"Bei der Weisheit der Götter! Du erschreckst mich noch einmal zu Tode, Lil!" sagte sie und sah mich böse an, betrachtete die Burschen Kleidung und rümpfte die Nase, als eine meiner langen, blonden Haare unter der Kappe herausfiel.
Meine Tugend war nicht die einzige Eitelkeit die ich bewahrte. Meine Haare, waren meine eigentliche Schwäche. Sie waren lang und gepflegt, dick und glänzend und sahen denen meiner Mutter so ähnlich, dass ich es nicht wagte sie abzuschneiden, wie es die Frauen aus den unteren Ständen normalerweise taten. Kaum einer konnte es sich leisten, Haare zu pflegen, die bis über die Schultern reichten, wie es der Adel tat. Ich aber weigerte mich seit jeher, sie kürzer als nötig schneiden zu lassen. Und das war wiederum etwas worin mich Grece tatsächlich unterstützte.
Sie hatte unzählige Diskussionen mit Cedric standgehalten, der anfangs nicht dazu bereit war Öle und Bürsten zu bezahlen, die dafür notwendig waren, um meine langen Haare zu erhalten. Aber Grece fand sie atemberaubend schön und hielt es auch nicht für unangemessen, da ich ja die Tochter eines Adligen war, ein Bastard zwar, glaubte sie, aber dennoch mit adligem Blut. Irgendwann hatte Cedric aufgegeben und ich bekam, was ich brauchte, um sie zu pflegen. Naja, ab und an, wenn die Zeiten nicht so schlecht waren, dass ich mir mein Essen selbst erstehlen musste.
Dennoch schürte es auch den Neid einiger "Damen", denn es zeigte wie besonders ich war, selbst wenn sie nie begreifen würden, wie sehr, tatsächlich. So wie jetzt, als die "Dame" mich ansah und die Augen verengte, bevor ich die Strähne zurück unter die Kappe schieben konnte.
"Geh schon oder willst du ewig hier stehen und gaffen?", fragte sie etwas schnippisch und deutete auf die offene Tür, die in den kleinen Schankraum führte, wo sich immer noch viele Freier mit Alkohol und Frauen amüsierten. Ich nickte nur und lächelte trotz allem freundlich, bevor ich mich an der Wand entlang schob und zu dem Raum hinter der Schänke huschte, wo sich Cedric um diese Uhrzeit immer mit seinen Männern zurückzog um Karten zu spielen und über den Mörderkönig zu schimpfen, der nun seit mehr als zwölf Jahren auf den Thron der Sommerlande saß. Meinen Onkel, der auf meinen Thron saß und meiner Heimat nichts Gutes brachte.
Beta: noch nicht
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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2
Romance(jeden Freitag) Die Prinzessin, die sie einmal war, ist fast vergessen. Ihr Zuhause unerreichbar fern und dieses kalte Herz, das einst ihr gehörte, hatte nun eine Andere. Lilyanna hat sich längst mit ihrem neunen Leben als Flüchtling und gelegentlic...