Sturz

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Kapitel 135

Lilyanna

Ich war für einen Moment so vollkommen außer mir und wollte gerade den Mund öffnen, um meinen Cousin zu fragen, was er hier machte, als sein blondes, lockiges Haar plötzlich vor meinen Augen dunkler wurde und seine Gesichtszüge verschwammen, als hätte man Lösungsmittel über ein Leinwandgemälde gegossen. Doch die Züge wurden nicht unbekannter, sondern ganz im Gegenteil... ich kannte auch dieses.

"Kain", hauchte ich überrascht und seine Finger umfingen die meinen fester, während er die andere Hand auf meine Taille legte, als wollte er mich hineinziehen. An sich.

Aber er tat es nicht dafür. Denn sein durchgestreckter Arm verhinderte effektiv, dass ich durch das Fenster klettern konnte und hielt mich bedrohlich über den Abgrund.

"Es hätte so gut zwischen uns werden können, meine Liebste. Die Zukunft war bereits geschrieben, doch du musstest ja sein Bett wärmen", meinte er mit einem verschlagenen Grinsen auf den Lippen und ich versuchte, mich seinem Griff zu entwinden. Mich zu befreien, doch da spürte ich, wie sich der Knoten meines Sicherheitsseiles von meiner Taille löste. Wie durch Zauberhand.

Nein...nein....Dabei war ich mir sicher gewesen, ihn niemals selbst wieder aufzubekommen und ihn zerschneiden zu müssen, sobald ich im Saal angekommen war.

Doch er.... nein! Ich versuchte die Panik in meinem Geist niederzukämpfen.

"Und was willst du jetzt tun? Mich aus dem Fenster stoßen? Mir das Herz aus der Brust reißen? Mich anders töten?" fragte ich, als ich den ersten Schock verdaut hatte und genau wusste, dass ich ihm ausgeliefert war.Ich würde nicht nachgeben, nicht flehen. NIEMALS!

War er es die ganze Zeit gewesen? War Tristan überhaupt jemals hier gewesen? Und was war mit Charlotte?

Ich blickte über Kains Schulter und sah meine Gesellschafterin direkt in die Augen. Sie stand da wie angewurzelt, aber schien nicht den Anschein zu machen, als würde sie mir helfen wollen. Ihr Blick war irgendetwas zwischen Schuld, Bedauern und Wut.

"Charlotte!", rief ich ihr zu, aber sie machte noch einen Schritt von dem Fenster weg.

"Wegen Euch fand unsere Hochzeit nicht statt! Mein Vater meinte, ich wäre als eure Gesellschafterin besser aufgehoben, als Lord Tristans Frau. Ihr habt alles zerstört, gerade in dem Moment, in dem ich glücklich hätte werden sollen", meinte sie und ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte.

Sah sie nicht, dass dies vor mir nicht mein Cousin war, sondern..."Mach dir nicht die Mühe. Sie sieht und hört, was sie sehen und hören soll", lachte Kain leise und dann fiel sein Blick auf meinen Bauch.

"Die Götter sind grausam, Lilyanna. Sie täuschen und schieben uns herum wie Schachfiguren. Alles, was ich je wollte, war dich genau davor zu bewahren. Dir die Chance zu geben, selbst zu entscheiden und nun sie dich an. Du bist nur ein williger Handlanger. Außerstande auch nur etwas anderes zu wollen, als das, was man dir vorsetzt. Ich hielt dich für ein Opfer, doch jetzt sehe ich die Wahrheit. Du liegst nicht in Ketten wie wir anderen: Du bist die Kette! Ob ich dich töten will, meine Liebe? Unmöglich. Dafür hättest du erstmal jemals wirklich lebendig sein müssen!", meinte er und ließ meine Hand los, sodass ich ins Straucheln geriet und panisch nach dem Holzrahmen der Fenster griff.

Meine Fingernägel krallten sich regelrecht darin fest, während ich ihn verständnislos anblickte.

"Deine Mutter war unfruchtbar, Lilyanna. Vor dir und nach dir. Deine Geburt war kein Wunder, sie war ein Fluch. Eine Strafe der Götter. Dein Zweck ist es, leid zu bringen und alles, was dich am Leben hält, ist dieses Herz in deinem Inneren. Magie. Als Oswald das erkannte, musste er handeln. Er musste es beenden, bevor deine Existenz noch weitere Wellen schlug und er tat das, was die Götter ihm aufgetragen hatten. Er ist ihr treuer Diener und nicht der Böse in diesem Spiel. Das bist du!", fuhr er mich an und ich nahm die Worte in mich auf, als er erneut nach meiner Hüfte griff und seinen Daumen schmerzhaft in meinen Bauch presste.

"Vielleicht kann ich dich nicht töten, aber dieses unheilige Ding in dir, das schon!" und dann versetzte er mir einen Hieb in den Magen und ich spürte, wie meine Fingernägel brachen. Außerstande, mich zu halten, kippte ich nach hinten.

Dann fiel ich und während die Gedanken in mir raten, ich nicht begreifen wollte, was er da gesagt hatte, stürzte ich weiter.

Ich hörte durch das Rauschen des Windes hinweg Charlottes Schreie und sah dann, wie auch sie aus dem Fenster fiel.

Sie würde sterben. Mit mir.

Dann schlug ich auf und wusste, dass meine Knochen brachen, dass mein Rückgrat, mein Schädel, mein Körper zersprang.

Es ging so schnell, dass ich nicht einmal Schmerz empfand. Ich hörte das Knacken meines Genickes und den Druck, als meine Rippen, Lunge und Herz durchschießen. Ich starrte in den Himmel als ich starb, sah in den von Wolken zerwühlten Himmel, spürte die Kälte, die gar nicht einmal so unangenehm war.

Es war unmöglich, doch ich sah auch noch, wie Charlotte aufkam. Ihr Tod war hässlicher als meines und dann... Dann spürte ich nichts mehr. Alles was ich wahrnahm, was die gütige und zärtliche Berührung meiner Mutter, die mich nach Hause holte. 

Es war vorbei. Mein Leid hatte ein Ende. Kain Worte verklangen in mir und dann auch alles, was ich als mein selbst betrachtete.Fußstapfen neben mir, runtergewtzte Stiefel. Cedrik. Ich sah ihn. Wusste aber nicht, ob ich es mir einbildete. Er blickte auf mich herunter, dann hinauf zu dem Fenster aus dem ich gefallen war. Aus einer Höhe, die man unmöglich überleben konnte.

"Er ist eine wahre Enttäuschung. Es tut mir leid.", sagte er und dann kniete er neben mir, streckte seine Hand nach meinem Haar aus, zog den silbernen Kamm heraus, denn Ducan mir geschenkt hatte. Besetzt mit bunten, eigentlich wertlosen Edelsteinen. Der Kamm knisterte in seinen Händen. Der Kamm war verzaubert.

"Clever dein König, aber ich denke nicht, dass es noch etwas bringt, nicht war, Lil? Es tut mir leid, dass es mir nicht gelungen ist. Ich hatte deine Geburt nicht verhindern können, das Schicksal schaffte es dennoch. Und als die Götter sich einmischten, um das Problem nachträglich zu lösen... hat es dir nichts als Leid gebracht. Ich dachte, ich könnte das alles wieder in die richtigen Bahnen lenken. Ein letzter Versuch, es wiedergutzumachen. Ich habe versagt. Es tut mir leid. Es ist alles meine Schuld.

"Ich sah tatsächlich so etwas wie Tränen in seinen Augen, als er mir ein paar Haare aus der Stirn strich. Der Kuss denn er mir gab, war ein Abschied.

"Ich verspreche dir, dich nicht weiter zu quälen. Verzeih mir. Ich hing zu sehr an dir.

"Dann hörte ich einen Schrei.Mein Name. Ducan. Doch es war zu spät.

 Doch es war zu spät

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Chroniken der Winterlande Band 1 & 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt