Kapitel 59: Streit?

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Nach einer Weile, die wir einfach nur dalagen, stand Natasha -sehr zu meiner Empörung- auf und ging an den Rucksack. „Hey, komm zurück", beschwerte ich mich und streckte meine Arme nach ihr aus. Sie warf eine Blick zu mir und ließ ihn über meinen kompletten nackten Körper schweifen. „Ich komme schon wieder, das kann ich mir doch nicht entgehen lassen", meinte sie, nahm etwas und kam zurück zu mir. Sie setzte sich neben mich und klopfte zwischen sich auf die Beine. „Dreh dich mit dem Rücken zu mir und mach die Augen zu", sagte sie und ich tat, wie mir geheißen. Sie strich mir vorsichtig meine Haare vom Nacken und ich spürte etwas mittig gegen meine Brust stoßen. Sie fummelte kurz etwas in meinem Nacken herum, bevor sie die Kette losließ. „Ok, mach sie wieder auf", meinte sie und ich öffnete meine Augen und sah an mir herunter. Da ruhte der Engel aus schwarzem Bernstein. Ich keuchte erfreut auf und nahm ihn in die Hand. „Black Angel" stand in einer kleinen Gravur auf den Flügeln. „Ich dachte sie wäre mir abgenommen worden von...", ich stockte kurz, bevor ich mich mit Tränen in den Augen zu ihr umdrehte, „Danke." „Ich hatte sie gefunden", erwiderte sie mit einem Lächeln und wischte mir die Tränen von der Wange. Ich drehte mich in ihrem Schoß und schlang die Arme um sie. „Danke", sagte ich nochmal mit einem fettem Lächeln im Gesicht. „Bitte", gab sie mir einen kurzen Kuss.

Wir saßen noch eine Weile umschlungen da, bevor die Russin meinte, dass wir uns langsam auf den Rückweg machen sollten. Wir zogen und wieder an und packten die Sachen zusammen, dann nahm ich den Rucksack und wir machten uns auf den Weg.

„Ich will nicht zurück", meckerte ich, als wir nur noch eine Stunde vom Auto entfernt waren. Nat sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Da ist es die ganze Zeit nur langweilig. Ich darf euch nicht helfen, aber auch noch keinen Sport machen. Ich fühle mich wie eine Hausfrau, die nicht kochen kann, keine Wäsche waschen muss und und und. Ich möchte wieder was zu tun haben. Was Sinnvolles zu tun haben", erklärte ich ihr. Nat blieb kurz stumm und schien zu überlegen, dann meinte sie: „Ich hätte was für dich, aber nur wenn du dich wirklich bereit dazu fühlst." Ich nickte begeistert: „Ja, egal was, ich mach's. Alles ist besser als nur rumzusitzen." „Nein, Marie, du verstehst nicht", probierte sie zu erklären, „Du sollst es nicht einfach nur machen, damit du keine Langeweile mehr hast, du sollst es nur machen, wenn du dich bereit für diese eine spezielle Sache fühlst. Das ist nichts, was man mal nebenher machen kann oder so. Ich will nicht, dass sich das negativ auf deine Gesundheit auswirkt, physisch wie psychisch. Also bitte versprich mir, dass du nicht einfach nur ja sagst, damit du wieder was zu tun hast, sondern wirklich darüber nachdenkst und abwägst." Ich sah sie verwirrt an: „Jetzt machst du mir etwas Angst." Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, bevor sie wieder ernst wurde. „Ich verspreche dir, dass ich Vor- und Nachteile abwägen werde", ergänzte ich und sie nickte zufrieden, „Dafür musst du mir jetzt allerdings mal sagen, um was es geht." Sie nickte erneut, diesmal deutlich nüchterner und schien nach passenden Worten zu suchen. Wenn es nach ihr ginge, würde ich anscheinend es nicht mach, was auch immer es ist.

„Als wir dich befreit haben, haben wir die Frau mitgenommen, die manchmal bei dir in dem Raum war." Ich blieb ruckartig stehen. „Woher wisst ihr, dass da manchmal eine Frau bei mir im Raum war?", fragte ich irritiert. „Ich...", sie ließ meine Hand los und fuhr sich damit durch die Haare, „Tony hatte Kameras gehackt und auf einer warst du drauf zu sehen." Ich merkte, dass sie nur ungern sprach. „Ihr habt mich gesehen, habt alle gesehen was ich...", meine Stimme versagte, dann setzte ich neu an, „Ihr habt alle gesehen, was sie mir angetan haben? Und wie schwach ich war... Ich wollte nie, dass mich irgendjemand so sieht, schon gar nicht ihr alle..." Sie schüttelte den Kopf und griff nach meiner Hand, zog diese aber wieder zurück, bevor sie meine berührte. Hatte sie Angst, dass ich sie verletzen würde? Wohl kaum, aber was war das dann? Dachte sie ich wäre wütend auf sie und wollte sie gerade nicht berühren? „Nur Tony und ich haben dich gesehen. Die Kamera... Ich...", sie kam ins Stocken und schien zu überlegen, ob sie mir es wirklich erzählen sollte. „Ja?", fragte ich ungeduldig. Ich wollte jetzt alles wissen, der Scham darüber war eh schon da... Ich hatte nie verstanden, wieso jemand, der vergewaltigt wurde vielleicht nicht zur Polizei gehen würde. Jetzt verstand ich es. Man schämt sich dafür, für das was einem angetan wurde, dafür, dass man sich nicht wehren konnte. Es ist einfach nur demütigend, vor allem, wenn dann noch Menschen, die einem nahestehen dabei zugesehen haben.

„Ich habe mich schuldig gefühlt, dass dir etwas passiert ist und hatte das Gefühl, dass ich einen Teil meiner Strafe dadurch bekommen kann, dass ich mit dir leide", brachte Nat schließlich hervor. Mein Mund klappte auf. Ich wusste gerade echt nicht, was ich empfinden sollte. Wut, darüber, dass sie sich das für sich selbst als Bestrafung anguckt, Schock, dass sie sich selbst de Schuld daran gibt, dass ich entführt wurde, und Unverständnis, dass sie sich auf eine solche Weise selbst bestrafen wollte, obwohl es ja auch für mich schlimm ist, dass sie das gesehen hat, blitzten nacheinander auf. „Sag irgendwas, bitte", flehte meine Freundin mich an, „Das waren zu viele Emotionen, als dass ich daraus wirklich schlau werde." Ich schloss meinen Mund und sah in diese wunderschönen waldgrünen Augen. Ich sah die Angst und die Verletzlichkeit darin, auch wenn sie sie aus ihrer Mimik verbannt hatte und probierte, gar keine Gefühle zu zeigen. „Nun" begann ich, „Zuerst muss dir bewusst sein, dass du überhaupt keine Schuld daran trägst, dass ich entführt wurde. Du kannst mich nicht immer beschützen und musst das auch nicht, ich bin selbst schon groß und durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen. Zumal ich froh bin, dass du nicht bei mir warst, denn dann hätten sie uns beide bekommen und das wäre viel schlimmer für mich gewesen." Ich hob meine Hand und wischte eine einzelne Träne von der Wange der rothaarigen Schönheit, deren Existenz ich nicht so ganz deuten konnte.

„Damit ist ja dann auch logisch, dass du auf keine Weise eine Strafe verdient hattest. Dir ging es wahrscheinlich schon so scheiße genug, da musst du dir nicht noch selbst etwas antun. Zumal...", ich stockte kurz, denn eigentlich wollte ich nicht zugeben, dass ich Scham über das alles was passiert ist empfand. „Zumal die Strafe...", wieder suchte ich nach Worten, „Natasha, ich wollte nicht, dass mich irgendjemand so sieht. Ich...", ich senkte meinen Blick und starrte auf den weichen Waldboden zwischen unseren Füßen, „Ich schäme mich für das, was mir angetan wurde. Ich rede aus zwei Gründen nicht darüber. Der eine ist, dass ich nicht die ganzen Erinnerungen wieder hochbringen will, der andere ist, dass ich mich dafür schäme. Es ist demütigend. Und es macht es für mich noch schlimmer, wenn ich weiß, dass ihr mir bei meiner Demütigung zugesehen habt. Es ist, wie wenn Kinder ein anderes mobben. Ich bin das gemobbte und ihr steht nebendran, seht zu und wisst, wie unbeliebt ich bin und so. Ihr seht mir einfach bei meiner Demütigung zu und das ist viel demütigender als alles andere, gerade, weil ihr mir so nahesteht und ich deshalb nicht will, dass ihr mich so seht... ach, es ist schwer zu erklären..." Unsicher hob ich meinen Blick und begegnete ihrem. „принцесса", sagte sie vorsichtig und ich hörte die Trauer aus ihrer Stimme, die sich in ihrem Blick widerspiegelte. Es wurde zu viel für mich und ich brach in Tränen aus. Sie wollte mit einer Hand meine Tränen wegwischen, hielt jedoch einen Zentimeter von mir entfern inne, unsicher, ob ihre Berührung erwünscht war. Ich drückte meine Wange in ihre Hand und merkte, wie sie sich kaum merklich entspannte. Sanft wischte sie mir die Tränen weg, bevor sie weitersprach: „Es tut mir so leid. Ich wollte nicht... Ich hatte nicht darüber nachgedacht, wie du dich damit fühlen wirst, dabei weiß ich es doch selbst... Es tut mir so unendlich leid, Babe, ich wollte dir nie wehtun." Nun kullerten auch ihr ein paar Tränen hinunter. „Ich weiß", sagte ich, „ich weiß."

Black AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt