43. Kapitel

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|Tarja| Auf dem ganzen Flug in unsere Heimat, herrschte eisige Distanz zwischen Vivi und mir. Wir hätten genauso gut zwei völlig Fremde sein können, redeten kein Wort miteinander und gönnten uns keine Blicke. Als uns dann nur noch zehn Minuten Taxifahrt von dem Haus meiner Eltern, dem Ort meiner Kindheit...unserer Kindheit, trennten, bestimmte weiterhin völlige Stille den Rücksitz. Noch vor wenigen Wochen hatten wir gemeinsam in einer WG gewohnt, unser Leben, unsere Gedanken und vor allem unsere innige, jahrelange Freundschaft geteilt und nun schafften wir es nicht mal mehr einander in die Augen zu sehen, in denen wir früher praktisch die Seele des anderen lesen konnten... Tiefe Traurigkeit bohrte sich in mein Herz und als ich zu Vivi rüber lugte, wie sie kraftlos in den Ledersitz versunken war und aus dem Fenster, die vorbei fliegende Stadt anstarrte, wurde mir bewusst, wie sehr ich meine beste Freundin vermisste. Ich dachte an Samu und an die Gefühle für ihn und überlegte einmal mehr, ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war, eine Freundschaft wie diese, die Vivi und mich verband, für ihn aufzugeben. "Werden wir eines Tages darüber reden können?", kamen plötzlich die Worte über meine Lippen, die unvorbereitet aus mir herausgesprudelt waren. Vivi sah mich an. Ihr Blick war kühl aber weit hinter ihrer Fassade konnte ich deutlich sehen, dass sie diese verdammte Stille zwischen uns als genauso schrecklich empfand, wie ich es tat. "Ich weiß es nicht...", murmelte sie ausdruckslos. Der Klang ihrer Stimme tat weh, aber ich versuchte mich damit zu trösten, dass diese Antwort besser als ein klares 'Nein' war. Das Taxi hielt und als ich aus dem Fenster sah erblickte ich unser wunderschönes Haus. Es war ein typisches finnisches Vorstadthaus mit weißer Fassade. Wir stiegen aus und bei dem Anblick der vertrauten Straße wurde mir erst bewusst wie sehr ich all das hier vermisst hatte. Wir luden unser Gepäck aus und erklammen die kleine Veranda. 

Ich drückte die Klingel und schon bald erschien die vertraute Gestalt meiner Mutter hinter dem Milchglas. Als die Tür aufschwang, kam ich nicht umhin meiner Mom sofort in die Arme zu stürzen. Ihr mütterlicher Geruch stieg mir in die Nase und er erinnerte mich unwillkürlich an alte Zeiten, sodass mir augenblicklich Tränen über die Wangen strömten. Als ich mich langsam von ihr löste, hielt sie mich eine Armlänge von sich entfernt und betrachtete zuerst mich und dann Vivi. "Gott ihr habt keine Ahnung, wie froh ich bin, dass ihr da seid!", schluchzte sie auf und während sie auch Vivi an sich presste, konnte ich sehen, dass auch die Wangen der beiden Frauen von Tränen geziert waren. "Kommt rein!", bat uns meine Mom ins Haus und wir folgten ihr sogleich in die vertrauten Räumlichkeiten. Als wir das Wohnzimmer betraten, erwartete ich bereits wie gewohnt meinen Vater in seinem Sessel am Kamin sitzend, doch zu meiner Überraschung war dieser leer. "Wo ist Dad?", fragte ich verwundert und drehte mich zu meiner Mutter um. Ihr Blick war traurig und bekümmert und augenblicklich war mir klar, dass hier irgendetwas gewaltig nicht stimmte. "Schatz setzt euch doch erst mal.", erklärte meine Mutter und ich kniff misstrauisch die Augen zusammen. "Mom was ist hier los?", raunte ich und spürte dabei, wie meine Stimme drohte leicht ins hysterische abzudriften. Meine Mutter sah traurig zu Boden und spielte nervös mit ihren Fingern, ehe sie wieder aufsah, an mich heran trat und meine Hände ergriff, wobei mir auffiel, dass die ihren ganz kalt waren. "Dein Vater ist sehr schwer krank, Liebes. Er liegt im Krankenhaus und...er wird es nicht schaffen.", flüsterte meine Mutter fast. Ihre zittrige Stimme brach an den letzten Worten und unverzüglich stiegen die Tränen in mir auf. "Er...er...was?", wimmerte ich ungläubig und schluckte schwer. "Es tut mir leid..." Moms Blick wanderte zwischen mir und Vivi hin und her, in deren Augen ebenfalls die Tränen drohten über zu laufen. "Er hat sich sehr gewünscht, seine beiden Mädchen noch mal zu sehen, bevor er..." "Nein! Nein! Das kann nicht wahr sein! Das kann nicht...Nein, nicht Dad!", unterbrach ich meine Mutter lauthals. Ich keuchte auf, sah in die klaren, ehrlichen Augen meiner Mutter und musste unter einem bitterlichen Schluchzer feststellen: Doch es war wahr!

Ich taumelte ein Stück zurück und noch ehe ich merkte, wie mir plötzlich schwindelig wurde, hatte es mich auch schon von den Füßen gerissen. Vivi machte einen Satz nach vorne und fing mich auf. Ihre zierlichen Arme legten sich um mich und sie presste mich an sich. Mein Körper glich einer leblosen Hülle, nur am Rande bekam ich mit, wie Vivi mir zärtlich übers Haar strich und meine Mutter mir eilig ein Glas Wasser holte. Das durfte doch nicht wahr sein! Mein Vater totkrank? Mein ganzer Körper zitterte, die Tränen waren auf meinen Wangen erstarrt, die Worte mir im Halse stecken geblieben. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Vivi zog mich auf die Couch und meine Mom reichte mir das Wasserglas. Ich nippte kurz daran und atmete einmal tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen. "Ich will zu ihm.", brachte ich bestimmt über die zittrigen Lippen. 

|Samu| Stunden waren vergangen. Stunden in denen sich Tarja nicht bei mir gemeldet hatte. Stunden ohne sie. Ungeduldig starrte ich immer wieder auf das Display meines Handys, doch es gingen einfach keine neuen Nachrichten ein. Die Jungs hatten sich schon schlafen gelegt und ich saß alleine vor dem Tourbus und sah in die sternenklare Nacht. Ein männliches Stöhnen ließ mich plötzlich auflauschen. Nur wenige Sekunden später kam der Schatten einer dunklen Gestalt über den Kies gestolpert. Ich riss mich hoch, um auf die Person zuzugehen und herauszufinden, um wen es sich dabei handelte. Derjenige taumelte immer weiter auf mich zu und schließlich vernahm ich einen lallenden Gesang, der von ihm ausging und ihn mich sofort identifizieren ließ. So schlecht singen konnte nur einer...Mikko... Er riss den Blick hoch und ich konnte seine braunen Augen unter der schwarzen Kapuze ausmachen. "Ach der Hüne...", brabbelte er und kicherte los, während er seine Hand auf meiner Schulter platzierte, um sich bei mir abzustützen. "Hast du im Alkohol jetzt deine Lösung gefunden?", grummelte ich und er lachte bloß auf. "Wo hast du deine blonde Schönheit gelassen?" "Die 'blonde Schönheit' hat einen Namen und ist zurück nach Helsinki geflogen.", murmelte ich knapp. "Oh Ärger im Paradies, oder was?", lachte der betrunkene Manager heiser auf und ich packte ihn an der Schulter. "Nur weil du voll bist wie ein Eimer, fängst du dir jetzt keine, mein Lieber!", knurrte ich und er zuckte kurz zusammen. "Is ja gut...also mit welcher Entschuldigung unterbricht sie ihre Arbeit, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen?" "Mal ganz davon abgesehen, dass du alles andere als in dem Zustand bist, in dem man dich über Berufliches in Kenntnis setzen kann...sie besucht ihre Eltern, weil irgendetwas passiert ist... zusammen mit Vivianne...", brummte ich kühl zur Antwort. "Oh...", war alles, was über seine schmalen Lippen kam. "Oh?" "Oh...mir wird...", setzte er noch an, ehe er seinen Kopf zur Seite riss und sich hustend übergab. Na super! 

You Give Love A Bad NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt