190. Kapitel

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|Tarja| Es kostete mich einige Zeit, bis ich es schaffte, mich zu erheben und aus dem Restaurant zu wagen. Die Hoffnung, dass Samu irgendwo draußen stand, verflog in Windeseile, als ich mich umsah und keine Menschenseele in der Straße erblickte. Das konnte, nein das DURFTE doch nicht sein Ernst sein?! Er konnte mich doch nicht einfach so hier sitzen lassen...nicht mit diesem Wissen, dieser Information, die er gerade von mir erhalten hatte... Fast wie in Zeitlupe zog das Stadtgeschehen an mir vorbei, während ich durch die Straßen, auf dem Weg nach Hause, zurück in die WG taumelte. Meine Beine trugen mich ganz von allein, denn mit dem Kopf war ich irgendwo anders. Als ich die WG endlich erreicht hatte, waren meine Reserven aufgebraucht, ich war zu keiner Träne mehr im Stande, fühlte mich leer. Wie in Trance, öffnete ich die Tür und schlurfte in den Flur, wo ich kurz vor dem Spiegel inne hielt. Ich registrierte meine blasse Haut, die verquollenen Augen, die mir völlig leer entgegen blickten und die eingefallene, fast gebrochen wirkende Haltung. Mein Blick glitt zu meinem Unterleib, verharrte genau auf der Höhe, wo ich das kleine Lebewesen vermutete und meine Hand fand, wie von selbst, ihren Platz, an jener Stelle. Wo, für mich, zumindest jetzt, nichts war, würde einmal etwas sein, was Schuld daran war, dass Samu vor mir weggelaufen war, mich vermutlich verlassen würde...Mein Kopf wurde schwer, meine Brust brannte vor Schmerz und meine Hand schloss sich augenblicklich über meinem Bauch, zu einer Faust. Ein atemloser Schluchzer entsprang meiner trockenen Kehle und erschütterte meinen gesamten Körper. Ich spürte augenblicklich, wie mir die Luft
weg blieb, ich mich in dem Kleid eingeengt fühlte, als würde jenes mir die Luftzufuhr abschneiden. Ich schaffte es einfach nicht mehr einzuatmen, stattdessen japste ich beinahe erbärmlich und beobachtete im Spiegelbild vor mir, wir mir nun endgültig jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Panik stieg in mir auf, ich hyperventilierte regelrecht. Im selben Moment tauchte Vivi, hinter mir im Türrahmen des Wohnzimmers, auf und ihre Augen weiteten sich, bei meinem Anblick, grausam. "Tarja!", rief sie entsetzt auf und stürzte auf mich zu. "Aus...ziehen...Ich...keine...Luft...Hilf...mir...hier...raus...", japste ich und zum Glück verstand Vivianne sofort. Ihre kühlen Finger machten sich an dem Verschluss, in meinem Nacken, zu schaffen und nur wenige Sekunden später, schälte sie mich endlich aus dem Kleid. Befreit, sog ich gierig die wieder erlangte Luft ein. Keuchend sank ich auf die Knie, vergrub das Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Ich hatte nicht gedacht, dass das, nach all den Tränen, die ich auf dem Heimweg vergossen hatte, noch möglich war, aber tatsächlich schüttelten mich qualvoll die bächeweise kullernden Perlen der Verzweiflung. Vivi bückte sich neben mich, wickelte mich in eine Wolldecke, umschlang meinen zittrigen Körper und zog mich in ihre Arme, in welchen ich kraftlos versank. Als die Tränen endlich Erbarmen mit mir hatten und bloß noch stumme Abzeichen, auf meinen Wangen malten, traute Vivi sich etwas zu sagen. "Was hat er gesagt?", flüsterte sie vorsichtig und strich mir über die feuchte, leicht verschwitzte Stirn. "Nichts...", brachte ich mit kratziger Stimme hervor. "Wie nichts??!", fragte Vivi erschüttert. "Er ist einfach gegangen...ohne ein Wort." Mein Blick ging ins Leere. Es war einfach so unbegreiflich für mich...Alles! Die gesamte Situation... "Ich fass es nicht!", zischte meine beste Freundin. "Aber was soll ich denn mit einem Kind, so ganz allein? Ich will kein Kind ohne Vater!", entfuhr es mir gedankenverloren. "Tarja ich hasse mich dafür, das zu sagen, aber...ich bin mir sicher, dass er nur Zeit braucht...Samu ist...er ist nicht herzlos, das kann ich mir einfach nicht vorstellen! Ich habe zwar nur eine annähernde Vorstellung davon, wie es dir gerade gehen muss, aber...bitte gib ihm Zeit und triff jetzt keine voreiligen Schlüsse!" Vivis Worte schlichen nur noch undeutlich an mir vorbei, denn das ganze Weinen hatte mich geschwächt und trieb mich mit dem Geschrei von Babys im Kopf und dem Bild von Samus leerem Blick vor Augen, in einen unruhigen Schlaf.

You Give Love A Bad NameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt