2. See you soon Calum Carlos

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Auf dem Weg aus dem Apartmentkomplex unterschied mein Gehirn von drei verschiedenen Gedankengängen:
Der erste taktete ein, wie viel Zeit noch blieb, um bei Monty und Celine im Stardust vorbei zu schneien, wie schnell ich laufen müsste und wie lange ich mich dort aufhalten konnte, um nicht die Straßenbahn wenige Meter weiter zu verpassen.
Jetzt war es fünf vor Acht und zehn Minuten nach kam die Bahn.
Ungefähr sieben Minuten lief ich, hieß dass ich sieben Minuten bleiben könnte um Monty und Celine guten Morgen zu sagen, kurz mit ihnen zu reden und meinen Cappuccino abzuholen. Die restlichen zwei Minuten würde ich bis zur Straßenbahn brauchen und um noch einen guten Platz zu bekommen.
Der zweite Gedankengang beschäftigte sich mit meinem schlechten Gewissen vor Leighton und der verheimlichten Gerichtsverhandlung, die ich heute schnell ab harken muss. Der Fall war einfach und Simpel, zumindest aus meinen Augen. 
Es ging um einen Mobbingangriff an einer High School, nach drei Jahren Berufserfahrung waren mir diese Verhandlungen die einfachsten und liebsten geworden, auch wenn es das Thema nicht war.
Fair gegenüber Leighton blieb es nicht. Sollte die Verhandlung doch länger als Gedacht brauchen, so könnte ich mich am Ende in die Falle hauen, wenn ich nicht pünktlich bei seinem Konzert ankam.
Es bedeutete ihm alles, dass ich Teil dessen war für das er seine Zeit mit den Schülern investierte und ich sah was er konnte und erreichte, seit er sein chaotisches Elternhaus verlassen hatte.
Der dritte Teil meines Gehirns ratterte die heute morgen bekannt gewordene Nachricht um Jacopo Giulanis Tod hoch und runter und beschäftigte mich mehr als es sollte.
Schon immer hatte ich eine kleine Besessenheit zu der Mafia. Deshalb hörte ich genauer hin, wenn darüber im Radio Meldung erfolgte.
Mit den Giulanis aber hatte ich einen besonderen Tick und ich wusste, dass es Leighton missfiel. Er hatte seine Gründe dafür zu wollen, dass ich darüber nichts zu hören bekam.
Ich hatte meine Gründe dafür mich erst recht über den öffentlich auftretenden Mafiaboss zu informieren und mich auf dem laufenden zu halten.
Im gehen zerbastelte sich eine langsam abspaltende vierte Hälfte meiner Gedanken darüber wie es jetzt mit seinem Sohn und dem Vermögen weitergehen würde.
Über Adriano Giulani ist in den Medien nur wenig bekannt. Was man wusste begrenzte sich darauf, dass er ungefähr achtundzwanzig Jahre alt sein musste, seinen Vater unterstützte und vermutlich nun die Führung seines Clans übernehmen würde.
Was ich von ihm wusste war um einiges mehr.

Das Stardust konnte man als ein feines und kuscheliges Cafè bezeichnen, in dem hauptsächlich Studenten ihre Zeit darin investierten zu lernen und ihre Arbeiten zu schreiben.
Dabei kam es mit einem ganz eigenem Flair und einer Einrichtung, die einen inspirierte, wenn man Fan davon war auf Galaxiefototapeten zu schauen oder an einem Tisch zu sitzen, der die Fläche einer Rakete besaß.
Für mich ist es seit Jahren meine kleine Oase vor der Arbeit, oder damals vor den Vorlesungen.
Ein Raketenzischen ertönte, als ich die schwere Tür aufstieß und mich sofort fernab des Planeten Erde befand.
Wenig Licht kämpfte sich durch die heruntergelassenen Jalousien, die im Laufe des Tages hoch gehen würden. Das dämmrige Licht der Ufolampen an der Decke ließ gerade so viel Licht zu, dass ich sehen konnte wie Monty sich damit beschäftigte am Automaten eine Bestellung zuzubereiten.
Wenige Kunden hatten ihren Weg in das unscheinbare und besondere Cafe gefunden und saßen in den hinteren Sitznischen mit dem Frühstücksangebot vor ihnen.
Von Celine war keine Spur auszumachen.
"Ein Cappuccino mit extra viel Kakao und einem Haufen Sahne."
Monty stellte den fertigen Galaxiebecher vor sich auf den Tresen und lächelte mich begrüßend an.
"Jetzt bezahlen oder anschreiben lassen?" harkte er nach, als ich mich zu ihm bewegte und mich auf einen der Barhocker vor dem Tresen setzte.
"Wie immer." machte ich fest. Monty nickte und griff nach einem Stift, um auf meinem Schuldenzettel einen weiteren Strich zu verzeichnen.
"Dann hätten wir das auch erledigt." Er räumte Zettel und Stift wieder zur Seite und blickte mich an, als wäre heute sein Geburtstag, den ich vergessen hätte.
"Dann fliegen du und Leighton also heute in den Urlaub." begann er das Gespräch.
Ich gab einen zustimmenden Laut von mir, als ich meinen Becher an die Lippen hob, um mir einen Schluck des besten Cappuccino in Washington DC. zu gönnen.
"Es geht nach Hawaii." konnte ich mir nicht verkneifen zu erwähnen.
Monty verpasste sich einen Facepalm und zog die Hand durch seine hellblond gefärbten, immer durcheinander liegenden Haare. „Der Idiot hat sich verraten." erkannte der beste Freund meines Lebensgefährten. Breit grinsend nickte ich.
"Es ärgert ihn selber total und mich ärgert es, dass ihr davon wusstet und mir nichts erzählt habt." wetterte ich. „Und wo ist Celine?" setzte ich melodramatisch empört nach, sah mich dabei suchend nach ihr um.
Monty zuckte unagetan mit den Schultern. „Leighton hat uns mit dem Tod gedroht, wenn wir auch nur einen Hauch verraten. Mir war klar, dass er nicht dichthalten kann. Wir reden hier von Leighton. Geheimnisse waren nie seine Stärken." reagierte er auf den ersten Teil meiner Worte. „Wo Celine ist? Das frage ich mich seit einer verdammten Stunde."
Monty raufte sich die Haare, fluchte und verzog sein rundes Gesicht zum Gähnen.
"So wie ich sie kenne, wird sie bei ihrer neuen Flamme gepennt haben und sich nicht hochbequemen können." vermutete Monty. „Immerhin ist sie gestern nicht von ihrem Date mit Calum oder Cameron oder wie auch immer der heißt, wiedergekommen." vermutete er und streckte sich.
Amüsiert lächelnd betrachtete ich ihn.
"Ich bin mir sicher er hieß Chris." berichtigte ich ihn und trank einen weiteren Schluck von meinem Cappuccino.
"Wie auch immer. In zwei Wochen ist das eh wieder Geschichte." Monty rollte mit seinen Augen und schlurfte um den Tresen. Routinemäßig ging er die Runde durch das Stardust, um die wenige Kundschaft nach weiteren Wünschen zu befragen.
Meinen Blick ließ ich in der Zeit zu der großen Digitaluhr über der Mitarbeitertür wandern.
Fünf Minuten hatte ich noch, bis meine Straßenbahn ihren Weg zu der Haltestelle zehn Meter weiter fand.
Ich schweifte meinen Blick weiter aus, beobachtete Monty bei seiner Arbeit.
Er lebte für diesen Job im Cafe und obwohl er nie studiert hatte, hatte er dennoch das Aussehen eines Studenten, der hier arbeitete um sich sein Leben finanzieren zu können.
Dabei wirkte er keineswegs wie achtundzwanzig.
Montgomery hatte die famose Fähigkeit nicht zu altern, so hatte es den Anschein.
Er sah heute noch genauso aus wie vor fünfzehn Jahren, als ich ihn durch Leighton kennengelernt hatte.
Blonde durcheinandergewuselte Haare - die gerne mal unter einer Beanie verschwanden, wenn sie ihm zu unordentlich waren- sein rundes und liebenswürdiges Gesicht mit den braunen Hundeaugen und den immer zu einem kleinen Grübchen umspielenden Lächeln verzogenen schmalen Lippen.
Nur weniges hatte sich an ihm gewandelt. Im Vergleich zu damals hatte er sich angefangen lassen einen Bart zu wachsen, welcher ihn aussehen ließ wie David Guetta. Monty hatte außerdem aufgehört sich die Haare kunterbunt zu färben und hatte ein bisschen zugenommen.
"Übrigens, Leighton hat mich für heute Abend als Gitarristen engagiert. Sollen wir dich von der Kanzlei abholen und mitnehmen? Celine wollte dich das fragen, aber das hat sie bestimmt nicht, da sie noch nicht hier ist." Monty klatschte die Teller vor sich auf den Tresen und warf die Hände in die Luft, nachdem er seine Runde beendet hatte.
Ich schumzelte. „Das hat er gestern Abend erwähnt. Leighton hält Celine und mir einen Platz frei, aber nach dem letzten Jahr fahre ich leider nicht bei euch mit." lehnte ich ab und blickte zur Tür mit der Hoffnung dass dieses verrückte Huhn von und zu Celine aufkreuzte.
"Vielleicht besser so, wenn ihr danach gleich zum Flug..."
Kaum hatte ich daran gedacht rauschte Celine mit einem sonnengebräunten Baum ins Stardust und lachte wie ein abgestochenes Schwein.
"Du bist so lustig. Das musst du unbedingt Kaileigh und Monty erzählen." quietschte sie im Lachen und deutete zu uns beiden.
"Ich wusste es." grummelte Monty. Er bedachte Celine mit einem Mörderblick.
"Das wird sie mir büßen." flüsterte er.
Ich wusste, dass sein jetziges Vorhaben für Celines pures Unbehagen sorgen würde.
Trotzig trottete er hinter dem Tresen hervor, strackste zu Celine und legte einen Arm um ihre Schultern.
Erschüttert versuchte sie sich von ihm zu befreien, aber gab es auf. Stattdessen warf sie gekonnt ihre langen braunen Haare über die Schultern, um sich auf das kommende zu wappnen.
Ich beschloss für mich mir diese Show noch zu geben, bevor ich in zwei Minuten aufbrechen müsste.
"Schön dich auch mal zu sehen. Du bist doch bestimmt Calum, Celine hat mir so viel über dich erzählt." Monty straffte den Rücken und achtete darauf seine beste Freundin vor ihrem neuen Freund so richtig schön in den Dreck zu ziehen.
"Chris. Monty, er heißt Chris." tuschelte Celine ihm flüsternd mit einem aufgesetztem Grinsen zu. Sie versuchte sich erneut von seinem Arm zu befreien, als sie sich unsicher umsah und mich auf dem Hocker erblickte.
Sie winkte mir zu, versuchte ehrlich und begrüßend zu lächeln doch es erreichte ihre Augen nicht. Die waren gekennzeichnet von Mordlust gegenüber Monty.
"Oder war dein Name doch Carlos? Aber spanisch siehst du nicht aus."
Ich zwang mich ruhig zu bleiben und nicht über Montys grandiose Racheaktion in Lachen auszubrechen. Beschämt tippelte Celine, die die kleinste in der Runde der drei ausmachte, von einem Fuß auf den anderen, so dass ihr schwarzer Tellerrock mit schwenkte.
"Okay... Monty das reicht. Wir haben Arbeit zu erledigen." Celine versuchte Monty säuselnd von ihrem neuen Freund zu entfernen, aber scheiterte.
"Ach auf die paar Minuten Verspätung deinerseits kommt es nun auch nicht mehr an." tat Monty in gestelltem Ton ab und zog Celine noch mehr an sich.
Chris wirkte von dieser eifrigen Begrüßung nicht begeistert.
"Monty, das reicht jetzt wirklich. Ich sehe es ein, ich hätte dir vorher Bescheid sagen sollen, dass es..."
Celine wurde in ihrer Rechtfertigung unterbrochen.
"Nein nein, das passt schon. Mit Carlos warst du auch immer zu spät." Monty wuschelte Celine durch die Haare, die gequält daran teil haben musste wie ihr bester Freund sie in Filmreifer Manier blamierte.
"Willst du noch auf n Cafe bleiben, Calum? Kann ich dir etwas bringen?"
Monty funkelte Chris aus unschuldigen Labradoraugen an und blinzelte übersprudelnd.
Chris dagegen versuchte sich aus der Situation zu winden, in dem er fassungslos den Kopf schüttelte, Celine um eine Erklärung bat und sich schließlich aus dem Staub machte, als sie ihm hastig und gestresst versprach ihm alles später auszurollen.
Mit einer Hand zum winken in der Luft und der anderen um Celines Schultern rief Monty ein lautes: „Auf wiedersehen Calum Carlos!" hinterher, bevor er sie gehen ließ.
"Du bist ein Idiot Mongomery! Ein verdammter Idiot!" sie schimpfte auf Monty ein und holte nach ihm aus. Doch er wich aus und verschränkte stolz auf sein Tun die Arme vor der Brust. Seine Lippen hatte er zu einem spöttischem Lächeln verzogen, welches von tiefen Grübchen umgeben war.
"Chris wird mich hassen! Und dich hasse ich auch Kaileigh!" Celine deutete erbost auf mich. „Du hättest einschreiten können. Das ist die dritte Beziehung, die er mir damit jetzt Kaputt gemacht hat!" sie stampfte auf den Boden und fuchtelte beschwörend mit ihren Händen in der Luft herum, wobei sie Ähnlichkeit mit einem indianischen Regentänzer aufwies.
"Du hast mir nicht verraten, dass Leighton mit mir nach Hawaii will. Wieso sollte ich dir also aus der Klemme helfen. Er wäre dir in drei Wochen überdrüssig und du würdest ihn auf einen anderen Stern schießen." redete ich mich nicht schuldbewusst heraus und zuckte mit den Schultern.
Celine riss die Augen auf und brauste auf mich zu, um mir an den Schultern herumzureißen.
"Leighton hat dir verraten wo ihr hinfliegt? Der Kerl ist so ein Idiot!" schimpfte sie künstlich weiter. „Und ja vermutlich werde ich Chris auch auf den Mond Jagen. Aber fürs erste ist er einfach perfekt. Habt ihr seinen knackigen Hintern gesehen? Der ist zum reinkneifen." verehrte sie, nicht beachtend dass der Mond auf keinen Fall zu den Sternen zählte.
Ich schummelte meinen Blick zur Uhr und sprang übereilig mit meinem Becher in der Hand vom Hocker.
"Ich bin mir sicher, dass deine neue bessere Hälfte einen tollen Hintern hat, aber ich muss jetzt los.
Ihr müsst mich nach der Arbeit übrigens nicht mitnehmen, ich fahre mit einem Taxi."
Celine hielt mich zurück, als ich mich von ihr und Monty verabschiedete und an den beiden vorbei zur Tür raste.
"Halt. Stopp. Leighton hat dir aber nicht von mehr in eurem Urlaub verraten oder?"
Wollte sie mit beängstigend großen Augen wissen, Celine hoppelte auf ihren Sneakers auf und ab.
Ich runzelte die Stirn und schüttelte verwundert den Kopf. „Er hat sich genug darüber geärgert, dass er sich verraten hat."  Schulterzuckend entgegnete ich den Blick meiner besten Freundin. "Bis heute Abend wird er kein weiteres Wort über seine Urlaubspläne verraten." ging ich für Leighton sicher.
Celine nickte zufrieden. „Das ist gut so. Dann kannst du dich jetzt auf die Spur machen. Die Welt vor dem Bösen zu beschützen. Ich hab hier noch ein blondes Hühnchen zu rupfen."
Sie Umarmte mich zum Abschied, schob mich eifrig aus der Tür und machte sich daran ohne jegliche Scharm Monty für seine Blamageaktion zusammenzuscheißen und das mit Flüchen, bei denen selbst meine Ohren rot anliefen.
Ich hatte wohl die verrücktesten und besten Freunde, die man sich auf diesem Planeten wünschen konnte und einen wunderbaren Partner, der es leider nicht so ernst mit Geheimnissen aufnehmen konnte, wie er sich immer wünschte.
Was mir aber vor allem an Celine sorgen bereitete, war dass sie aller drei Wochen einen anderen Kerl anschleppte, ihr Vergnügen mit ihm hatte und ihn dann fallen ließ.
Monty spielte das, wie Leighton und ich vor ihr locker zur Seite, aber wir drei waren uns einig, dass das nicht lange gut gehen konnte.
Überraschend, wenn ich bedenke, dass sie dies bis auf eine Ausnahme ihr ganzes Leben schon durchgezogen hatte und dies nie ein schlechtes Ende genommen hat.
In der Ferne sah ich die Straßenbahn in Richtung Lincoln Memorial anrollen und setzte mich aus meinem Grinsen heraus in Bewegung, verpassen durfte ich die nicht, sonst würde ich wie Celine zu spät kommen und in einer Kanzlei konnte man sich größere Probleme dafür einhandeln, als von einem angefressenen Monty blamiert zu werden.
Schnellen Schrittes huschte ich in die stehende überraschend leere Straßenbahn und suchte mir einen Sitzplatz.
Meine Tasche platzierte ich auf dem Schoß. Während der Fahrt schlürfte ich gemächlich an meinem heißgeliebten Cappuccino im Galaxiebecher.
Inspizierend sah ich dabei auf die Monitore im Fahrzeug, die die neusten Meldungen national und internationaler Nachrichten anzeigten.
Leighton hatte recht. Jacopo Giulanis Mord sorgte sogar hier schon für Schlagzeilen. Außer mir jedoch kümmerte sich keiner darum und um die Tatsache, wie sein Sohn Adriano Giulani mit dem Erbe und dem Verlust zurecht kommen würde.

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