Leighton stand am Samstagnachmittag im strömenden Regen an der Hintertür zu meinem Zimmer.
Ich schreckte aus meinem Buch hoch als ich seine Figur am Glas wahrnahm und wirbelte sofort aus meinem Bett, um ihn die Tür aufzumachen.
"Es ist mitten am Tag, du kannst ruhig klingeln." begüßte ich ihn.
Ich ging mit meiner Hand lachend durch seine durchweichen Haare und ließ ihn ins trockene Haus.
"Meine Eltern beißen nicht, nur weil sie noch gemeinsam zusammen leben." scherzte ich.
Leightons blaue Augen trafen mich. So eiskalt wie sie mich ansahen, war ihm eindeutig nicht danach über meine Worte zu lachen.
"Tut mir leid." murmelte ich entschuldigend.
Ich zog an ihm vorbei zu meinem Bett und versah mein Buch mit einem Lesezeichen.
"Aber ich meine das ernst, du musst bei dem Wetter nicht durch den Regen laufen. Wir haben eine Klingel." beschrieb ich ihm.
Wortlos zuckte Leighton mit den Schultern und setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl.
"Ist denn alles gut bei dir?" fragte ich ihn.
Sorgenvoll sah ich zu ihm herüber.
"Ich weiß nicht ob alles gut ist, wenn mein vermeidlicher Vater am anderen Ende der Staaten wohnt und meiner Mutter urplötzlich einfällt, dass man zu seinem eigenen Kind mal freundlich sein kann." lachte er bitter über seine Umstände.
Ich biss mir auf die Zunge, sagte dazu nichts und wollte auch nicht, dass Leighton sich darüber aufregte.
"Kaileigh?"
Nach wenigen Momenten, in denen das Regenprasseln vor dem Haus lauter als unser Schweigen war, begann Leighton zu reden.
"Ich... ich muss dich etwas fragen." stammelte er unsicher.
Er fuhr sich durch seine regennassen Haare und schluckte schwer.
"Du willst mich um ein Date bitten?" nahm ich ihm witzelnd vorweg.
Er lachte, doch es erreichte nicht seine Augen.
In dem weißen Licht in meinem Zimmer wirkten sie so grau wie der Himmel.
"Naja. Nein. Das nicht." Leighton wich mir mit seinem Blick aus.
"Also... so halb." er wurde mit jedem Wörtchen leiser.
Überrascht blinzelte ich ihn an.
"Ein Date ist es garantiert nicht, aber... aber es gibt etwas zu essen." Das Lächeln auf Leightons Lippen wollte ihn immer noch nicht erreichen, auch wenn es munterer wirkte.
"Du... naja... ich glaube auch nicht dass wir ausgehen sollten. Wir... sind ja Freunde." Leighton ließ von seiner Unsicherheit nicht ab und kauerte wie ein Geist auf meinem Stuhl.
"Leight. Bleib ruhig. Frag mich einfach was du fragen möchtest. Das mit dem Date war ein mieser Scherz." gestand ich mir ein und warf ihm einen aufbauenden Blick zu.
Leighton straffte die Schultern. Mit der Hand rieb er sich über die Stirn.
"Meine Mutter hat meinen leiblichen... meinen Erzeuger zum Abendessen eingeladen. Und... Kai... kannst du da bitte dabei sein? Ich glaube sonst hat dieses Arschgesicht eher n Messer im Hals, als er überhautpt das Haus betreten kann." ratterte Leighton so schnell heraus, dass ich mühe hatte ihn zu verstehen.
"Der... der kommt mit seiner ganzen Familie... also mit den Kindern die er sonst noch hat. Meinen...meinen Halbgeschwistern." Leighton saß in meinem Zimmer, körperlich war er anwesend, aber als er realisierte, dass er Geschwister hatte, erschien er mir seelisch meilenweit entfernt.
"Ich... Kaileigh, bitte."
Flehend schielte Leighton zu mir.
"Ich werde dich nicht allein lassen." sagte ich seiner Bitte ohne zu zögern zu.
Leightons Lage war alles andere als einfach und als seine beste Freundin wäre ich die letzte, die ihm diesen Wunsch abstreiten würde.
Arthur und ich hatten heute morgen kurz telefoniert, doch nichts für den Tag ausgemacht. Anscheinend unternahm er etwas mit seiner Schwester über das er nicht begeistert erschien.
Ich hatte den Abend also Frei für Leighton.
"Danke, du bist echt die beste." ihm stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Ich konnte ihn unmöglich allein lassen, wenn er den Mann traf, der seine ganze Familie endgültig zerstört hatte.
Vielleicht würde ich ihm noch vor Leighton das Messer in den Hals rammen und es wie einen Unfall aussehen lassen.
"Dafür musst du dich doch nicht bedanken. Es ist doch klar, dass ich dir zur Seite stehe." schob ich gelassen ab.
Leighton begann an Leben zurück zu finden und wirkte ansprechbarer und anwesender, als den ganzen Rest der Woche.
"Wann müssen wir dann drüben sein? Willst du beispielhaft und vorbildlich pünktlich sein oder rebellisch und cool zu spät."
Leighton schmunzelte auf meine Bemerkung. Er zog an seinem Lippenpiercing. "Meine Mutter weiß nicht mal, dass ich außer Haus bin, sie hat nicht mal ne Ahnung, dass ich dich eingeladen habe."
Sein schmunzeln wurde zu einem feixen.
"Also das coole und rebellische zuspät kommen." schloss ich für uns.
Wir lachten und Leighton stimmte mir zu. "Ich muss mich vor diesem Arsch nicht als Vorzeigekind abstempeln lassen." brummte er.
"Und vor deinen Halbgeschwistern?"
Leighton zuckte mit den Schultern. "Bis vor einer Stunde wusste ich noch nicht mal, dass ich welche habe, also von daher." harkte er für sich ab.
Motiviert das Essen am Abend mit meiner Hilfe zu überstehen, sprang Leighton von meinem Stuhl und schritt an meinen Schrank.
"Du hast doch noch nen Satz Klamotten von mir da oder?"
Wie selbstverständlich zog er meine Türen auf und stierte in meinen Kleiderschrank.
"Sag mal gehts noch?" Ich sprang vom Bett auf und stürtze zu ihm. "Das ist mein Eigentum."
Ich langte an ihm vorbei, versuchte meine Schranktüren wieder zu zu bekommen, immerhin bewahrte ich meine Unterwäsche auch darin auf und die musste er nun wirklich nicht sehen.
"Du hast dich doch sonst nie so. Und wie sagst du immer? Wir haben doch schon alles voneinander gesehen."
Leighton strahlte vor guter Laune, so sehr, dass er die grauen Wolken am Himmel zu verdrängen schien.
"Ja aber..."
Aber ich hatte offiziell einen Freund. Wie eine Schranke stand ich nicht mehr zu dem offenem Umgang gegenüber Leighton und meinem Kleiderschrank.
"Aber was?" Leighton hatte gefunden, was er gesucht hatte.
Er zog ein rot und schwarz kariertes Hemd aus meinem Schrank, das er mal bei mir vergessen hatte.
"Kannst du da irgendwie die Arme so abschneiden, dass es noch mehr nach Punk aussieht?"
Leighton hielt mir das Hemd hin.
Ich zog eine Augenbraue hoch. "Irgendwo müsste ich von dir auch noch ne Hose haben, die geflickt und an anderen Stellen aufgerissen ist."
Ohne ein Wort erkannte ich seinen Plan und kramte nach dem erwähnten Kleidungsstück.
"Die Ärmel kannst du einfach anschneiden und dann abreißen, dann bleiben die Fäden hängen." gab ich Leighton den Tipp und suchte mir etwas passendes zu seinem Outfit heraus.
Prüfend überschaute Leighton meine Auswahl und nickte zufrieden. "N viel zu großes My Chemical Romance Shirt und ne dunkle Jeans mit Nietengürtel. Kaileigh, du bist echt ein Schatz." betitelte er mich.
Augenblicklich wurde er rot. Nervös fuchtelte Leighton mit seinen Händen herum. "Also.... so... ich hab das nicht so..." stotterte er los.
Ich trat an ihm vorbei, um meine Sachen aufs Bett zu legen und ihm durch die Haare zu gehen.
"Ich weiß wie du das gemeint hast Leight, schon gut." besänftigte ich ihn und küsste im vorbeigehen zu meinem Schreibtisch seine Wange.
Er hielt sie sich mit der Hand und wurde noch dunkler im Gesicht.
"Mach sowas nicht Kai, bitte." bat er mich aus plötzlich trüben Augen.
Ich fasste seinen Blick und nickte.
Jetzt verstand ich, wieso er immer so ruhig und nervös wurde, wenn ich seine Wange oder seine Stirn geküsst hatte und es tat mir leid, ihn so wie eben anscheinend verletzt zu haben.
Zielstriebig griff ich nach der Schere.
Leighton hielt mir sein Hemd hin.
An der einen Seite schnitt ich den Ärmel etwas ein und riss dann mit aller Kraft den Stoff ab.
Beim anderen machte ich das gleiche.
Leighton betrachtete mein Werk zufrieden und nickte. "Genau so hab ich mir das vorgestellt."
Seine Miene hellte sich auf. Er nahm sich die schwarze Hose, die ich für ihn gefunden hatte und verschwand im Bad, um sich umzuziehen.
Ich nutzte die Zeit und fand mich in meiner gewählten Kleidung zusammen.
Prüfend musterte ich mich im Spiegel und zog das Oberteil so, dass es zu der Jeans beinahe unpassend wie ein Kleid wirkte.
Wie ich zu dem Shirt kam, wusste ich absolut nicht. Es lag einfach eines Tages in meinem Schrank und weder Leighton noch Monty oder Celine hatten je danach verlangt, also hatte ich es behalten. Nutzte es aber überwiegend als Schlafoberteil und nicht für denn allgemeinen Gebrauch.
Leighton rauschte summend zurück in mein Zimmer und präsentierte mir sein rebellisches Outfit um seinen leiblichen Vater einen Herzinfarkt zu verpassen.
"Da fehlt noch etwas." Leighton sah aus wie ein Rockstar, aber wie ein braver und nicht wie einer, der sich von Null auf Hundert in die Menge warf.
"Deine Haare sehen zu brav aus, wenn du sie nach unten gekämmt hast. Wir werden sie nach langer Zeit mal wieder hochgelen."
Leighton nickte folgsam und mit brodelnder Vorfreude für den Abend.
Dabei hatten wir noch eine ganze Stange Zeit, um uns fertig zu machen. Aber es machte spaß, dass wir uns verkleideten und zum ersten mal in dieser Woche mal wieder sorgenlos und unbeschwert unsere Scherze machen konnten.
Ich gelte Leighton die Haare hoch und ummalte seine Augen zusätzlich mit einer ganz dünnen Schicht Eyeliner.
Meine Augen malte ich mir auch an, doch um dem ganzen noch eins drauf zu setzen, kam auf meine Lippen noch ein schwarzer Lippenstifft.
Leighton sah zu mir herüber, beobachtete mich mit einem schimmern in seinen Augen, dass mir zuvor schon aufgefallen ist, dem ich aber nie genügend Beachtung geschenkt hatte um es bewusst wahrzunehmen.
Auf seinen schmalen Lippen ruhte dazu ein knappes Lächeln, das perfekt zu seinem Outfit passte.
Durch meinen Spiegel erwiderte ich sein Lächeln.
Leighton wandte seine Augen von mir ab, biss sich auf sein Piercing und wurde rot um die Nase.
"Das steht dir. Also das Outfit und der Lippenstift" stammelte er mit hochrotem Gesicht und hielt sich die Wangen.
"Dir steht das auch." gab ich an ihm zurück. "Die abgerissenen Ärmel und der Eyeliner."
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Deadend
Roman d'amour"Was soll ich denn bitte machen, dass über dein Erscheinen von meinen Kollegen als Notfall gesprochen wird. Habt ihr mit Menschen gehandelt und ich soll Spuren verwischen? Habt ihr Gelder hinterzogen? Jemanden ausversehentlich mit einem gezielten Ko...