36 | story

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Ich war überfordert. Es gab so viel Dinge, die ich wissen wollte, dass ich gar nicht erst wusste wo anfangen. Aber es war die Gelegenheit, ich musste sie einfach ergreifen.

Zögernd ließ ich von ihm ab und ging in die Küche, um mir noch einmal Kaffee zu machen. Yoongi folgte mir und setzte sich an den Tisch. Die Situation eben war ein wenig unangenehm, seine Blicke in meinem Nacken machten es nicht besser. "Als ob du das Zeug gerne trinkst", meinte er und sah mich leicht angewidert an.

"Mir geht es hauptsächlich um Koffein", antwortete ich.

"Wenn du müde bist, kannst du doch einfach schlafen."

"Ich bin nicht müde. Das ist einfach eine schlechte Angewohnheit von mir", erklärte ich. "Tut jetzt aber nichts zur Sache. Erzähl du doch lieber von dir."

"Alles?" Ich nickte. "Gut, aber dann sind wir noch morgen um drei nicht fertig."
Tatsächlich log er nicht was das anging. Aber es war mir egal, ich könnte ihm ewig zuhören.

"Also gut. Wie du weißt, war ich nicht immer so. Kurz nach meinem 23. Geburtstag ist es geschehen. Meine Eltern sind früh gestorben, also musste ich auf meinen kleinen Bruder aufpassen. Zu diesem Zeitpunkt war er sechzehn, auch ihn hat es erwischt und wir waren komplett auf uns alleine gestellt. Weißt du, die Art und Weise, wie meine Welt funktioniert ist eine ganz andere als die der deinen. Du musst alles noch einmal lernen und es gab niemanden, der uns irgendetwas erklärte. Das einzige, was uns blieb, waren wir. Egal welches Leben wir gerade führten, wir waren immer zusammen, bis auf ein einziges Mal. Ich machte meine Ausbildung zum Arzt, er hingegen wurde Lehrer. Im Nachhinein lohnte es sich, schließlich konnte ich dir so das Leben retten. Früher war es nicht ungewöhnlich, dass so etwas passierte, aber ich kann mir immer noch nicht erklären, wie du auf etwas allergisch reagieren kannst, wenn dieses Kraut schon länger ausgestorben ist als alles andere. Aber das tut nichts zur Sache, denn da war noch immer alles gut. Etwa vierhundert Jahre später gab es eine große Schlacht, bei der mehrere meiner Art zum zweiten Mal ihr Leben verloren hatten. Hoseok war unter ihnen. Ich war so wütend und erschüttert, dass ich alle anderen umbrachte, bevor sie sich überhaupt wehren konnten. Einer nach dem anderen. Es waren viele und als ich von oben auf sie herabblickte, fiel mir zum ersten Mal so richtig auf, was für ein Monster ich doch bin. An dem Tag beschloss ich, mir selber ein Ende zu setzten. Einen Arm zerschnitt ich, mit dem anderen hielt ich Hoseoks Hand. Aber wie du siehst, geht es mir wieder blendend. Das war der Moment, in dem ich beschloss, hinter einer Mauer zu leben. Ich habe viele Menschen, die mir nahe standen verloren, aber den Tod meines Bruders verkrafte ich teilweise heute noch nicht, und das ist schon mehr als dreihundert Jahre her. Deswegen zweifle ich auch daran, dass es eine gute Idee ist, dir zu nahe zu kommen. Doch dann erinnere ich mich an die schönen Zeiten mit Hoseok und denke mir, dass diese viel bedeutender sind als die ohne ihn."

Wow. Lange suchte ich nach einem passenden Wort oder einem Satz, aber es gab einfach nichts, was ich dazu sagen konnte. Alles was ich sah war sein gebrochener Blick und sein dennoch ehrliches Lächeln, also stand ich auf und umarmte ihn. Für eine kleine Ewigkeit verharrten wir in dieser Position, bis er mich selbstsicher auf seinen Schoß zog. Mein Herz fing an, viel zu schnell zu schlagen und ich versuchte mich zu beruhigen, immerhin konnte er es hören.

Es war irgendwie komisch, jemanden zu umarmen aber keine Wärme dabei zu spüren. Vorhin war es mir nicht aufgefallen, weil ich ein anderes Problem hatte, aber jetzt wollte ich nur für ihn da sein. Mir war es grundsätzlich egal, es war nur ungewohnt.

Vorsichtig lehnte ich mich an ihn. Um ehrlich zu sein war die Position angenehm, zu meinem Glück blieben wir für einige Stunden so sitzen, wenn auch unbewusst. Wir redeten einfach so viel, dass wir die Zeit völlig vergaßen. Yoongi erzählte weiter von sich und seiner Spezies allgemein. Was sie ausmachte, wie sie stärker wurden aber auch wie man sie schwächen konnte, also im Grunde wusste ich nun genug, um einen Vampir aufzuhalten, auch wenn ich hoffte, dass ich das nie musste. Immerhin konnte ich mir bei Yoongi sicher sein, dass er mich oder meine Freunde nie angreifen würde, aber wer wusste, wie viele eigentlich unter uns lebten.

Um circa halb drei in der Früh wurde ich dann müde. Mein Schlafrhythmus litt in letzter Zeit ordentlich, aber noch hatte ich frei. Da fiel mir wieder etwas ein.

"Hey Yoongi, was ist eigentlich mit deinem Studium?", wollte ich wissen.

"Habe ich abgebrochen, aber keine Sorge. Psychologie habe ich schon viermal studiert", antwortete er locker.

"Was willst du machen, wenn ich wieder regelmäßig zur Arbeit muss? Ich vertraue dir einfach mal und sage, dass du keine Scheiße baust. Kann ich doch, oder?", hakte ich nach.

"Natürlich. Vielleicht werde ich mir auch einen Job suchen, mal sehen."

Gähnend meinte ich, dass ich zu Bett gehen würde. Nachdem ich mir die Zähne geputzt und mich umgezogen hatte ging ich in mein Zimmer und machte die Tür zu. Ich legte mich in mein Bett und ließ den Tag noch einmal vor meinem inneren Auge abspielen. Es war so viel passiert und ich wusste nicht mehr, was ich denken oder fühlen sollte.

Doch bevor ich mir darüber den Kopf zerbrechen konnte, schlief ich tief und fest ein.

hunted || taegiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt