Versprichst du mir das?

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Wortlos fuhren Elyas und Lena vom Krankenhaus weg. Obwohl es draussen sommerliche 29 Grad Celsius waren und Elyas die Klimaanlage nicht anmachte, waren seine Hände kalt. Er zitterte und brauchte seine komplette Konzentration für die Strasse. „Kannst du mich zu Hause absetzen und Leonie alleine abholen?" fragte Lena und riss Elyas aus seiner dunklen Welt. Er guckte sie erschrocken an und formte seinen Mund um etwas zu sagen. Sofort sprach sie: „Ich möchte einfach nur ein paar Minuten alleine sein. Keine Sorge! Bitte!" Er nickte und griff nach ihrer Hand um sie fest zu drücken.

Vorsichtig betrat Elyas das Haus seiner Mutter und hörte, wie seine Mutter Rosemarie ein Kinderlied für Leonie sang. Als er ins Wohnzimmer ging, sah er seine Prinzessin wimmernd in den Armen der Oma. „Gut, dass du kommst! Sie hat sich gerade an der Tischkante gestossen und du kannst sie am besten beruhigen." sagte Elyas Mutter. Schnell nahm er seine Tochter in den Arm und küsste sie zärtlich. Sie schlung ihre kleinen Armen um seinem Hals und hörte sofort auf zu weinen. „Was ist mit Lena? Ist alles Ok? Musste sie im Krankenhaus bleiben?" fragte Rosemarie. Er drückte Leonie fester an sich und schüttelte seinen Kopf. Seine Mutter zog die Augenbrauen hoch und fragte: „Kannst du mir auch sagen, zu welcher Frage du gerade den Kopf geschüttelt hast?" Tränen stiegen in Elyas Augen und er stotterte: „Sie...sie hat einen Tumor. Die Ärzte sagen, sie hat noch.. vielleicht..." Er konnte nicht weitersprechen, liess sich mit Leonie gegen die Wand fallen und rutschte langsam nach unten. Tränen liefen ihm die Wangen herunter und Rosemarie kam zu ihm und und nahm seinen Kopf in den Arm. Er schluchzte: „Zwei Monate, nur zwei Monate, das reicht nicht."

Lena ging langsamen Schrittes in den Garten und setzte sich in einen der Sonnenstühle. Sie hielt sich ein Auge zu um eine klare Sicht zu bekommen. Aber es gelang ihr nur mittelmässig, denn anscheinend funktionierte das nur, wenn man betrunken war. Sie starrte auf den riesigen Sandkasten und die Kinderrutsche und –schaukel, die Elyas für Leonie bauen liess. Sie lächelte ganz leicht, denn mal wieder wurde ihr bewusst, was für ein toller Vater er war. Sie kämpfte mit ihren Tränen, aber atmete tief durch und sagte zu sich selbst: „Nein, ich muss jetzt stark sein, so lange es geht! Elyas braucht das!"

Elyas hatte die ganze nächste Woche Termine und musste Lena alleine lassen. Immer wieder fragte er, ob er die Babysitterin anrufen sollte, damit Lena nicht so viel Arbeit hatte. Aber sie versicherte ihm jedes Mal, dass sie alleine auf Leonie aufpassen konnte. In der Tat wurde ihr Augenlicht jeden Tag schwächer und die Schmerzmittel machten sie müde, aber sie wollte keine Sekunde mit ihrer Tochter missen. Sie wollte ihm zeigen, wie stark sie war und sie wollte ihre letzten Tage geniessen.

Am Samstagmittag kam Elyas ins Schlafzimmer, küsste Lena zärtlich auf die Stirn und sagte: „Guten Morgen, wie geht es dir? Hast du Lust, wegzufahren?" Sie lächelte, nickte und fragte: „Wohin?" Er gab ihr einen Kuss auf den Mund und antwortete: „Es ist eine Überraschung. Es ist nicht weit weg, aber es ist etwas Anderes. Und es ist nah genug um zurückzukommen, wenn du ärztliche Hilfe brauchst." Sie atmete tief ein und sagte: „Mir geht es gut... noch. Mach dir keine Sorgen!" Schnell stand sie auf, machte sich fertig und fühlte nach ein paar T-Shirts, Hosen und Unterwäsche um sie in einen Koffer zu legen.

Am Abend stand Lena auf einem Balkon am Gardasee und guckte in die Ferne. Langsam kam Elyas von hinten und umarmte sie und roch an ihren Haaren. Es war dieser Geruch, den er nicht verlieren wollte, diese Stimme, diese hübschen Augen, diese tollen Gespräche abends bei einem Glas Wein und die Stärke, die sie ausstrahlte. Elyas flüsterte in ihr Ohr: „So ein schöner Sonnenuntergang! Alles erscheint so perfekt!" Lena sagte trocken: „Ich kann das nicht mehr sehen." Er neigte seinen Kopf nach unten und küsste ihre Schultern: „Schade! Es ist wunderschön!" Mit beschlagener Stimme sprach sie: „Aber es ist perfekt.Ich fühle die untergehende Sonne auf meinen Armen, ich höre die Vögel zwitschern und ich spüre dich, einen wundervollen Ehemann und Vater... Elyas, bitte versprich mir etwas!" Sein Herz schien sich zu versteinern und mit zittriger Stimme fragte er: „Was denn?" Lena schluckte und stotterte: „Wenn ich nicht mehr da bin, dann... bitte... du musst jemanden finden, der eine gute Mutter für Leonie sein kann. Sie braucht eine Mama...jemanden, der sie liebt, so wie ich es tun würde. Und du brauchst jemanden, der dich zu schätzen weiss und das von Anfang an. Niemanden wie mich, der immer nur gezweifelt hat und der zu spät erkannt hat, dass du der Richtige bist. Versprichst du mir das? Bitte!" Elyas brach in Tränen aus und klammerte sich an sie: „Lena, bitte, hör auf!" Sie drehte sich um und versuchte in seine Augen zu gucken: „Bitte, versprich es mir! Du musst!" Er atmete schnell und schluchzte: „OK... OK. Ich verspreche es!" Genau in diesem Moment kam Leonie auf den Balkon, hob ihre Arme nach oben und sagte ganz deutlich: „Papa!" Beide guckten sich erschrocken um, denn das war Leonies erstes Wort. „Ganz das Papakind!" sagte Lena halblächelnd und halbweinend. Elyas nahm seine Tochter hoch, schlung seine Arme um sie, küsste Lena und sagte: „Das Wort ‚Mama' wird sie auch ganz schnell lernen."

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