Nein...Elyas!

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Drei Monate später, es war kurz vor Weihnachten, standen Elyas, Ava und Leonie am Lufthansa-Schalter in Tokyo um nach Deutschland zu fliegen. Die Kleine lief aufgeregt um Elyas Beine herum, denn schon seit Tagen schwärmte ihr Elyas von Schneemännern und Schlitten fahren vor und sie konnte es nicht erwarten. Obwohl sie erste Klasse flogen, gab es eine kurze Schlange am Schalter und Elyas vertrieb sich die Zeit damit, Avas kleinen Babybauch zu streicheln und sie zärtlich auf die Wange zu küssen. „Du wirst Deutschland lieben!" flüsterte er ihr ins Ohr und sie strahlte ihn an, denn sie glaubte ihm.

Plötzlich wurde Elyas schwindelig. Er hielt sich bei Ava fest, aber noch immer schien sich alles hin und her zu bewegen. Ava guckte ihn erschrocken an und auch alle anderen Passagiere in den Schlangen rissen ihre Augen auf und sofort ertönten die ersten Schreie: „Erdbeben! Raus hier! Schnell!" Elyas griff nach Leonie und setzte sie sicher auf seinen Arm und lief mit Ava in der Hand Richtung Ausgang. Die Bewegungen wurden immer stärker und man hörte, wie die Glasscheiben zersprangen, Schränke gegeneinander prallten und wie ein eigenartiges Dröhnen von unten sich den Weg nach oben bahnte. Das Laufen wurde fast unmöglich und immer wieder hatte Elyas das Gefühl, dass er umkippen würde, weil seine Beine keinen sicheren Halt finden konnten. Die bedrohlichen Geräuche wurden immer lauter und Ava krallte sich an Elyas Fingern fest. Der Weg war lang und vor den Ausgangstüren bildete sich eine Schlange panischer Menschen, die mit aller Kraft nach draussen drückten. Elyas hielt Leonie eng umschlungen, aber immer wieder drohte sich Avas Hand aus seiner zu lösen. Sie wurde in alle Richtungen geschubst und kämpfte mit ganzer Kraft, Elyas' Hand nicht zu verlieren. Ihr Herz schlug rasend schnell und Schweisstropfen stiegen ihr vor Angst ins Gesicht, aber gleichzeitig wurde ihr kalt. Dann trat ihr jemand mit vollem Schwung mit High Heels auf den Fuss und sie schrie vor Schmerz auf und liess Elyas Hand los. Tausende von Stimmen und krachende Geräusche vernebelten ihre Sinne und sie guckte sie orientierungslos um. „Elyas! Elyas! Wo bist du?" rief sie und drehte sich in der Menge wie wild umher. Plötzlich fasste sie ein älterer europäischaussehender Mann an die Schultern, sagte „Kommen Sie!" und schob sie schnell mit dem Rest der Menge durch den Ausgang. Draussen angekommen, atmete sie in hastigen Zügen und rief wieder und wieder nach Elyas. Aber sie konnte ihn nicht sehen. Doch genau in diesem Moment stürzte der vordere Teil der Ausgangshalle ein und begrub tausende schreiende Menschen unter sich. Ava riss die Hände vor den Mund, sank auf die Knien und schrie: „Nein... Elyas!!!" Ein brennendheisses Messer stiess sich in ihre Brust und bewegte sich ganz langsam in Richtung Herz.

Sekunden später hörten die Bewegungen auf und es herrschte eine unheimliche Stille, bis Krankenwagen und Polizeiautos mit lauten Sirenen vor die Flughafenhalle fuhren. Mit schweren Atemzügen stand Ava wieder auf und guckte sich noch einmal um. Aber überall sah sie nur die glatten pechschwarzen Haare der Japaner, nirgends einen dunkelbraunen Lockenkopf mit einem Kind auf dem Arm. Tränen liefen ihre Wangen entlang und sie zitterte am ganzen Körper, aber sie versuchte sich zu fassen und lief zu einem der Polizeiauto und schrie: „Mein Freund und seine Tochter sind noch da drin!"

Es dauerte nur Minuten und schnell wurden Stände und Zelte aufgebaut, wo man angeben konnte, wer vermisst war. Es wurde nach Nationalitäten sortiert und da Elyas, Ava und Leonie an dem Lufthansa-Schalter gestanden hatten, ging sie sofort zu dem Stand für die Deutschen. Inzwischen erschienen auch hunderte von Polizeimännern mit Suchhunden und begaben sich auf die Trümmerberge.

Noch immer weinte Ava als sie der Beamtin für die deutschen Vermisssten sagte: „Ich suche meinen Freund, Elyas M'Barek und seine Tochter Leonie." Die Angestellte stockte: „M'Barek? Sicher, dass er Deutscher ist?" Ava riss die Augen auf und realisierte, dass sie überhaupt nicht wusste, welche Nationalität Elyas hatte. Natürlich sah er exotisch aus und eher nach einem Südeuropäer oder vielleicht Nordafrikaner, aber er hatte doch immer nur von Deutschland gesprochen. Ava stotterte: „Er... er wohnt in München... schon immer, also lange... also, ich weiss nicht." Plötzlich riss die Diplomatin die Augen auf und fragte etwas hektisch: „Elyas M'Barek? Der Schauspieler???" Ava nickte schnell: „Ja, der Schauspieler."

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