Ich vermisse sie so sehr

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Elyas erwachte, riss seinen Kopf nach oben und guckte sich erschrocken um. Noch immer sah er Leonie vor sich, wie sie weinend durch einen grossen dunklen Wald rannte. Er atmete tief ein und dachte sich: „Boah, was für ein schrecklicher Albtraum!" Aber dann realisierte er, wo er wirklich war. Plötzlich bekam er stechende Kopfschmerzen, ihm wurde übel und er rannte ins Bad des Krankenhauszimmers um sich zu übergeben. Er stand auf, wusch sich sein Gesicht und guckte sich im Spiegel an. Seine Augen waren rot unterlaufen, er hatte tiefe Augenringen und Falten. Seine Haut war blass und matt. Er schluckte, rieb sich durchs Gesicht und brach erneut in Tränen aus. In dem Moment hörte er Geräusche im Zimmer und ging zurück zu Ava. Dort sah er zwei Polizeimänner und sein Herz schlug schneller in der Hoffnung, dass sie gute Nachrichten hätten. Sofort fragte er: „Haben Sie sie gefunden?" Der Älteste kam auf ihn zu, schüttelte den Kopf und sagte: „Leider nicht. Wir sind hier um zu sehen, ob sich die Babysitterin vielleicht noch an etwas erinnern kann, was uns helfen könnte. Wir haben die ganze Nacht durchgesucht. Die Vermisstenanzeigen sind in allen Medien, aber leider haben wir noch immer keine Spur." Elyas seufzte, spürte eine eisige Kälte in sich aufsteigen und guckte zu Ava, die noch immer schlief: „Sie weiss nichts." Dann richtete er seinen Blick wieder auf den Polizisten und fragte: „Was ist, wenn die Diebe sie entführt haben?" Sofort schüttelte der Beamte seinen Kopf: „Dann hätten wir schon etwas von Lösegeldforderungen gehört. Wir wissen einfach nicht mehr weiter." Und genauso fühlte sich Elyas ebenfalls: Auch er wusste nicht mehr weiter. Er fühlte sich schwach, jegliche Energie wurde von einer unsichtbaren Kraft herausgesaugt und alles um ihn herum war grau.

Er sass auf seinem Sofa in seinem Apartment und starrte auf Leonies Decke und Legosteine, als es an seiner Tür klopfte. Vorsichtig öffnete sich die Tür und Ava trat in seine Wohnung. Er drehte seinen Kopf, sah sie und fragte überrascht: „Die haben dich schon entlassen?" Sie zuckte leicht mit den Schultern: „Naja, ich wollte raus. Ich wollte etwas machen und nicht nur nutzlos da rumliegen." Elyas lachte traurig auf: „Du kannst nichts machen. Guck mich an: Ich bin heute noch 5 mal durch den Wald gerannt und habe nach ihr gerufen. Die Polizei sucht angeblich in allen Krankenhäusern und Weisenhäusern nach ihr. Selbst am Flughafen haben sie spezielle Kontrollen, falls jemand sie aus dem Land bringen möchte. Aber nichts. Sie ist einfach weg! Was ist, wenn sie irgendwo ganz alleine ist? Wenn sie tiefer in den Wald gelaufen ist oder irgendwo anders hin ist? Sie ist 1,5 Jahre alt und schon mehr als 24 Stunden verschwunden. Sie stirbt doch!" Ava spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog und sagte mit beschlagener Stimme: „Du musst daran glauben, dass sie zurückkommt. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwo ist und dass es ihr gut geht." Plötzlich wurde ich schwindelig und ihre Knie wurden weich. Sie verlor die Balance und fiel nach hinten. Im allerletzten Moment sprang Elyas auf und konnte sie auffangen. Er nahm sie auf den Arm und trug sie zu seinem Bett und sagte leise: „Leg dich hin. Du solltest mit der Gehirnerschütterung nicht rumlaufen." Er hielt ihre Hand und strich vorsichtig mit seiner anderen über ihren Arm. „Leg dich zu mir! Du siehst nicht viel besser aus." sagte sie leicht lächelnd, aber es war ein traurigen Lächeln. Er legte sich ganz nah an sie heran und spürte ihre Wärme und ein bisschen ihrer Hoffnung.

Die nächsten Tage blieb Ava an seiner Seite und obwohl sie kaum miteinander sprachen, waren sie doch füreinander da. Oft kuschelten sie miteinander, aber küssten sich nie. Es erschien ihnen in dieser Situation nicht angebracht. Stundenlang sass Elyas schweigend vor seinem Telefon und wartete darauf, dass es klingelte. Aber es blieb stumm. In den Nachrichten und Zeitungen erschienen noch immer regelmässig die Vermisstenanzeigen, aber niemand meldete sich bei der Polizei um zu sagen, dass Leonie irgendwo gesehen wurde. Er betete jeden Tag für den kleinsten Hinweis oder ein Zeichen dafür, dass sie noch am Leben war. Aber seine Gebete wurden nicht erhört.

Es war an dem Abend des 4. Tages nach Leonies Verschwinden, als er mal wieder schlaflos im Bett lag. Er stand auf, ging raus auf die Terrasse und wurde sofort von einem eisigen Herbstwind begrüsst. Trotzdem setzte er sich auf den Stuhl, guckte nach oben in die wolkenlose Nacht und sah tausende von funkelnden Sternen. Eine Weile schweifte sein Kopf hin und her, als ob er etwas suchen würde. Dann plötzlich sprach er: „Lena? Bist du wirklich da oben?" Er wartete und hörte den kalten Wind pfeifen. „Weisst du, wo Leonie ist? Ist sie bei dir? Ich habe mein Versprechen gebrochen, ich habe nicht gut auf sie aufgepasst, es tut mir Leid. Ich habe unsere Tochter verloren. Ich bin am Ende." Für einen Moment stoppte er und Tränen liefen seine Wangen herunter. Mit zittriger Stimme sprach er weiter: „ Lena, ich weiss nicht, ob das geht, aber vielleicht kannst du mir ja ein Zeichen geben. Bitte, ich muss wissen, ob sie noch am Leben ist und wenn ja, wo. Ich will sie finden! Ich vermisse sie so sehr!"

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