Ich bin für dich da

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Am nächsten Morgen schlich sich Elyas 6.00 Uhr aus seiner Wohnung um schnell etwas zu essen und dann zum Set gefahren zu werden. Ava schlief noch tief und fest in seinem Bett, aber er wusste, dass sie sofort aufwachen würde, wenn Leonie auch nur den kleinsten Mucks machte. Sie war inzwischen wie ihre Mutter geworden.

Elyas sass gerade mit dem Filmteam unter einem Zelt in der wundervollen Landschaft von Neuseeland und liessen sich vom Catering verwöhnen, als sein Handy piepte und eine Nachricht von Ava ankündigte: „Wir reden heute Abend!" Er schluckte und steckte sein Handy sofort wieder in seine Hosentasche. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und wusste nicht, was auf ihn zukommt. Er mochte Ava so sehr und konnte ihre Handlungen von gestern einfach nicht interpretieren. Plötzlich fragte Tom: „Na, was läuft da zwischen dir und der Babysitterin? Ben hatte sie ja damals einen Megakorb gegeben." Schnell zuckte Elyas die Schultern: „Nichts weiter, wir sind sehr gute Freunde und ich verbringe gerne Zeit mit ihr."

Am Abend betrat Elyas gähnend seine Wohnung und sah Ava mit Leonie auf dem Sofa, wie sie einen Kinderfilm guckten. Nur einmal am Tag durfte die Kleine fernsehen und das war meistens vor dem Schlafen gehen. Er lächelte Ava etwas schüchtern an, begrüsste sie und fragte: „Alles OK?" Sie nickte, streichelte Leonie durch ihre Haare und sagte: „Ja, uns geht es gut." Er setzte sich ebenfalls auf das Sofa und realisierte endlich, welche DVD lief. Er lachte: „Du solltest ihr die deutsche Version zeigen, denn da habe ich den Bären gesprochen!" Ava runzelte die Stirn: „Du hast Paddington-Bär gesprochen?... Hmm, naja, doch, die Stimme würde ganz gut passen." Er gab ihr einen kurzen Kuss und sie erwiderte ihn gerne.

Als Leonie im Bett war, setzten sich Ava und Elyas raus auf die Terrasse. Die Temperaturen waren heute frisch, aber nicht zu kalt und Ava genoss die Sicht auf die Sterne. Sie tranken schweigend ein Glas Wein und plötzlich sprach sie: „Du wolltest wissen, warum ich mit 15 von zu Hause abgehauen bin?" Er schluckte, denn er wusste, dass jetzt ein unangenehmes Gespräch auf ihn warten würde. Er würde etwas hören, was ihm vielleicht nicht gefiel, was Ava weniger perfekt macht würde. Aber dann nickte er. Sie atmete tief ein und sagte: „Ich bin weggelaufen, weil ich es nicht mehr ertragen konnte." Kurz stockte sie und kämpfte mit ihren Tränen. Aber dann ging es weiter: „Mein Vater hatte mich jahrelang misshandelt. Fast jede Nacht kam er in mein Zimmer und nahm sich das, was er von meiner Mutter nicht bekam. Und sie wusste es. Ich bin mir ganz sicher, dass sie es wusste und sie hat nie etwas unternommen!... Und als ich 15 wurde und alle meine Freundinnen ihre ersten Beziehungen hatten und so aufgeregt von ihrem bevorstehenden ersten Mal sprachen, habe ich eines Nachts meine Tasche gepackt und bin abgehauen. Ich komme nicht aus Christchurch. Dort bin ich irgendwann gelandet. Aufgewachsen bin ich in Wellington." Sie starrte in die Ferne und Elyas guckte sie kurz an, aber sie schien in einer Art Trance gefangen. Sie sprach von etwas, was sie jahrelang gequält hatte und sie nie vergessen konnte. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinem Herzen, aber bracht kein Wort heraus. Seine Gedanken kreisten: „Was sage ich jetzt? Was kann man sagen? ‚Das alles ist jetzt vorbei? Das spielt keine Rolle?' Fuck! Natürlich spielt es eine Rolle, es wird für sie immer eine Rolle spielen. Deswegen konnte sie sich gestern nicht auf mich einlassen." Er griff langsam nach ihrer Hand und strich über ihre zarten Finger und sprach ganz leise: „Ich würde dir nie weh tun.... Ich... Scheisse, ganz ehrlich, ich weiss nicht, was ich sagen soll. Ich mag dich so sehr und ich... verspreche dir, dass ich immer vorsichtig sein werde." Sie nickte und Tränen liefen ihre Wangen entlang: „Das ist es nicht. Ich weiss, dass du mir nicht weh tun willst. Aber... ich war so lange in Therapie, ich habe die Scheisse selbst studiert. Vielleicht genau deswegen, aber ich habe immer Angst. Immer... bis jetzt konnte ich es nicht geniessen. NIE! Ich sehe immer meinen Vater vor mir. Und ich hasse ihn so sehr dafür. Aber... Elyas, ich liebe dich und ich will, dass es funktioniert. Ich will es wirklich, aber gestern kam alles zurück." Sie liess ihren Kopf in ihre Hände fallen und schluchzte. Er rückte mit seinem Stuhl noch ein bisschen näher, zog sie eng an sich heran und umarmte sie. Er gab ihr Halt und Kraft und küsste ihre salzig-schmeckenden Wangen. Dann endlich sagte er: „Ava, ich liebe dich! Und ich bin für dich da!" Sie atmete tief vor Schock auf und konnte es nicht glauben. Innerlich fragte sie sich: „Hat er gerade gesagt, dass er mich liebt?"

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