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Ich stützte meine Ellenbogen auf die Knie, mein Kinn lege ich auf die Handflächen. Mein Blick starr geradeaus gerichtet. Die Kälte um mich herum, macht mir nichts. Ich spüre sie nicht mal richtig.

Das Einzige woran ich denken kann, ist, das May schon wieder weg ist. Ich weiß nicht mal mit wohin oder mit wem.

Mit Seth?

„Hey.“

Eine vertraute Hand legt sich auf meine Schulter. Doch ich reagiere nicht darauf. Paige setzt sich neben mich, atmet aus und fängt sofort an zu zittern. Ihre Ärmel zieht sie bis zu ihren Fingernägeln runter und verschränkt die Arme ineinander.

„Du solltest nicht hier sitzen.“ Sagt sie zu mir mit klappernden Unterkiefer.

Meine Finger nehme ich ein paar Zentimeter von meinen Lippen ab und atme. „Du solltest hier nicht sitzen. Geh wieder rein.“

Sie rückt nah an mich. Schenkel an Schenkel, Schulter an Schulter. Ihren linken Arm schiebt sie unter meinen rechten und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass sie mich ansieht.

Wenn sie so nah an mir sitzt, kann ich ihren zitternden Körper fühlen. Die Kälte, die sie umhüllt.

„Was glaubst du, tust du hier?“ fragt sie sanft und rückt noch näher, als wolle sie meine Körperwärme in sich aufsaugen.

„Nachdenken.“ Erwidere ich.

Ihre Zähne beißen in ihre Unterlippe. „Du solltest damit aufhören, Harry. Irgendwann bringt es dich um.“ Flüstert sie, während ihr Atemnebel in mein Gesicht gehaucht wird.

„Ich kann nicht …“ atme ich. In nur einer verfluchten Sekunde merke ich die dicke Schicht Tränen, die es sich auf meinen Augenlidern bequem machen und drohen über zu schwappen. Irgendwie bin ich in der Hoffnung das es durch zwinkern verschwindet. Aber nichts nützt.

Das Gefühl ist wieder da. Dieses Gefühl, dass ich keine Ahnung habe wo May ist. Mit wem oder schon Tod ist. Seth hat doch gesagt, dass ich ihr dabei zusehen soll, wie sie zu einer Mistgeburt werden soll. Und dann war ich selbst in Trance gefallen.

„Ich verstehe es nicht.“ Sagt Paige und schaut nach vorne. „Wie kann May hier gewesen sein? Dean, Roman und ich haben sie überhaupt nicht ...“

„Ich weiß es selbst doch nicht einmal!“ unterbreche ich sie laut und sehe in ihre dunklen Augen. Sie schließt den Mund. Dann zieht sie ihren Arm unter meinen weg und steht auf.

„Paige …“ sage ich ruhig und will nach ihrer Hand packen, doch sie zieht sie willkürlich weg und schließt die Kirchentür hinter sich. Ich bin allein.

Ich hätte sie nicht unterbrechen oder anschreien sollen. Das war nicht fair. Sie weiß es selbst ja überhaupt nicht, was mit May passiert ist. Geschweige denn, die drei haben May nicht einmal gesehen.

Was soll ich jetzt machen?

Mein Hände vergrabe ich in die Haare, wünsche mir das ich hier draußen erfriere, aber mir ist nicht einmal Kalt. Die Tränen laufen mir kühl die Wangen hinunter.

„Was soll ich nur machen?“ flüstere ich.

Plötzlich höre ich, wie das Kirchentor geöffnet wird.

Jetzt sag nur Beißer haben es wirklich geschafft durch das verschlossene Tor zu kommen?

Ich sehe nach vorne und runzle die Stirn.

„Hey …“

Die junge Frau steht zwischen den Toren und sieht zu mir herüber. Wie lange steht sie schon da? Wie konnte sie mich finden?

UNLEASH HELL || h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt