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 Über die Steinmauer hinweg sehe ich Roman dabei zu, wie er leise und vorsichtig sich von einen Auto zum anderen bewegt. Mein Atem ist alles was ich hören kann. Ein Effekt von schrecklich nervösen zittern überfährt mich, als ich auf meine Waffe sehe.

Sie ist klein, schwarz und schwer.

„May!“ ruft Roman leise zu mir herüber. Schnell sehe ich zu ihm. Mit Handzeichen dirigiert er mir den Weg. Wir müssen so leise sein, denn in der Stadt kann sich in der jeder Seitenstraße oder mitten drinnen Beißer befinden.

Bevor ich mich komplett aufrichte sehe ich mich um.

„Nichts.“ hauche ich in einen Atemzug heraus und springe leise über die Mauer. Geduckt und die Waffe fest umklammert laufe ich zu Roman. Erleichtert atme ich aus und lächle ihn entgegen, als sich unseren Schultern berühren und ich mich beruhigen kann.

Sein Zeigefinger legt er an die Lippen, mit den Sinn das wir leise sein müssen. Danach gehen wir beide weiter. Von einen Auto zum anderen, den Blick in jede Richtung gewendet, damit wir sehen können, wenn uns Beißer angreifen wollen.

Doch ich schaue zurück zum hohen Gebäude, wo wir jede Nacht überleben. Grünzeug wächst schon an dem Haus entlang.

„May!“

Roman zieht mich plötzlich runter. Sein Arm liegt über meine Schulter, während seine Handfläche auf meinen Mund verweilt, damit ich nichts sage.

Dann höre ich es auch schon.

Das laute Atmen, das ächzen und das aufstöhnen.

Ich schließe meine Augen, hoffe das sie an uns vorbei gehen. Roman legt seine Stirn gegen meine Schläfe. Ich konzentriere mich auf seinen Atemrhythmus, lenke mich ab.

„Leise ...“ haucht er. Die schweren Schritte kommen immer näher, immer lauter wird das Atmen und immer weiter steigt das Zittern in meinen Körper.

Selbst Roman zittert.

„Sie … sie sind weg.“ flüstert er. Ich werde aus seinen Atemrhythmus gerissen. Ich schnappe tief nach Luft, als er seine Hand von meinen Mund nimmt. Er richtet sich auf, ich tue es ihm gleich. „Wir gehen in den Kiosk. Dort vorn. Siehst du ihn?“ fragt er und deutet auf die linke Seite der Straße.

Über die Autos hinweg kann ich den kleinen Kiosk sehen den Roman meint.

Roman schaut noch einmal zu den Beißern zurück, dann läuft er los. Ich sehe auch noch mal zurück. Es sind nur drei, die langsam zwischen den Autos hindurch humpeln.

Dann laufe ich geduckt Roman nach, der schon ein paar Meter von mir weg ist.

„Ich wünschte Dean wäre hier. Der würde komplett ausrasten.“ sagt Roman und starrt auf die Süßigkeiten. Ich lächle und trete den Süßen Zeug näher. Eine ganz besondere Süßigkeit kriegt meinen Aufmerksamkeit.

Milka Schokolade.

Ich strecke die Hand vor, um nach ihr zu greifen doch mich hält etwas auf. So sehr ich sie liebe, kann ich sie nicht nehmen. So sehr ich den Geschmack vermisse, kann sie nicht nehmen.

„Was ist?“ fragt Roman und stellt sich neben mich.

Meine Hand ziehe ich etwas zurück und greife dann nach einen Riegel, der sich neben der Schokolade befindet. „Gar nichts.“ erwidere ich und drehe mich von Roman weg. Viele Kartons stehen unter der Kasse.

„Glaubst du, wir werden jemals wieder normal Leben können?“ frage ich Roman, als ich einen der Kartons öffne und mich Flaschen Wasser entgegen sehen.

„Es ist vorbei, May. Mach dir keine Hoffnung.“ sagt Roman enttäuscht.

„Aber es muss doch einen Ort geben, wo ...“

„May!“ warnt er mich. „Es gibt keinen Ort. Die ganze Welt ist davon betroffen! Mach dir keine scheiß Hoffnung, dass es jemals so wird wie früher!“ sagt er etwas zu laut. Und in diesen Moment, genau jetzt, wünsche ich mir nichts sinnlicheres als meine Eltern.

Ein paar Flaschen Wasser packe ich in meine Jackentasche und richte mich auf. Ich gehe an Roman vorbei, ohne ihn anzusehen.

„May …“ sagt Roman leise und will nach meinen Arm greifen, doch ehe er es tun kann, bin ich schon aus der Tür raus.

Denkt er wirklich das es keinen Ort gibt, wo es diese Apokalypse nicht gibt? Es muss doch einen Ort geben, oder etwa nicht? Wir machen doch überhaupt keinen Sinn mehr. Wir sind überflüssig. Und es brennt sich in mein Herz. Wie ein heißes Stück Eisen. Brennt mir das Wort Hoffnungslos hinein.

Und als ich zwischen den Autos hindurch gehe, die Waffe immer fester umklammere und sie langsam hebe, frage ich mich: Wieso nicht?

Man muss vielleicht nur 10 Sekunden im Leben Mut haben.

Ich hebe die Waffe höher, betrachte sie. Lange.

Bis mir die Tränen kommen, sich das Wort immer fester in mein Herz brennt und ich gezwungen bin die 10 Sekunden einzuhalten.

Die Mündung der Waffe platziere ich an meine Stirn, schließe die Augen damit die Tränen verschwinden und lege meine zitternden Daumen an den Widerhaken.

10 …

9 ...

8 …

7 …

6 …

5 …

4 …

„Was machst du denn?!“

Plötzlich schmeißt Roman mir die Waffe von der Stirn. Zieht mich an seinen Oberkörper, die Arme fest um mich geschlungen. Als wolle er das ich nicht gehe. Nicht in den Himmel gehe.

Dann streicht er ein paar Haarsträhnen aus meinen Gesicht, fokussiert mich. „Es tut mir leid.“ flüstert er. „Bitte … bitte verlass du mich nicht auch.“

Die Panik und Trauer steht ihm ins Gesicht geschrieben. Man kann es sofort sehen.

Seine Lippen drücken sich an die Stelle, wo die Mündung der Waffe platziert war. „Es tut mir leid.“ flüstert er erneut. Vorsichtig legt er seine Hand an meine Wange. „Es tut mir leid.“ wiederholt er.

Unsere Atem vermischen sich miteinander, als wir einander ansehen.

„Ich will nicht, dass du gehst.“ sagt er leise. Ich nicke. Sein Daumen streicht über meinen Wangenknochen. „Versprich es mir ...“

Ich nicke. „Ich verspreche es.“ hauche ich und drücke meine Lippen aufeinander um der Gefühle Herr zu werden. Roman schaut sich schnell um, dann zieht er mich auch schon mit zurück zum Gebäude.

UNLEASH HELL || h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt