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Augen können einen faszinieren. Sehr sogar. Manche können jemanden manipulieren, können jemanden in sie verlieren lassen und verlieben lassen. Die Wahrheit verleugnen sie niemals. Sie können höchstens jemanden täuschen, ihn verzweifeln lassen. Doch Lügen können sie nicht.

Wenn sie ihre Farbe verlieren, sich in ein tiefes schwarzes Loch fallen lassen, könnte man erkennen wie das Innere von jemanden aussieht.

Zayn ist ein nur zu gutes Beispiel dafür. Seine dunkelbraunen Augen, an die ich mich sehr gut erinnere, weil sie mir jeden Tag unter die Augen getreten sind, haben ihre Farbe deutlich verloren. Sie waren schwarz. Komplett.

„Du solltest … solltest gehen, Harry.“ flüstert May mir zu und drückt mich kräftig zurück. Perplex sehe ich in ihr Gesicht. „GEH!“ ruft sie, als mein anhaltender Blick sie durchlöcherte.

Ich will ihr nicht länger auf die Pelle rücken, aber eines ist mir klar.

Sie wird genauso enden wie Zayn, wenn wir es nicht schaffen den Dämon zu bezwingen.

~.~

„Ist alles okay mit dir?“

Paige drückt mir kurz ihren Ellenbogen in die Rippen, während wir durch den hohen Schnee stapfen. Wir haben durchgehend geschwiegen, was echt schön war, doch jetzt hat sie wohl die Schnauze voll davon.

Mein Blick geht nach vorne, meine Brauen ziehen sich etwas enger aneinander, weil die Schneeflocken in meine Augen fliegen. Konzentriert schaue ich dann Paige an.

„Ist es etwa zu auffällig?“ frage ich.

Ihre Augenbrauen gehen hoch. „Ja, Harry. Du redest kein Wort und bist total in deinen Gedanken versunken. Erzähl.“

Mir bleibt dabei keine Wahl. Es werden so oder so bald alle Erfahren das May den Dämon in sich hat. Wir alle müssen das noch einmal durchstehen, es gibt keinen Ausweg.

Und im Moment denke ich darüber wirklich nach. Es gibt keinen Ausweg für May. Wie wollen wir sie retten? Sie töten, damit der Dämon sich auf jemand anderen prägt? Welcher normale Mensch möchte das machen?

„May hat den Dämon von Zayn eingeprägt bekommen.“ sage ich schnurstracks heraus.

Paige ist in den Moment stehen geblieben, als ich es gesagt habe. Meine Schritte werden langsamer, bis ich sie ansehe. Ihre dunklen Augen sind weit geöffnet.

„Nein, oder?“ sagt sie ungläubig. Ich jedoch nicke, was dazu führt, das sie in ihre Haare greift und verzweifelt daran zieht. „Und was sollen wir jetzt machen? Er wird doch versuchen ...“

„Ja, ich weiß, Paige.“

Die Kirche ist wenige Meter vor uns.

Die ganze Zeit über kam uns kein Beißer entgegen, was ich gut finde, denn meine Hände sind überladen von Medikamenten. Dean wollte das ich sie besorge damit ich klaren Kopf bekomme, aber irgendwie ist mein Schädel immer noch so voll mit vielen Fragen, Wörtern, Vorwürfen und Verzweiflungen, dass es mir so scheint das er jeden Moment platzt.

Kopfschmerzen habe ich auch wieder bekommen.

„Wissen es die anderen?“ Paige greift nach meinen Ellenbogen.

Wir sehen einander an.

„Nein.“

Sie seufzt. „Du musst es ihnen sagen, bevor ...“

Doch plötzlich springt die Kirchentür auf. Erschrocken sehe ich dort hin.

Roman springt heraus, fällt auf die Ellenbogen und krabbelt zurück in unsere Richtung. Sein Blick geradewegs auf die Tür gerichtet. Laut hört man seinen verzweifelten und schnellen Atemzug. Was ist mit ihm passiert?

„Roman?“ fragt Paige. Roman erschreckt sich als er uns ansieht.

Paige neben mir zieht die Luft stark zwischen ihren Zähnen ein. Wieso? Romans Wangen sind mit vielen Blutigen Narben verzirrt worden.

„Was ist passiert?!“ frage ich ihn, während ich Paige die Medikamente in die Hand drücke. Ich bin dazu bereit darein zu gehen und zu schauen was dort los ist, was Roman so schrecklich Angst macht.

„Nein … nein, Harry … Nicht du!“ atmet Roman. Doch ich lasse mir nichts sagen und renne zur Tür. Leise atme ich, öffne die Tür noch ein wenig und schaue an ihr vorbei in das Innere.

Aus den Augenwinkel sehe ich etwas neben mir liegen.

Die Gestalt ist Dean.

Er ist Bewusstlos, als ich mich hinknie und feststelle das er nicht mehr in Gedanken ist. Was ist zum Teufel passiert das Dean Bewusstlos ist und Roman so viel Schiss hat, dass er fast anfängt zu heulen?!

„Hallo?“ rufe ich, als ich am Anfang des Ganges zwischen den Bänken bin. Die Sonne scheint in die bunten Fenster, werden Regenbogenfarben auf den Boden. Der Staub tanzt vor meinen Augen umher. Doch plötzlich poltert es einmal über mir und in nicht weniger als einer Sekunde landet jemand auf den Mauernboden, wenige Meter vor mir. Es hörte sich grässlich an.

Es ist May. Ihre braunen Haare würde ich überall sofort erkennen.

Ich bewege mich nur langsam in ihre Richtung, denn ich weiß nicht was passieren wird. Wird sie jeden Moment schnell aufstehen, mit dunklen Augen mich anstarren und mir sagen das ich sterben werde, wie Zayn es mir gesagt hatte?

Ich schätze, dass der Dämon mit uns allen ein einfaches Spiel spielen will.

Mittlerweile knie ich neben dem Leblosen, zierlichen Körper. Meine Hand lege ich auf ihren Oberarm. Sie ist so kalt. „May?“ flüstere ich und beuge mich vor.

Ich kann ihr ganzes Gesicht sehen.

Es ist demoliert worden.

Aus ihrem Augen tritt dunkelrotes Blut hervor, aus ihrer Nase, ihrer aufgeschnittenen Wange und aus ihrem Mundwinkel. Dann sind da noch ein paar miese Schnittwunden, und blaue Flecke …

Ich drehe sie auf den Rücken, weil die Panik über mich kommt. Aus Reflex lege ich meine Finger an ihren Hals um den Puls zu spüren. Es ist nur ein sanftes Puckern, was gegen meine Finger trifft.

Danach öffne ich ihre Lider.

Sie sind weiß.

Komplett weiß.

So weiß wie ein Blatt Papier.

So weiß wie meine Augen, ohne Farbe, ohne alles. Einfach weiß.

Es sieht schrecklich aus …

„Du solltest aufhören immer nur zu versuchen alle zu retten, Harrylein.“ hallt eine tiefe und bekannte Stimme hinter meinen Rücken.

Aber es ist nicht die Stimme von Zayn ...

UNLEASH HELL || h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt