Sascha
Sie war tatsächlich gekommen! Ich hatte es gehofft, aber kaum damit gerechnet. Denn mal ernsthaft, dieser ganze Aufwand mit dem Grenzübergang ... welcher Jugendliche von drüben kam da schon freiwillig zum Besuch in die DDR? Ich weiß auch nicht, was mich geritten hatte, hastig diese Nachricht an sie zu verfassen, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Außer dem starken inneren Gefühl, dass ich sie nicht einfach ziehen lassen konnte. Zu sagen, ich hätte in den vergangenen Wochen nicht an sie gedacht, wäre eine Untertreibung dritten Grades gewesen.
Dass ich jetzt wirklich hierher gefahren war, im vollen Bewusstsein, etwas Riskantes zu tun, statt mir diese Idee sang- und klanglos aus dem Kopf zu schlagen – die guten Geister hatten mich definitiv verlassen. Was nichts Gutes verhieß, denn ein Schutzengel, der mich davor bewahrte, von Bekannten entdeckt zu werden, wäre mir jetzt schon recht gewesen. Wie bescheuert war ich eigentlich, dass ich mich in der Öffentlichkeit mit einer von denen traf!? Wieso funktionierte mein Sicherheitskompass auf einmal nicht mehr?
Ich sah, wie sie sich suchend umblickte und dann stehenblieb und zur Straße schaute. Statt der offenen Haare trug sie heute einen Zopf, der ihr Gesicht betonte, sie trug Jeans und eine Jeansjacke und sah genauso süß aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie hatte mich noch nicht entdeckt, ich konnte mich also einfach umdrehen und gehen. Ich sollte einfach gehen... sie vergessen... es konnte mir so was von schaden...
Brenner, du Idiot! Meine Füße hatten sich selbständig gemacht, ich löste mich aus dem Schatten der Gebäude und ging lächelnd auf sie zu. Auch sie begann zu lächeln, als sie mich gewahrte, war das Freude oder Erleichterung? Egal. Ich gab ein banales „Hallo" von mir, was Kathi mit einem „Hi" beantwortete. Verlegen sahen wir uns an.
„Ich dachte, wir fahren mal zum Müggelsee", schlug ich nervös vor. „Von dem ich dir erzählt hatte."
Viel gab es hier nicht, womit ich sie beeindrucken konnte, aber das, was ich erzählt hatte, hatte ihr ja offenbar gefallen. Zwar konnten wir nicht segeln, denn das Boot lag in Potsdam, aber ich hoffte mal, es würde ihr generell auf dem Wasser gefallen, zumindest konnten wir dort ein Boot leihen.
„Klingt gut", stimmte Kathi zu und lächelte.
Die Sonne strahlte ihr ins Gesicht und verlieh ihrem Haar einen goldenen Schimmer. Es war ein bezaubernder Anblick. Impulsiv stellte ich die erste Frage, die mir in den Kopf kam: „Du hast keinen festen Freund, oder?" Und hätte mir anschließend fast die Zunge abgebissen.
Kathi warf mir einen überraschten Blick zu, schüttelte den Kopf und begann dann zu lachen.
„Sind solch direkte Fragen typisch für die DDR?", wollte sie wissen.
Ich zuckte dazu nur mit den Schultern. Für mich war es jedenfalls nicht typisch, es sei denn, es ist mir wichtig, dachte ich, sprach es aber nicht aus, denn ich fühlte mich in Kathis Gegenwart auf einmal ungewohnt gehemmt. Ob es daran lag, dass sie aus dem Westen war? Oder sie mir besser gefiel als sonst die Mädchen, mit denen ich mich verabredet hatte?
„Und du?", fragte nun Kathi mit schief gehaltenem Kopf.
„Auch nicht."
Ihr Lächeln und damit ihre Grübchen vertieften sich und mit den vielversprechenden Möglichkeiten, die unsere beiden Eingeständnisse eröffneten, spürte ich unwillkürlich mein Herz schneller schlagen. Rigoros ignorierte ich die Vernunft, die mich anderes zu tun hieß und ließ zu, dass sich ein strahlendes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete, das vermutlich meine Gefühle nur zu deutlich widerspiegelte. Für einen Moment sahen wir uns schweigend in die Augen und ich vergaß den Trubel der Passanten um uns herum und das Risiko, von unerwünschten Augenpaaren gesehen zu werden.
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Herz in den Wolken
RomanceDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...