2. Oktober, Susanne
Das Wasser war heißer als Susanne gedacht hatte, und merkwürdigerweise bekam sie genau davon eine Gänsehaut, als sie sich Stück für Stück vorsichtig hinein sinken ließ. Ein paar Sekunden später hatte sie sich jedoch daran gewöhnt und ließ gelöst den Kopf an den Wannenrand sinken. Der intensive Duft nach Melisse stieg ihr in die Nase und entspannt schloss sie die Augen.
Das war genau das, was sie brauchte, um ein wenig Ruhe in die Gedanken zu bekommen, die sie plagten. Am Sonntag hatte sie sich heftig mit Kathi gestritten, genauer gesagt, Kathi hatte mit ihr gestritten, ohne sie lange Zeit auch nur zu Wort kommen zu lassen. Es war grässlich gewesen, mit der eigenen Schwester zu zanken, die einem normalerweise so nahe war, dass sie die Gedanken der jeweils anderen meist erahnte.
Aber wie ein Überfall waren ihr Kathis Sätze entgegen gerauscht, sie könne das Theater nicht mehr fortführen, bereue, das Ganze überhaupt angeleiert zu haben und gipfelten schließlich in der Drohung, sie würde Markus entweder in der Schule die kalte Schulter zeigen oder ihn mit der Wahrheit konfrontieren, wenn Susanne selbst es nicht endlich tat.
Und dann hatte Kathi Luft geholt und Susanne hatte endlich Gelegenheit gehabt, ihr zu sagen, dass sie Markus bereits versprochen hatte, ihre Eltern kennenzulernen, wobei spätestens dann die Wahrheit unweigerlich ans Licht kommen würde. Kathi hatte verblüfft geguckt, sich dann zerknirscht bei ihr entschuldigt und sich mitfühlend angehört, was ihr am Samstag widerfahren war. Schließlich hatten sie sich in den Armen gelegen und alles war wieder gut zwischen ihnen gewesen.
Aber seit dem verhängnisvollen Samstag, an dem es mit ihr und Markus beinahe auseinander gegangen wäre, grübelte Susanne darüber nach, wie sie ihrem Freund am schonendsten die Wahrheit beibringen konnte. Und hatte frustriert feststellen müssen, dass sie es anscheinend alleine, ohne Druck von außen, nicht packte.
Susanne rutschte noch ein wenig tiefer in die Wanne, bis das Wasser für einen Moment ihren Mund bedeckte, und schloss die Augen. Am liebsten hätte sie sich hierin verkrochen und wäre erst wieder aufgetaucht, wenn sich alle Probleme in Wohlgefallen aufgelöst hätten. Die langen Haare trieben im Wasser und kitzelten sie an den Wangen, doch es wurde ihr bald unbequem und sie richtete sich wieder auf.
Die letzte Lösung, die ihr in den Sinn gekommen war, war abzuwarten, bis ihre Eltern das Stichwort Zwillinge oder etwas anderes Verräterisches von sich gaben und dann Markus in den Flur zu ziehen, um ihm alles zu erklären. In der Hoffnung, dass er, höflich wie er war, nicht sogleich wütend das Haus verlassen würde, um ihre Eltern nicht vor den Kopf zu stoßen. Das würde ihr die benötigte Zeit für Erklärungen geben. So war jedenfalls der Plan. Und etwas Besseres war ihr bislang nicht eingefallen.
Kathi hatte versprochen, sich an dem Tag zu verabreden, damit sie erst in Erscheinung treten würde, wenn Markus die Wahrheit kannte. Unruhig plätscherte Susanne mit ihren Füßen im Wasser herum und sandte kleine Wellen heran, die sich an ihren Schultern brachen. Warum musste das Leben nur so kompliziert sein?
Dabei verkannte sie völlig, dass sie sich ja selbst in diese Lage gebracht hatte. Sie nahm ein wenig Schaum in ihre Handflächen und pustete vorsichtig dagegen, so dass er ein Stückchen durch die Luft segelte, bevor er sich sanft auf der Wasseroberfläche wieder niederließ. Wenn man doch nur auch alle Probleme so beiseite pusten könnte...
Sie senkte ihre Füße wieder in das Badewasser und spürte angenehm die Wärme an den in der Luft abgekühlten Zehen. In einer Woche würde sie entweder glücklich und erleichtert sein – oder wieder Single...
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Herz in den Wolken
RomanceDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...