18. Juli, Susanne

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18. Juli, Susanne

Das Thermometer zeigte magere zwanzig Grad. Und das im Juli, dachte Susanne, doch sie tröstete sich damit, dass es dafür wenigstens zum Shoppen nicht zu heiß war. Sie war auch bereits fündig geworden, hatte ein superschickes Kleid erstanden, heruntergesetzt auf 30,- DM, und enthusiastisch steuerten beide nun den nächsten Laden an. Gerade waren sie durch die Drehtür geschritten, als Susanne ein ihr gut bekanntes Gesicht entdeckte. „Markus!" rief sie erfreut aus, während er im gleichen Moment in ihre Richtung sah.

„Hallo du", lächelte er, „das ist ja eine schöne Überraschung. Ich hatte erst heute Abend mit dir gerechnet. Konntest du es nicht abwarten?"

Susanne lachte leise und gab ihm einen langen Kuss. Dann besann sie sich und die Erkenntnis, dass ihre Geschichte kurz davor war, aufzufliegen, ließ ihren Puls in die Höhe schnellen und sie nervös zurück stolpern.

„Markus, das ist Maike", sagte sie beklommen und stellte ihn dann ihrer Freundin vor. „Maike, das ist ... Markus."

Hätte sie jetzt >Freund< sagen sollen?

„Hi", schmunzelte Maike. „Das habe ich mir irgendwie gedacht". Sie lächelte. „Ich habe schon viel von dir gehört."

„Hoffentlich nur Gutes." Markus zwinkerte Susanne zu, die vor Nervosität kaum zu atmen wagte. Wenn Maike sie jetzt mit Susanne anredete...

„Was machst du hier?", brachte sie mühsam lächelnd heraus.

„Wonach sieht's denn aus?"

Markus schwenkte lässig seine H&M-Tüte.

„Die sieht ja leicht aus. Da könntest du doch uns bestimmt noch beim Tragen helfen", schlug Maike neckend vor.

Bitte nicht, dachte Susanne verzweifelt, und als hätte Markus ihr Flehen gehört – oder sah man es ihr an? – schüttelte er bedauernd den Kopf.

„Sorry, habe noch etwas vor".

Er zog Susanne noch einmal in seine Arme. Und mit einem Bis heute Abend, Kathi! verließ er den Laden.

„Kathi????" Maike riss die Augen auf und blickte Susanne überrascht an. „Wieso Kathi?"

Susanne seufzte. „Das ist eine lange Geschichte."

Sie zog ihre Freundin weiter zur Rolltreppe, doch diese ließ sich davon nicht ablenken.

„Ich habe Zeit", flötete sie und blieb demonstrativ stehen.

Susanne seufzte noch einmal, ihr Blick wanderte suchend durch den Laden.

„Na gut. Dann lass uns zumindest da hinten in die Ecke gehen."

„Also?" fragte Maike und quetschte sich an einem Ständer mit Blusen vorbei.

„Ich hatte mich doch bei der Party als meine Schwester ausgegeben. Denn sie war ja eingeladen."

Maike kannte alle Einzelheiten der Verabredungen – bis auf die Tatsache, dass Susanne jedes Mal als ihr Zwilling auftrat.

„Es hat sich bis jetzt keine Gelegenheit ergeben, ihm die Wahrheit zu sagen", wehrte sich Susanne vorsorglich gegen einen Vorwurf ihrer Freundin.

Maike runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust, unterbrach aber nicht.

„Als wir am Wannsee waren, hatte er mir erzählt, dass er nichts mehr hasst als Lügen, wegen einer Geschichte von früher, und ... tja, jetzt kann ich ihm doch nicht sagen, dass ich ihn angelogen habe und in Wirklichkeit jemand anderes bin..."

Unglücklich sah sie zu Boden. Maike fasste sie an den Schultern.

„Sanne, das ist doch nicht dein Ernst! Das kannst du nicht machen! Das ist doch erst recht eine Lüge!"

„Jaaa, aber..." kam es unglücklich zurück, „...wenn ich es ihm jetzt sage, dann macht er sofort Schluss. Wenn ich es ihm aber später erzähle, dann ist das schon etwas Festeres und er kennt mich besser und dann fällt das nicht mehr so ins Gewicht."

Hoffnungsvoll sah sie zu Maike hoch, aber diese tat ihr nicht den Gefallen der Zustimmung, sondern kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum.

„Ich verstehe dich ja... Aber das geht doch trotzdem nicht! Es ist nicht fair ihm gegenüber. Stell dir vor, es wäre anders herum."

Susanne spürte Ärger in sich aufwallen. Wieso konnte Maike denn nicht einfach nicken und sagen ja klar, mach das so? Stattdessen kam sie mit Argumenten, mit denen sich Susanne definitiv nicht auseinandersetzen wollte. Außerdem hatte Maike leicht reden. Sie hatte nur einen Brieffreund, wusste gar nicht, wie das war, wenn man sich persönlich traf.

„Heißt das, du würdest nicht mitspielen, wenn du Markus mal wieder siehst?" fragte sie schließlich nervös.

Maike wand sich sichtlich. Schließlich gab sie nach: „Ich werde nicht diejenige sein, die ihm die Wahrheit erzählt. Du bist schließlich meine Freundin. Aber ich möchte diese Scharade nicht aktiv mitspielen. Also keine Treffen zu Dritt oder so."

Sie seufzte tief. „Wäre es nicht doch besser, wenn du...?"

Doch Susanne wollte davon nichts wissen, es war schon genug, dass sie ihre eigenen Zweifel zu unterdrücken versuchte und sie entgegnete daher brüsk:

„Nein! Es geht eben im Moment nicht anders."


Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt