Bereits wenige Minuten später waren wir draußen.
„Du musst meine Mutter übrigens entschuldigen. Sie denkt, du bist...na ja...nicht so vertrauenswürdig halt", äußerte Silke unvermittelt, während wir durch die Parkanlage zur S-Bahn hinüber gingen.
Konsterniert blieb ich mitten auf dem Weg stehen und verstand genau, was Silke eigentlich hatte sagen wollen. Sie drehte sich um, als ich ihr nicht mehr folgte, und sah mich mit einem Blick an, dem ich nicht entnehmen konnte, ob sie die Ansicht ihrer Mutter teilte oder zu scherzen beabsichtigte, als sie hinzufügte:
„Und - bist du das?"
Das war ja jetzt wohl nicht ihr Ernst!
„Ich war gestern auf der Demo. Schon vergessen...?", gab ich säuerlich von mir und nahm den Weg wieder auf.
„Das muss ja nichts heißen", gab Silke lakonisch zurück.
Hatte sie mich nicht vorhin gegenüber ihrer Mutter verteidigt? Und mich überhaupt erst auf die Idee mit der Demo gebracht? Irritiert fuhr ich mir durch die Haare und erwiderte schließlich verstimmt:
„Ich bin bestimmt kein Spitzel. Sonst hätte ich wohl kaum eine Freundin im Westen."
Letztes war mir unbeabsichtigt herausgerutscht. Silke zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Wusste ich gar nicht."
„Ja, warum wohl?", kam es jetzt ironisch von mir. „Als würde ich damit hausieren gehen..."
In diesem Moment machte ich eine Telefonzelle vor uns aus. Ich hatte heute Morgen schon unzählige Male versucht, Kathi zu erreichen, aber leider waren meine Versuche nicht von Erfolg gekrönt gewesen, nie war eine Verbindung zustande gekommen. Vermutlich versuchten einfach zu viele Menschen derzeit, zwischen Ost und West zu telefonieren.
„A propos – genau deshalb muss ich jetzt mal dringend telefonieren", warf ich Silke über die Schulter gewandt zu und schritt so zügig es ging zur Telefonzelle hinüber, während sich der Schmerz, der heute wieder stets im Hintergrund präsent war, verdoppelte. Ob Silke mir folgte, war mir egal.
Es war dann eine Wohltat, mich an der Wand anlehnen zu können, erleichtert entlastete ich das schmerzende Bein, und wählte die bekannte Nummer. Dass dann sofort ein Freizeichen ertönte, elektrisierte mich, ich hatte mich bereits wieder auf kontinuierliches Wählen eingestellt. Sollte es nun tatsächlich geklappt haben?
Fast übertönt durch das Rauschen hörte ich Kathis Stimme und das Glück, sie tatsächlich erreicht zu haben, versetzte mich in Hochstimmung, ich sah unbestimmt auf den Boden vor mir und lächelte freudestrahlend, während ich in den Hörer sprach.
„Kathi, ich bin's."
„Sascha!"
Sie schrie es förmlich in den Hörer und ich musste unwillkürlich grinsen. Die übrigen Worte, die sie sagte, gingen dann jedoch völlig in den Nebengeräuschen unter.
„Was hast du gesagt?!"
Meine Frage war offenbar bei ihr angekommen, sie brüllte daraufhin ihre Antwort in den Hörer, als hätte sie es mit einem Schwerhörigen zu tun:
„Bist du zu Hause?"
„Nein, unterwegs. Rufe aus einer Telefonzelle an."
Unvermittelt wurde das Rauschen leiser und von einem nervigen Knacken abgelöst, aber immerhin konnte ich Kathi jetzt besser verstehen.
„Geht es dir gut?"
„Alles in Ordnung", versicherte ich schnell, voller Befürchtung, dass das Telefonat plötzlich abbrechen könnte. „Habe gerade bei einer früheren Klassenkameradin gefrühstückt."
Dann schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn und schloss gequält die Augen, zu spät erkannte ich, wie sich mein Satz angehört haben musste. Sekundenlang waren nur die Nebengeräusche zu hören.
„Bist du noch da?", fragte ich beunruhigt und wollte gerade weiter reden, als ich Kathis misstrauisch klingende Frage vernahm:
„Wo hast du gefrühstückt?"
„Bei Silke", beeilte ich mich zu antworten, „Ich hatte dir von ihr erzählt." Und konnte es dann doch nicht lassen, sie noch ein wenig aufzuziehen: „Eifersüchtig?"
„Was glaubst du denn?!", kam es knurrend zurück und ich begriff, dass ein Scherz hierüber im Moment nicht willkommen war.
„Du hast gar keinen Grund dazu, Spatz", versicherte ich daher nun ernsthaft. „Ich war heute Nacht in der Datsche und gerade mal eine halbe Stunde bei Silke."
„Na gut", klang Kathi jetzt schon versöhnlicher. „Es ist nur...ich vermisse dich so schrecklich."
„Geht mir genauso", murmelte ich und malte mit der Fingerspitze Kreise auf die Scheiben
Mit einem Seufzen dachte ich an die Einberufung zum 27. November. Dieser Termin rückte mit jedem Tag näher und ich hatte noch immer keine Lösung. Vielleicht wenn mein Knie weiterhin für Ärger sorgte...
„Kannst du nicht vor dem 4. November noch einmal kommen?", wollte ich von Kathi wissen und fragte mich, ob nur ich die Verzweiflung in meiner Stimme hörte. Das wären dann gerade mal noch zwei Treffen... Kathi hatte noch keine Ahnung von dem final angesetzten Termin. Ich musste es ihr sagen und zwar vor unserem letzten Treffen...
Ein lautes Rauschen verhinderte erneut, dass ich ihre Antwort verstand.
„Kathi? Hallooo?"
Frustriert hieb ich gegen den Telefonautomaten. War es jetzt abgebrochen? Mist! Erleichert hörte ich jedoch auf einmal wieder ihre Stimme.
„...vielleicht morgen ganz spontan Zeit?"
Sofort spürte ich wieder ein glückliches Grinsen von mir Besitz ergreifen und betonte:
„Für dich habe ich immer Zeit. Aber hast du nicht morgen Schule?"
Ich konnte mir direkt vorstellen, wie Kathi verächtlich durch die Nase schnaubte, als sie unter wieder ansteigendem Rauschen erwiderte:
„Als wenn mich das aufhalten würde! Aber nein, morgen ist so ein Lehrerfortbildungstag, da haben wir frei."
„Also dann morgen, gleiche Zeit, gleicher Ort", fasste ich schnell zusammen, bevor noch etwas passierte, was uns daran hindern würde, den Treffpunkt festzulegen.
„Ich freue mich!", klang Kathis Stimme fröhlich aus dem Hörer und in Anbetracht des baldigen Treffens und den unsäglichen Hintergrundgeräuschen, die leider zumindest das Zuhören zur Qual machten, beschloss ich zum Ende zu kommen.
„Ich mich auch! Lass uns dann morgen weiter reden, ok? Die Verbindung hier ist grauenhaft!"
Kathi äußerte sofortige Zustimmung und mit einem sanft gehauchten „Bis morgen, Süße!" verabschiedete ich mich und legte auf.
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Herz in den Wolken
RomanceDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...