8. Juni, Markus

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8. Juni, Markus

Markus schob das Rad in den Fahrradständer, schloss es sorgfältig an und sah dann auf die Uhr. Es war erst halb 8.00 Uhr, das sollte wohl reichen. Möglichst cool wirkend lehnte er sich an die Mauer, die dem Eingangsbereich der Schule gegenüber lag, so konnte er sie nicht verpassen. Hoffentlich kam sie alleine, denn es war so verdammt viel schwieriger, ein Mädchen inmitten ihrer Freundinnen anzusprechen.

Komisch, dass sie ihm nicht gleich am ersten Tag schon aufgefallen war, dachte er. Nun war er doch seit fünf Monaten an dem Lessing-Gymnasium, aber erst vor vier Wochen oder so hatte er dem Mädchen, das im Philosophie-Unterricht so verträumt an ihrem Stift kaute, einen längeren Blick gegönnt. Sie saß seit kurzem direkt vor ihm, etwas schräg zum Fenster hin, so dass er sie gut beobachten konnte. Ihre blonden Locken fielen ihr auf die Schulter und sie schien eigentlich immer mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Zum Glück für sie war Herr Meyer keiner, der aktive mündliche Mitarbeit einforderte, wo sie nicht freiwillig angeboten wurde, und so hatte sie normalerweise ihre Ruhe. Dabei hätte er ihr zu gern einmal vorgesagt oder ihr sonst wie seine Unterstützung angeboten.

In den Pausen hatte er öfters nach ihr Ausschau gehalten und dabei entdeckt, dass sie tatsächlich immer mit ihrer Clique herumstand, viel lachte und beim Reden lebhaft gestikulierte. Philosophie war das einzige Fach, dass sie gemeinsam hatten, ein Wahlfach, denn sie waren in verschiedenen Jahrgängen. Zum Glück, denn die Schule war so groß, dass er sie sonst wahrscheinlich gar nicht bemerkt hätte.

Markus vermisste noch immer die französischen Freunde, den Tonfall der Sprache, die bekannten Abläufe in der Schule – aber es half ja nichts. Nun war er in Berlin und musste sich hier ein neues Leben aufbauen. Was gar nicht so einfach war, weil sich hier alle schon seit Jahren kannten. Das Theaterspielen hatte ihm immerhin ein erstes Gefühl des Angekommenseins gegeben. Und er hatte jetzt die Zusage seiner Mutter erhalten, eine Sommerparty geben zu dürfen, die Gelegenheit, an der Schule etwas bekannter werden zu können. Dabei war er gar nicht so der Partyfreak. Doch was sein muss, musste sein. Die Theaterfreunde und Klassenkameraden hatte er bereits eingeladen, fehlte nur die süße Blonde aus dem Philosophiekurs...

Markus sah erneut auf die Uhr: 7.45 Uhr. Der Schulhof füllte sich mit Schülern, die mit mehr oder minder starker Begeisterung ihren Klassenräumen zustrebten. Er konnte sie unmöglich verpasst haben. War sie vielleicht krank? Markus war sich sicher, dass sie immer mit dem Rad fuhr. Er machte einen Schritt nach vorne und stolperte über den Schnürsenkel seines Turnschuhs. Verflixt! Verärgert kniete er sich hin und band die Schleife neu.

Das metallene Geräusch von Rädern, die angeschlossen wurden, und das pausenlose Gemurmel von Begrüßungsritualen traf sein Ohr. Er richtete sich wieder auf. Und da war sie! Sie hatte gerade ihr Rad angeschlossen und ging nun zielstrebig auf die Eingangstür der Pausenhalle zu. Und sie war allein, wie er gehofft hatte. Jetzt oder nie!

„Hi, Katharina!", brachte er forscher raus, als er sich selbst zugetraut hatte.

Katharina wandte ihm den Kopf zu und musterte ihn für einen Augenblick verwundert.

„Hi Markus...?", antwortete sie dann, mit einer leichten Hebung der Tonlage, so nach dem Motto und was willst du von mir?

Markus gab sich einen Ruck, reichte ihr einen Briefumschlag und erläuterte so lässig wie möglich: „Ich gebe am 30. Juni eine Party. Hast du nicht Lust zu kommen?"

Ein überraschtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. "Eine Party? Klingt gut. Wer kommt denn?"

Markus machte eine ausholende Gebärde. "Ein paar aus dem Philo-Kurs und Andere aus der Zwölften."

Mit einem nun unverbindlichen Blick verstaute Katharina den Umschlag in ihrer Tasche. „Danke. Ich schau mal".

Mit diesen Worten öffnete sie die Tür und verschwand in der Pausenhalle. Markus jedoch war zufrieden, denn das war zumindest kein Nein gewesen. Er boxte sich vergnügt in die Hand, schlüpfte durch die gerade zufallende Tür und wandte sich in Richtung der Kunsträume.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt