25. Dezember, Susanne

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Nach der Feier bei den Großeltern hatte Susanne sich schließlich im Laufe des Nachmittags loseisen können und stand nun bei Markus vor der Tür. Mit einem Strahlen öffnete er auf ihr Klingeln und zog sie rasch in den warmen Flur. Es roch nach Kerzenwachs und Keksen. Markus' Mutter steckte den Kopf in den Flur, wünschte ihr „Frohe Weihnachten" und forderte dann:

„Markus, kommst du bitte mal eben?!"

Mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck und einem Schulterzucken folgte Markus ihr in die Küche. Susannes Blick fiel auf zwei neue Fotos an der Wand, eines von Ines alleine und das andere von der ganzen Familie, die sie neugierig betrachtete. Eine Tür klappte mit Schwung zu und Ines kam Susanne entgegen und warf ihr einen nicht sonderlich netten Blick zu.

Es war das erste Mal, dass Susanne sie wiedersah nach dem aggressiven Telefonat einen Tag nach der Öffnung der Mauer und ihr wurde angesichts deren unfreundlichen Reaktion etwas beklommen. Mein Gott, es ist doch nur Markus' kleine Schwester, ging es ihr durch den Kopf, als Ines sie auch schon in der ihr eigenen Art direkt konfrontierte.

„Ich weiß nicht, was du gemacht hast, aber die Geschichte, die Markus uns aufgetischt hat, dass er sich geirrt hat und alles ganz harmlos gewesen war, glaube ich kein Stück. Mein Bruder ist doch nicht blind! Höchstens blind vor Liebe."

Das letzte kam etwas abfällig.

Susanne biss sich auf die Lippen. Sie wusste, dass Markus die Angelegenheit gegenüber seiner Familie verharmlost hatte, Ines zumindest schien er jedoch nicht überzeugt zu haben. In diesem Moment kam ihr Freund aus der Küche zurück und hatte die letzten Worte seiner Schwester offenbar gehört.

„Das kann dir ja wohl egal sein", erwiderte er sauer und legte Susanne demonstrativ den Arm um die Schulter.

„Das ist allein unsere Angelegenheit."

„Feige seid ihr, alle beide", reagierte Ines verächtlich und schlängelte sich an ihnen vorbei. Das traf einen Nerv bei Susanne.

„Stimmt, ich war feige gewesen", rief sie, während Ines überrascht stehen blieb und Markus leicht den Kopf schüttelte und versuchte, sie sanft aus dem Flur zu bugsieren.

Doch entschlossen fuhr Susanne fort:

„Ich habe eine Zwillingsschwester und es monatelang verheimlicht. Und ja, er hat sich geirrt, aber nicht in der Handlung, sondern in der Person. Er hat meine Schwester mit ihrem Freund gesehen."

Sie beendete ihre Erklärung mit einem sarkastischen „Zufrieden jetzt?" und zusammen ließen Markus und sie die perplex schauende Ines stehen und verschwanden in seinem Zimmer.

„Wow!", staunte Markus beeindruckt, „Du kannst ja richtig bissig werden."

Verlegenheit überzog Susannes Gesicht, als sie erklärte:

„Nach dieser Geschichte habe ich mir halt vorgenommen, etwas mutiger und ehrlicher zu sein."

„Das stimmt ja hoffnungsvoll."

Trotz seines lockeren Tons machte sein plötzlich umschlagender Gesichtsausdruck Susanne deutlich, dass das, was sie ihm angetan hatte, noch länger nachwirken würde. Natürlich! Alles andere zu glauben wäre Dummheit. Sie spürte die Wärme in ihrem Gesicht brennen. Wenn sie es nur irgendwie wieder gutmachten könnte!

„Lass uns von etwas Erfreulicherem reden!"

Markus zog sie aufs Bett und griff nach einem Umschlag auf seinem Nachttisch.

„Hier. Fröhliche Weihnachten!"

Neugierig riss Susanne den Umschlag auf. Eine Fotocollage fiel heraus, sie zeigte Markus und Susanne Arm in Arm vor dem Eiffelturm.

„Oh... mein...Gott..."

Susanne angelte nach dem weiteren Inhalt des Umschlags und fand eine Karte, die sie leise vorlas:

„Einladung zu einem Rainbow-Tours-Wochenende in Paris."

Das war der Wahnsinn! Doch in Susannes Begeisterung mischte sich Scham und ließ sie daher verhaltener reagieren, als sie es normalerweise getan hätte. Sie hatte das gar nicht verdient! Unvermittelt stiegen ihr Tränen in die Augen.

„Also die Fahrt und die Übernachtung gehen auf mich", fuhr Markus verlegen fort, „Den Rest müsstest du..." Nervös realisierte er ihre Reaktion. „Sanne?"

Wortlos fiel Susanne ihrem Freund um den Hals.

„Das ist super!", hauchte sie und drückte ihn mit tränennassem Gesicht, so fest sie konnte. „Da wollte ich schon immer mal mit dir hin!"

„Ich weiß." Markus lächelte, als sie sich wieder von ihm löste. „Ich dachte, das würde gut passen...denn...", unruhig verknotete er auf einmal seine Hände, „Weißt du noch, was du am 13. November in der Bäckerei zu mir gesagt hast – stimmt das?"

Susanne erinnerte sich sofort, die Liebeserklärung war ihr in dem emotional aufgewühlten Gespräch einfach impulsiv herausgerutscht, aber es kam ihr natürlich nicht in den Sinn, das jetzt zu relativieren. Außerdem stimmte es. Sie sah ihn daher zärtlich an und nickte.

Und so kamen nun auch Markus die liebevollen Worte über die Lippen, die Susanne bisher nur aus ihren Büchern kannte:

„Ich liebe dich auch."

Und dazu hatte Susanne außer einem langen, intensiven Kuss nichts mehr hinzuzufügen.


Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt