23. April, Sascha

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Sascha

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Wir waren gerudert, hatten etwas gegessen, hatten uns über Gott und die Welt ausgetauscht (wir glaubten beide nicht an Gott und hatten ähnliche politische Ansichten – ich hatte ihr das verraten, was ich wirklich dachte, nicht was ich nach außen hin äußerte) und uns hin und wieder geküsst. Ich war hin und weg von ihrer lässigen, lustigen Art, versank in ihren leuchtenden grünen Augen und hoffte die ganze Zeit verdammt noch mal auf ein Wiedersehen.

Es fuchste mich, dass ich mich umständehalber auf der passiven Seite befand. Ich könnte sie anrufen (bedingt, wenn meine Eltern es nicht mitbekamen), aber sie nicht besuchen, sie nicht spontan von der Schule abholen und vieles mehr. Und doch fühlte ich mich einfach irrsinnig zu ihr hingezogen, was bei Licht betrachtet ziemlich verrückt war, wenn man bedachte, dass es genug Mädchen gab, die sich gern mit mir verabredeten. Und die obendrein nicht jenseits der Mauer wohnten.

Rainer und Carsten hatten nur amüsiert die Köpfe geschüttelt, als ich ihnen von dem geplanten Treffen mit Katharina erzählt hatte. „Wozu soll das gut sein?", hatte Carsten kritisch eingewandt, „Du willst doch gewiss nicht mit einer aus dem Westen etwas anfangen."

Selbst mein längster und bester Freund Rainer hatte mich gewarnt, mir Hoffnungen zu machen, sie würde bestimmt ohnehin nicht kommen. Immerhin hatte er nicht gemeckert, als ich ihm offenbarte, dass ich seine Adresse als Briefkasten zu verwenden gedachte, wenn alles gut liefe. „Wenn's denn sein muss", hatte er lakonisch erwidert. Zum Glück war seine Familie in dieser Hinsicht entspannt, denn sie hatten Westverwandtschaft, wo Post aus dem Westen nicht so sehr auffallen würde.

Viel zu schnell verging auch die letzte gemeinsame Stunde und dann standen wir wieder an der Friedrichsstraße, von der aus wir heute Mittag aufgebrochen waren. Katharina reichte mir einen Zettel.

„Hier, meine Adresse. Schreib mir!"

Ihr Blick umwölkte sich, als sie rasch zur Grenzabfertigungshalle hinüber sah. Dann wandte sie sich wieder mir zu. „Ich würde mich freuen", fügte sie leise hinzu.

„Klar schreibe ich", versicherte ich mit Überzeugung, knickte den Zettel in der Mitte durch, riss ihn auseinander und schrieb auf die zweite Hälfte: Familie Kortmann. Friedensallee 31e, 1170 Berlin. Verwundert sah mich Katharina an, nachdem sie den Zettel gelesen hatte. „Um Ärger zu vermeiden. Mit meinen Eltern. Und anderen...", erläuterte ich vage und ergänzte: „Das ist Rainers Adresse. Und schreib den Brief, ohne mich beim Namen zu nennen. Ich erklär's Rainer. Der reicht mir dann den Brief weiter."

Katharinas Blick war etwas zweifelnd. „Ungeöffnet" fügte ich beruhigend hinzu. Und während ich noch überlegte, wie viel ich Kathi von der Atmosphäre bei mir zu Hause verraten sollte, nickte sie bereits.

„Aber wir sollten uns an einem festen Tag treffen. Denn schnelle Kommunikation ist es so wohl nicht...", sie zog die Augenbrauen ein wenig hoch, „Wie wäre es mit jedem ersten Samstag im Monat?"

„Gute Idee!", stimmte ich sofort zu. „Aber im Mai muss es der zweite Samstag sein, am 6. Mai habe ich schon etwas vor."

Katharina nickte erneut. „Aber früher, nicht so spät wie heute. Um circa zehn Uhr?"

„Abgemacht."

Und dann wurde es Zeit zum Abschied nehmen. Es kam mir merkwürdig vor, sie jetzt gehen zu lassen und zu wissen, dass wir uns erst in drei Wochen wieder sehen würden. Mit einem Hauch von Melancholie und Resignation küssten wir uns noch einmal lange und dann tat sie rückwärts ein paar Schritte auf das von hier auf fensterlose Gebäude zu, während sie meinen Blick hielt, unsere Arme, deren Finger ineinander verschränkt waren, wurden immer länger, bis unsere Hände schließlich auseinander glitten. Sie winkte und ich sah ihr nach, bis sie im Gebäude verschwunden war. Sie fehlte mir schon jetzt.


Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt