13. Mai, Kathi

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13. Mai , Kathi

Eine vorwitzige Hummel summte um uns herum, die Vögel zwitscherten und Bäume und Sträucher leuchteten in sattem Grün. Spaziergänger und Eltern mit Kinderwagen säumten die kreuz und quer durch den Park führenden Wege. Sascha und ich schlenderten händchenhaltend durch die Frühlingspracht und ich fühlte mich euphorisch, voller verliebter Frühlingsgefühle und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf dem Gesicht.

Impulsiv ließ ich seine Hand los und drehte mich dann ausgelassen mit ausgestreckten Armen ein paar Mal um die eigene Achse, bevor ich mich dann in Saschas ausgebreitete Arme fallen ließ. Er zog mich an sich und flüsterte mir ins Ohr: „Wenn ich nicht aufpasse, fliegst du mir wohl davon."

„Dann halte mich am besten ganz fest", gab ich ihm recht und lehnte mich an ihn. Ich war unbeschreiblich glücklich und nichts hatte mein Glück in den letzten drei Wochen trüben können, weder Streitereien mit den Eltern noch lästige Klausuren in der Schule oder schlechtes Wetter. Aber im Moment strahlte die Sonne vom Himmel, wie es sich für einen anständigen Maisamstag gehörte.

„Wie lange hast du heute Zeit?", erkundigte sich Sascha und fuhr mit den Fingerspitzen sanft meinen Nacken entlang.

„Das klingt ja so, als könntest du es nicht abwarten, bis ich wieder weg bin und du dir noch etwas anderes vornehmen kannst", empörte ich mich übertrieben.

„Du hast eine bemerkenswert schnelle Auffassungsgabe", grinste Sascha, „Aber um ehrlich zu sein: wenn die Sonne untergeht, soll es hier einen schönen romantischen Platz geben...Habe ich gehört."

Ich zog die Augenbrauen hoch. „Gehört oder Standardrepertoire bei Verabredungen?"

Saschas Augen funkelten belustigt:"Für wen hältst du mich?"

Das wusste ich selbst nicht so genau. „Für einen Charmeur?" Ich zwinkerte ihm zu als Zeichen dafür, dass ich es nicht so ernst meinte, und er brach in fröhliches Lachen aus und räumte schließlich ein, dass er bei Mädchen in der Tat gut ankäme, aber romantisch nur sein würde bei einem Mädchen, dass ihm wichtig wäre. Dabei sah er mich bedeutungsvoll an.

Ich wusste nicht ganz, ob ich ihm das glauben sollte, denn wir hatten erst gerade mal die zweite Verabredung, schwebte aber trotzdem im siebten Himmel, als ich dies hörte. Ehrlich gesagt ging es mir ja ebenso. Sascha war genau der Typ Junge, von dem ich immer geträumt hatte. Mit Ausnahme der Tatsache, dass er nicht blond, sondern dunkelhaarig war. Vielleicht durchliefen wir auch alle Gefühle im Schnelldurchgang, weil wir uns nur selten sehen konnten.

„...war wirklich noch nie dort", hörte ich ihn sagen und ich stimmte natürlich zu, diesen romantischen Ort mal auszutesten, denn ich musste erst um 23.3o Uhr zu Hause sein ( in Verbindung an die letzte Bahn ) und nach Sonnenuntergang verblieb noch genügend Zeit für den Grenzübergang.

„Ist es schwer, einzureisen?", erkundigte sich Sascha beim Weiterschlendern, als könne er Gedanken lesen. Ehrlich gesagt, war es beklemmend und letztes Mal war ich auch irgendwie froh gewesen, zurück im Westen zu sein. Aber das sagte ich Sascha natürlich nicht.

„Das Anstehen ist nervig...", erklärte ich, was zumindest der halben Wahrheit entsprach, „...und die Taschenkontrolle. Aber früher war es wohl noch aufwendiger, da musste man als Westberliner vorher noch extra zu einer anderen Behörde und da die Erlaubnis beantragen. Und dann fragen die immer nach dem Grund der Einreise."

„Und was sagst du?", wollte Sascha wissen und wirkte auf einmal ein wenig nervös.

„Aus touristischen Gründen", gab ich zurück, „Oder soll ich Bekanntenbesuch angeben?" Fragend blickte ich ihn an.

„Tourismus ist gut", reagierte Sascha erleichtert.

In diesem Moment fiel mir etwas ein:

„Warum soll ich nun an Rainer statt direkt an dich schreiben?"

„Na ja...", kam es gedehnt von Sascha und er zog mich auf die Wiese, um einer entgegenkommenden Familie auszuweichen. „Meine Eltern dürfen nicht über uns Bescheid wissen."

„Wieso? Weil ich aus dem Westen bin?", unterbrach ich überrascht.

Sascha nickte nur und ergänzte knapp: „Mein Vater ist etwas Wichtiges in der Partei." Sein Tonfall machte klar, dass er nicht ausführlicher werden wollte und ich unterließ daher weitere Fragen, obwohl meine Neugier geweckt war. Aber eines wollte ich dann doch wissen.

„Und wie lebt es sich damit? Da du doch so gar nicht dahinter stehst?"

Verstohlen sah sich Sascha um – keiner Mensch war in der Nähe – und erklärte dann:„Wir leben eine intensive Streitkultur. Ich kritisiere und mein Vater hält mit den Errungenschaften des Sozialismus dagegen und hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er mich damit irgendwann wieder überzeugt. Wichtig ist nur, dass alles was ich sage, in den eigenen vier Wänden bleibt. Wenn irgendjemand mitkriegt, wie du zurzeit tickst, bist du die längste Zeit mein Sohn gewesen. Haben wir uns verstanden?, das hat er gesagt und daran halte ich mich." Er zuckte mit den Schultern. „Und so bin ich Gruppenleiter in der FDJ und erstklassiger Schüler, und halte in der Öffentlichkeit meinen Mund."

Puh, dachte ich und kommentierte impulsiv: „Hört sich ziemlich anstrengend an, sich so geben zu müssen, wie man nicht ist."

Sascha warf mir einen überraschten Blick zu und bestätigte: "Genau so ist es. Deshalb will ich ja auch nach Moskau...Hauptsache fort von hier. Was ich paradoxerweise nur erreichen kann, wenn ich mich so angepasst und engagiert wie möglich gebe."

„Dann funke ich jetzt dazwischen", stellte ich nüchtern fest und blieb mitten auf dem Gehweg stehen. Und dachte nur: Scheiße, ist das weit.

„Quatsch", rief Sascha aus und ergänzte nicht ganz überzeugend: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun." Und er zog mich in seine Arme und küsste mich ausgiebig, was sämtliche unangenehmen Gedanken im Nu fortschob.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt