26. Dezember, Sascha

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Es hatte unverschämt lange gedauert, aber endlich hatte ich die mobile Gasheizung zum Laufen gebracht, die anscheinend schon lange nicht mehr benutzt worden war. Jetzt füllte mollige Wärme die ausgekühlte Datsche, so dass ich mich meiner dicken Jacke entledigen konnte. Hätte ich gewusst, dass sich unter all dem Krempel diese Gasheizung befand, dann hätte ich mich längst mit Kathi hier mal wieder blicken lassen.

Nun aber wartete ich auf Rainer, der mich kurz vor Weihnachten angerufen und mitgeteilt hatte, dass er an den Weihnachtstagen in Berlin sein würde. Seine Eltern besuchten Freunde und er hatte daher vorgeschlagen, sich mit mir in der Datsche zu treffen. Das war mir ganz recht (insbesondere, als ich von der Gasheizung hörte), denn es wäre mir unangenehm gewesen, Rainer bei Diekmanns zu empfangen und stundenlang im Winter unterwegs oder in 'ner Kneipe zu hocken, hatte auch wenig Verlockendes an sich.

Ich ließ mich in einen der Stühle fallen und legte die Beine entspannt auf den Tisch – schnell war es so warm in dem kleinen Raum geworden, dass ich die Schuhe abgestreift hatte – und schloss einen Moment schläfrig die Augen. Da pochte es kräftig an der Tür und eine Stimme ertönte:

„Von drauß vom Walde komm ich her..."

„...und muss euch sagen, es rainert sehr", vervollständigte ich lachend und dann wurde auch schon die Tür aufgerissen und Rainer und ein paar Regentropfen wehten herein.

Wir umarmten uns kumpelhaft und dann ließ sich Rainer aufseufzend vor der Heizung nieder und streckte seine nassen Arme und Beine der Wärme entgegen. Suchend glitt sein Blick durch den Raum.

„Und – wo ist das Bier?", verlangte er grinsend.

„Ich dachte, du bringst Astra aus Hamburg mit!", parierte ich und warf ihm ein Pils zu.

Mit einem Zischen öffnete er die Dose und dann tauschten wir uns über die letzten Wochen aus, in denen wir uns nicht gesehen hatten.

„Habt ihr nicht vor, zurück zu kommen, jetzt, wo die Mauer offen ist?", wollte ich schließlich neugierig wissen und schnipste eine Fluse vom Tisch.

Rainer schüttelte den Kopf:

„Nee, wozu, wir haben uns längst gut eingelebt. Und unsere Wohnung hier wird ja wohl auch längst weg sein. Aber was ist mit dir? Zurück zu den Eltern?"

Mit einem Krachen zerknüllte er die Dose. Ich wehrte hastig ab.

„Ganz sicher nicht! Ich war gestern bei ihnen, das hat mir gereicht."

Zwar hatten sich im Zuge der Maueröffnung und den daraus einhergehenden Veränderungen die Wogen in Bezug auf meine Beziehung zu Kathi etwas geglättet, dennoch wäre für mich ein Zusammenleben unter einem Dach unvorstellbar. Mal ganz abgesehen davon, dass ich inzwischen Bürger der Bundesrepublik war.

„Mein Vater jammert der DDR hinterher und meine Mutter hat sich über den furchtbaren Andrang in den Geschäften in Westberlin beschwert, wo sie ein paar Tage vor Weihnachten das erste Mal war."

Rainer schüttelte amüsiert den Kopf.

„Kurz vor Weihnachten, was erwartet sie?"

„Eben!", stimmte ich zu und langte nach einem Pils.

Mit Bedauern sah ich auf die schwindende Anzahl der Dosen. Ich hatte mitgebracht, so viel ich tragen konnte, aber wir würden uns nachher noch Nachschub besorgen müssen.

„Und außerdem...", erinnerte ich Rainer schließlich, „...habe ich mich ja selbst ausgebürgert."

Er rappelte sich vom Boden hoch und ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. Der dadurch aufsteigende Staub brachte uns beide zum Niesen. Nachdenklich ließ Rainer den Blick durch den Raum schweifen.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt