Markus
Typisch! Natürlich musste seine kleine Schwester wieder gucken kommen. Sie konnte oder wollte einfach nicht begreifen, dass sie auf seiner Party nichts zu suchen hatte. Schließlich hatte sie extra eine Freundin einladen dürfen, damit sie sich fern hielt. Aber natürlich tat sie nie, was sie sollte. Dreizehn ist ein grässliches Alter, dachte Markus und vergaß, dass er es ebenfalls mal gewesen war. Verärgert trat er auf Ines und ihre Freundin zu und machte eine Bewegung, wie wenn man Hühner verscheucht: „Ab jetzt, du hast hier nichts zu suchen!"
Ines streckte ihm frech die Zunge heraus, zog aber ihre Freundin mit sich und verschwand zum Glück ohne weiteres Theater. Nervös ließ er seinen Blick durch das Wohnzimmer gleiten. Hoffentlich amüsierten sich alle. Stefan ließ It's raining men laufen und die meisten seiner Gäste bewegten sich ausgelassen zur Musik. Ein blonder Lockenkopf geriet in sein Blickfeld. Da war sie und tanzte selbstvergessen mit geschlossenen Augen, aber offenbar sang sie den Text mit. Für einen Moment begnügte sich Markus damit, sie zu beobachten. Dann gab er sich einen Ruck und schlängelte sich durch die Tänzer zu ihr hin. Kathi bewegte sich lässig im Rhythmus der Musik, ohne die anderen Tänzer wahrzunehmen. Ihre Arme bewegten sich anmutig und die Haare wippten, wenn sie den Kopf drehte. Markus hütete sich, sie zu stören, wandte aber keinen Blick von ihr, während er neben ihr tanzte. Als die letzten Takte des Liedes verklangen, öffnete Kathi wieder die Augen, entdeckte ihn neben sich und lächelte verlegen.
Ein neues Lied erklang, es war zu laut, sich zu unterhalten, und daher tanzten sie einfach weiter, die Gesichter einander zugewandt. Markus kam sich ungeschickt neben ihren fließenden Bewegungen vor, aber egal, da musste er halt durch. Warum mussten Mädchen bloß immer so auf Tanzen stehen. Aber wer das mitmachte, beeindruckte schon mal. Dann erfüllten die Klänge eines bekannten französischen Liedes den Raum, zu dem zum Glück nicht gut zu tanzen war. Doch bevor er Kathi ein Getränk anbieten konnte, sah sie mit einem koketten Augenaufschlag zu ihm auf und fragte lächelnd:
„Tanzt du Rumba?"
„Leidlich", sagte er, den letzten Tanzkurs vor Augen und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Tanzfläche bis auf ein paar Unverwüstliche leerte.
„Komm..." Kathi hatte die Hand auffordernd ausgestreckt. Das meinte sie jetzt nicht ernst, oder? Markus zögerte. Er würde hier nicht vor aller Augen... Doch Kathis bittenden Augen war schwer zu widerstehen. Zum Teufel, der Grundschritt war einfach, den würde er gerade noch hinkriegen. Er holte tief Luft und zog Kathi in die Tanzhaltung. Die Konzentration auf die Tanzschritte und die verschiedenen Armbewegungen halfen ihm, die neugierigen Blicke seiner Freunde möglichst nicht zu beachten.
Es ging dann besser, als er gedacht hatte. Kathi wirbelte selbständig in ihren Schritten vor und neben ihm her und strahlte ihn glücklich an. Schon gewonnen, dachte Markus, und lächelte zufrieden zurück. Langsam begann es ihm Spaß zu machen und er entspannte sich zunehmend.
„Pas si mal que ca" * murmelte er unwillkürlich und merkte erst an Kathis Erwiderung „Oui je trouve aussi" *, dass sie ihn gehört hatte.
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*gar nicht so schlecht * finde ich auch
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Ausgelassen sang sie dann den Text mit, in nahezu perfekter französischer Aussprache. Als die Musik verklang, brachte Kathi ein atemloses „Danke" hervor, machte aber keine Anstalten, ihn loszulassen.
„Jetzt trinken wir aber erst einmal etwas", schlug Markus vor und schob sie auf das Büffet zu.
„Ich nehme eine Fanta" entschied Kathi und Markus nahm sich ein Bier. Dann lotste er sie in Richtung Terrasse, dabei geflissentlich seinen Namen ignorierend, den ihm jemand aus der Ferne zurief. Auf der Terrasse war es angenehm, es wehte ein kleines Lüftchen und Kathi schob sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht.
„Wo hast du so Französisch sprechen gelernt?", wollte Markus neugierig wissen. „Kommst du bei Ehrlicher in den Leistungskurs?"
„Ich habe Bio und Deutsch gewählt."
„Warum das denn?" fragte Markus verblüfft und trank einen langen Schluck, bevor er fortfuhr: „Klingt, als wenn du das Französische doch super beherrscht."
„Ach was", wehrte Kathi ab, „Das kam dir bestimmt nur so vor. Das war doch nur die Musik!"
Markus runzelte nachdenklich die Stirn, gab sich jedoch mit ihrer Erläuterung zufrieden, als Kathi nun zügig das Thema wechselte.
„Schön habt ihr es hier", bemerkte sie und wies mit ihrer Hand auf den kunstvoll angelegten Steingarten, der die Terrasse vom dahinterliegenden Rasen trennte. Markus trat neben sie und blickte ebenfalls auf den Steingarten hinüber.
„Ist das Hobby meiner Mutter. Sie macht die Kunst und meine Schwester und ich dürfen Unkraut zupfen". Er zog eine Grimasse.
Kathi lachte und legte eine Hand auf die Lehne des Liegestuhls neben ihr. „Ist wohl nicht so ganz das, was du dir unter Freizeitbeschäftigung vorstellst", sagte sie und fuhr sich mit der anderen Hand durch die Locken, so dass sie ihr Ohr freigaben und der aus lauter kleinen Blättern bestehende Ohrring im Licht glitzerte, das von drinnen auf die Terrasse fiel.
„Ihr wohnt zu dritt hier?"
Markus nickte nur, ohne mehr preis zu geben. Die Trennung seiner Eltern lag noch nicht lang genug zurück, um darüber entspannt reden zu können. Zum Glück fragte sie nicht weiter. „Und du?", wollte er wissen.
Kathi wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, bevor sie antwortete:„Wir wohnen in der Märchensiedlung, meine Eltern, meine Schwester und ich."
„Jünger oder älter?" „Jünger". Ein amüsierter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. „Aber nicht so jung wie deine".
Markus fasste sich theatralisch an die Stirn. „Ines ist eine Landplage. Sie ist dreizehn, aber will immer die gleichen Rechte wie ich."
Kathi nickte verständnisvoll und schlug dann vor: „Sie findet es bestimmt cool, wenn du deine Freunde mitbringst. Wenn sie dich ärgert, dann sag doch einfach, dass du zukünftig keinen mehr mit nach Hause bringst."
„Könnte ich mal probieren", grinste Markus und legte seine Hand auf die Brüstung, die die Terrasse zur Seite abschloß.
„Ich habe mir jedenfalls früher einen großen Bruder gewünscht..." erwiderte Kathi nachdenklich und ergänzte dann:
„Aber da es den nicht gibt, muss ich eben selbst aktiv werden." Mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck sah sie zu ihm hoch.
Er merkte, dass sie ein ganzes Stück kleiner war als er. Ein lauer Windstoß ließ die Fransen an ihrem Top flattern und sein Blick verweilte ein Weilchen an der Stelle, an der ein Schatten die Vertiefung zwischen ihren Brüsten andeutete, bevor der Stoff ihres Oberteiles Weiteres verdeckte.
Er spürte immer noch ihren Blick auf sich. War es nicht genauso, wie er es sich gewünscht hatte? Dennoch hielt ihn die Nervosität davon ab, den nächsten Schritt zu tun, was er vor sich selbst mit der Verpflichtung, sich um seine Gäste kümmern zu müssen rechtfertigte.
„Wir sollten mal zusammen ins Kino gehen", murmelte er und sah sie endlich an.
„Das wäre schön", stimmte Kathi zu, ein scheues Lächeln im Gesicht.
Für einen Augenblick sahen sie sich schweigend in die Augen, bis Markus sich räusperte und sagte:
„Ich glaube, ich muss mal wieder reingehen und nach den anderen gucken".
Der vielversprechende Moment war vorbei.
„Okay", nickte Kathi und betrat vor ihm das Wohnzimmer. Dort lief gerade eines der ruhigeren Lieder von Whitney Houston. Kathi drehte sich zu ihm um und bat:„Lass uns noch mal tanzen."
Markus war sofort einverstanden und zog sie in seine Arme und Kathi legte die Hände um seinen Nacken und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Er vergrub das Gesicht in ihren Haaren und genoss es, sie so dicht bei sich zu spüren, ohne etwas sagen zu müssen oder mehr tun zu müssen, als langsam im Takt der Musik hin und her zu schwingen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das Lied ewig dauern können...
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Ich habe hier versucht, die Unsicherheit bei der ersten Annäherung einzufangen; lasst mich gern wissen, ob das rüberkommt oder eher nicht so passt.
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Herz in den Wolken
RomanceDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...