13. September, Kathi

29 9 54
                                    

Kathi

„Kaaathi! Schnell!!!"

Der Ausruf hatte mindestens drei Ausrufezeichen. Langsam schlenderte ich in den Flur, nicht bereit, mich nach dem anstrengenden Schultag hetzen zu lassen, und beugte mich über das Treppengeländer. „Was iss'n so Dringendes?", wollte ich gedehnt wissen.

Susi hielt mir den Hörer hin. „Sascha für dich", verkündete sie und strahlte mich an.

Ich stieß einen lauten Schrei aus und flog dann nahezu die Treppen hinunter. Aufgeregt riss ich Susi den Hörer aus der Hand. „Hallo?", keuchte ich atemlos und konnte es kaum glauben.

„Hallo Kathi", klang Saschas warme Stimme aus dem Telefon. Mir schossen vor Erleichterung Tränen in die Augen.

„Sascha! Wo bist du? Wo warst du?" purzelten die Fragen aus mir heraus. Fest umklammerte ich den Hörer, aus Angst, dass sich seine Stimme sogleich wieder in Luft auflösen würde.

„Ein paar Kilometer weiter gen Osten", scherzte er und konkretisierte dann: „Zu Hause. Hast du meine Nachricht bekommen?"

Ich spielte mit dem Telefonkabel und bekam nur vage mit, dass Susi mich neugierig beobachtete.

„Welche Nachricht? Sascha, wo warst du???"

Die Leitung rauschte, als würde sie gleich zusammenbrechen. Warum war das so eine verdammt schlechte Verbindung?

„Oh." Seine Stimme fiel um eine Oktave. „Ich hatte Rainer einen Brief für dich mitgegeben. Lag zwei Wochen im Krankenhaus und konnte daher nicht telefonieren..." Seine Stimme wurde immer leiser, bis sie kaum noch zu hören war. „... hier gewesen?"

Ich nickte heftig und vergaß, dass er das ja nicht sehen konnte.

„Ja, ich war da", antwortete ich daher, „...bin sogar zu Rainer gefahren, aber da war niemand...Was ist denn passiert?"

Ein plötzliches lautes Knacken drang an mein Ohr und dann war Sascha auf einmal wieder lauter zu hören, die Betroffenheit in seiner Stimme unverkennbar:

„Oh Scheiße, das tut mir leid."

„Wieso warst du im Krankenhaus?" wollte ich wissen, gleichzeitig besorgt und froh, seine Stimme zu hören.

„Ich habe einen LKW geküsst..." antwortete Sascha leichthin „...und das ist meinem Knie leider nicht gut bekommen."

„Was heißt das?" fragte ich und spielte mit dem Telefonkabel.

„Ich wollte eine Straße überqueren und der LKW wollte die Straße entlang fahren und beides hat sich nicht gut vertragen", erwiderte Sascha trocken.

Erschrocken sog ich die Luft ein und fuhr mit der Hand zum Mund. Dass er in einer solchen Situation immer noch einen Witz machen konnte.

„Das Ergebnis ist jedenfalls ein kaputtes Knie und wochenlang Gips bis zum Oberschenkel", fuhr Sascha fort.

„Oh Gott!", entfuhr es mir entsetzt und ich schloss für ein paar Sekunden die Augen. Was hätte da nicht alles noch passieren können. „Wo bist du jetzt?"

„Zu Hause auf dem..." Seine Stimme verlor sich einen Moment. Dann wiederum kam es so klar aus der Leitung, als stünde er direkt neben mir:

„Ich vermiss dich, Süße."

„Ich dich auch!", gab ich zurück, dann presste sich mir die Kehle zusammen und meine Augen wurden wieder feucht.

„Kannst du zu mir kommen...?" fragte Sascha langsam.

„Zu dir nach Hause?", vergewisserte ich mich.

„Hmm", bestätigte er. „Meine Eltern arbeiten tagsüber."

„Ja klar!", da musste ich nicht lange überlegen. „Ich komme gleich morgen früh. Scheiß auf die Schule."

Ich schrieb morgen einen Test, aber was machte das schon, es gab Wichtigeres im Leben. Ich hörte Sascha leise lachen.

„Ich würde mich wahnsinng freuen", gab er zurück und nannte mir seine Adresse. „Ab 8.oo Uhr sind meine Eltern los. Hab aber Geduld, ich bin nicht so schnell an der Tür. Und...Kathi?"

„Ja?"

„Komm inkognito".

„Was?" Ich hatte kaum etwas verstanden, schon wieder waren haufenweise Nebengeräusche zu hören, es machte mich wahnsinnig.

„Komm inkognito".

Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. „Was meinst du?" gab ich ratlos von mir.

„So gern ich dich in deinen kurzen Shorts und dem ausgeschnittenen Top sehe..." Er lachte wieder „... etwas weniger auffallend wäre gut. Nicht ganz so hübsch und nicht so westlich."

„Okay, ich versuch's", versprach ich.

„Super. Kann's kaum erwarten..." Saschas warme, zärtliche Stimme ließ mein Herz höher schlagen und ich sehnte mich im Moment so sehr nach ihm, dass ich am liebsten sofort losgefahren wäre.

„Bis morgen", gab ich sanft zurück und hauchte einen Kuss durch die Leitung.

„Bis morgen, liebe Kathi."

Und dann legte er auf. Die Erleichterung, endlich von ihm gehört zu haben, war grenzenlos. Ich schloss die Augen und gab mich der Freude auf ein baldiges Wiedersehen hin. Auf das Rascheln eines Zettels vor meinem Gesicht hin kam ich wieder zu mir.

„Lauter Herzen. Wie süß", feixte Susi und hielt mir den Zettel vor die Nase, auf dem ich unbewusst während des Telefonates gekritzelt hatte.

„Her damit!" Ich griff nach dem Blatt Papier und nahm es meiner Schwester fort.

„Ich habe doch gesagt, dass irgendetwas geschehen ist", fuhr Susi dann fort, als führten wir lediglich ein kürzlich begonnenes Gespräch weiter.

„Susi!" Ich zog sie aufgeregt am Arm. „Ich brauche deine Hilfe!"

„Klar gebe ich dir Geld", versprach diese sofort.

„Nein, etwas anderes." Ich sah meinen Zwilling mit bittenden Augen an. „Ich fahre gleich morgen. Morgen früh. Aber wir schreiben einen Test..."

„Nein!" Entschlossen schüttelte Susi ihren Kopf.

„Biiiitte! Dann bist du auch die allerliebste Schwester auf der ganzen Welt.", bettelte ich. Sie musste einfach ja sagen!

„Bin ich sowieso", brummte Susi. Sie seufzte, schon halb überredet. „Welches Fach?"

„Geo".

„Na toll", gab Susi sarkastisch zur Antwort. „Da bin ich ja so super gut. Mach dich auf eine Fünf gefasst."

„Hauptsache, sie wird mitgeschrieben", lachte ich und fiel ihr ausgelassen um den Hals. „Und eine Fünf schreiben kannst du gar nicht. Komm, ich zeige dir das Thema. Vielleicht hattest du es ja schon."

Und mit diesen Worten bugsierte ich meine Schwester ausgelassen die Treppe hoch.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt