9. Juli, Sascha

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Es goss in Strömen und ich verfluchte den Wettergott, der so gar kein Einsehen hatte. Ich hatte mir den Schirm meiner Mutter genommen und stand schräg gegenüber dem Grenzübergang Friedrichsstraße, ein wenig verborgen zwischen einem Elektroladen und einer Litfaßsäule, und tat so, als studiere ich die Ankündigungen darauf. Ungeduldig warf ich einen Blick auf die Uhr. Wir verabredeten uns immer für 10.oo Uhr, aber manchmal dauerte es an der Grenze länger, bis Kathi durchkam.

Jetzt war es schon 10.3o Uhr. Womöglich hatte sie sich anders entschieden? Nach vier Wochen des Wartens, die von Briefen nur notdürftig überbrückt wurden, schwang immer ein wenig Besorgnis mit. Das Warten zerrte daher an meinen Nerven. Der vermaledeite Regen ebenso. Wir sollten uns mal einen anderen Treffpunkt auswählen, irgendwo drinnen, ging es mir durch den Kopf, da wäre es dann auch weniger auffällig. Um mich zu beschäftigen, malte ich mit dem Fuß Kreise auf den Boden. Zu blöd, dass wir nicht zu mir nach Hause konnten.

„Sascha!"

Kathis Freudenschrei riss mich aus meinen Gedanken. Im Laufschritt kam sie auf mich zu und fiel mir strahlend um den Hals. Durch den Schirm vor neugierigen Blicken geschützt zog ich sie mit dem freien Arm dicht an mich und spürte die durchnässte Sommerjacke.

„Wird Zeit, dass du ins Trockene kommst", befand ich nach einem langen Begrüßungskuss und zog sie zur nahe gelegenen U-Bahnstation.

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest", entschuldigte sich Kathi. „Vor mir war eine Reisegruppe, und bei denen gab es irgendein Problem."

„Hauptsache, du bist jetzt da."

Ich strahlte sie an, als hätte ich sie eine Ewigkeit nicht gesehen. Was ja auch stimmte.

„Was machen wir nun heute bei diesem Wetter?", wollte Kathi wissen und sah mich neugierig an.

„Ich könnte dir ein Museum anbieten..." begann ich, doch Kathi schüttelte ihren Kopf so heftig, dass die Locken flogen.

„Warum überrascht mich das jetzt nicht", schmunzelte ich und zog sie mit meine süße Kulturbanausin auf.

Als Antwort streckte Kathi mir die Zunge raus und ich grinste zurück. Sie war einfach von einer unglaublichen Lässigkeit und konnte über sich selbst lachen, das gefiel mir so an ihr. Und sie steckte voller verrückter Ideen (nicht zuletzt die verschiedenen Male des Rollentausches mit ihrer Schwester, von denen sie vergnügt erzählte), die sie umsetzte, ohne vorher die Risiken und Konsequenzen zu überprüfen; das fand ich faszinierend. Ob alle Menschen im Westen sich so sorglos verhielten?

„Ich dachte, wir fahren nach Pankow. Rainers Eltern haben da eine Datsche", beantwortete ich schließlich ernsthaft ihre Frage, denn ich war dann doch auf Rainers Angebot zurückgekommen, als sich die schlechte Wetterlage abzuzeichnen begann.

„Eine was?", fragte Kathi und sah mich verständnislos an.

„Ein Gartenhäuschen", erläuterte ich breitwillig. „Hier, das ist unsere Bahn".

Noch bevor sie ihr Portemonnaie zückte, hatte ich bereits wieder eine Karte für sie gelöst.

Halb frustriert, halb amüsiert sah Kathi mich an.

„Wir diskutieren doch nachher sowieso wieder", hob sie an.

Ich zuckte nur grinsend mit den Schultern, wenigstens hatte ich so ein paar Stunden lang das Gefühl, meine Freundin einladen zu können. Aneinander gelehnt und mit dem Austausch über die Ereignisse der letzten Wochen legten wir die Strecke mit der U-Bahn und anschließend mit der S-Bahn zurück.

Dann war es nur noch ein kurzer Weg über einen sandigen Pfad, der sich zwischen einem Fabrikgelände und einem mit Unkraut überwucherten Bolzplatz entlang schlängelte, bis er sich zu einem versandeten Rasen erweiterte, auf der verschiedentlich kleine Häuschen errichtet worden waren, alle mit einem einfachen Jägerzaun voneinander getrennt.

Das von Rainers Familie stand ganz hinten, direkt an einem kleinen Kanal und unter ein paar Laubbäumen. In der Datsche und dem kleinen Gartenstück davor hatte Rainer meist seine Geburtstage gefeiert, als er noch klein gewesen war.

Ich zog den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss auf. „Krieg keinen Schreck", warnte ich, „...die ist schon länger nicht benutzt worden und so sieht sie auch aus".

Ich verschwieg, dass ich heute Morgen noch versucht hatte, etwas Platz zu schaffen. Mit einem Knarzen sprang die Tür auf. Kathi steckte neugierig den Kopf hinein und musste lachen, als sie das ganze Gerümpel sah. Sie trat über die Schwelle und ließ den Blick wandern. Gegenüber stand ein altes Kinderfahrrad, das von einigen Spinnenweben verziert wurde, daneben mehrere prall gefüllte Kartons, dann ein paar Gartenliegenauflagen und ein beigefarbener Gartentisch, auf dem ein Korb mit Büchern abgestellt worden war. Nachlässig hatte ich darübergewischt, man sah noch die Spuren, wo mein Tuch die Staubschicht nicht erreicht hatte.

Eine altmodische Kommode und ein rotlackiertes Regal komplettierten die Ausstattung des kleinen Raumes, von dem aus noch eine mit Fransen behängte Tür zu einem weiteren Raum abging, den ich aber nicht betreten hatte.

„Hauptsache trocken", kommentierte Kathi, während ich die Tür zu zog, schälte sich aus ihrer Jacke und trat auf den Tisch zu, um sich einen Stuhl heran zu ziehen.

Ich wies auf die aufeinander gelegten Gartenstuhlauflagen an der Holzwand, die ich ebenfalls notdürftig von Staub befreit hatte.

„Ist das nicht bequemer?"

Ich zog sie herüber und wir sanken gleichzeitig auf die Polster, eng aneinander geschmiegt. Ich vergrub das Gesicht in ihren Locken. Ihre Haare rochen nach Apfel und nach etwas anderem Frischem, jedenfalls nach Westprodukt.

Für einen Moment genossen wir still und ohne uns zu rühren die körperliche Nähe. Eingedenk der Tatsache, dass wir bereits volljährig waren, fuhren meine Hände unter ihre Bluse und strichen sanft an den Konturen ihres Körpers entlang nach oben. Kathi erwiderte mit einem leidenschaftlichen Kuss. Das war eine Aufforderung, keine Frage. Ohne zu zögern öffnete ich daher den Verschluss ihres BHs und ließ ihn auf das Polster fallen.

„Warm hier, oder?", äußerte ich mit einem gewissen Timbre in der Stimme, das meine Absicht mehr oder weniger deutlicher machte.

Kathi nickte nur stumm, lächelte aber, als ich ihr behutsam die Bluse über Kopf und Schultern schob. Ich spürte, wie sich der Stoff meiner Hose an einer bestimmten Stelle spannte. Mit einem Ruck entledigte ich mich ebenfalls meines T-Shirts und fuhr mit meinen Händen und Lippen ihre schön gewölbten Brüste entlang.

Die Wirklichkeit übertraf die Tagträume, die ich von ihr hatte und ich hoffte, nein, wünschte mir, dass auch die Fortsetzung meiner Träume ihre Entsprechung in der Realität finden würde. Die nächsten intensiven Küsse schienen genau das zu versprechen und behutsam schob ich sie mit meinem Gewicht auf die Polster hinunter, so dass ich auf ihr zu liegen kam. Ich lehnte mich auf meine Unterarme und strich zärtlich ihr Gesicht entlang. „Hast du schon einmal...?"

Kathi schüttelte den Kopf.

„Angst?"

„Nein", sagte sie schlicht und strich mit ihren Händen sanft über meinen Rücken. Schön fühlte sich das an und ich begann unwillkürlich heftiger zu atmen. Auch Kathis Atmung beschleunigte sich unter meinen Küssen.

Auf der Zielgeraden, jubilierte ich im Stillen. Aber vorher musste ich noch diese blöde Frage stellen. Und murmelte daher verlegen:

„Nimmst du eigentlich die Pille?"

Lass sie das bejahen, hoffte ich inständig, während Kathi im gleichen Moment mit „Äh, nö..." verneinte.

Enttäuschung überzog ihr Gesicht und ich unterdrückte einen Seufzer. Dann eben dieses Getüddel mit dem Gummi.

„Macht nichts. Ich hab was dabei", gab ich mich jedoch lässig und richtete mich auf, um ein Päckchen Kondome aus meiner Hosentasche zu ziehen.

Ungeschickt zerrte ich unter Kathis aufmerksamen Blicken an der Verpackung herum und nahm schließlich die Zähne zur Hilfe. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnten wir dann endlich das fortsetzen, was so verheißungsvoll begonnen hatte...

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt