15. Juli, Sascha

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15. Juli, Sascha

Ich lehnte in einer Disko an der Wand, in der einen Hand ein Bier, in der anderen eine Zigarette. Das Missfallen meiner Mutter konnte ich mir direkt vorstellen, sie schimpfte immer, wenn die Klamotten anschließend so furchtbar nach Rauch stanken. Aber das war mir egal. Meine Eltern hatten schließlich lange genug über mein Leben bestimmt.

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich nur deswegen bestimmte Dinge tat, weil meine Eltern sie ablehnten. Auch wenn sie natürlich gar nicht von allem wussten. Wollte ich vielleicht deshalb von hier fort, weil meine Eltern so überzeugte Staatsbürger waren? Oder hatte ich mich deswegen mit Kathi eingelassen, weil meine Eltern niemals eine solche Freundin akzeptieren würden?

Ich drückte meine Zigarette auf einer Untertasse aus, die bereits reichlich Aschespuren aufwies, beobachtete Carsten, der bereits in seiner typischen Zielstrebigkeit sofort jemanden angesprochen hatte, und blickte dann zu meinen Kumpels, drei Jungen aus meiner Abiturklasse, die bemüht lässig an der mit Holz vertäfelten Wand standen und darauf aus waren, jemanden abzuschleppen. Die Musik wummerte und machte jedes Gespräch unmöglich, dafür wurde mit Argusaugen die Tanzfläche gecheckt, auf der sich wie immer wesentlich mehr Mädchen als Jungen tummelten, und jede Schönheit wurde mit einem beifälligen Nicken registriert und dadurch den anderen zur Kenntnis gebracht.

Ich setzte die Flasche an die Lippen und leerte gierig die letzten Schlucke. Suchend ließ ich meinen Blick schweifen, um das leere Glas irgendwo abstellen zu können, bemerkte dabei, dass mich von der gegenüberliegenden Wand jemand beobachtete: glatte lange Haare, eine fesche, weit aufgeknöpfte Bluse, Jeans. Ich hatte schon zu lange geguckt, sie hatte das offenbar als Aufforderung interpretiert und setzte sich in Bewegung. Obwohl mir nichts ferner lag als ein Kennenlernen, begann ich sie unwillkürlich anzulächeln, als sie auf mich zukam.

„Hast du Feuer?", fragte das Mädchen, das Gesicht so dicht zu mir geneigt, dass die gebrüllte Frage nicht zu überhören war.

Ich nickte und reichte ihr das Feuerzeug. Mein Kumpel neben mir hielt anerkennend den Daumen hoch.

„Ich bin die Simone", schrie sie mir ins Ohr und es fehlte nicht viel und sie hätte mit ihrem Mund meine Wange gestreift.

„Alexander", gab ich lauthals zurück, zündete mir ebenfalls eine neue Zigarette an, und dann schwiegen wir und sahen auf die Tanzfläche, während Simone sich dabei zum Takt der Musik bewegte.

„Komm tanzen!", rief sie, als unsere Zigaretten aufgeraucht waren, und zog mich keck zur Mitte des Saales.

Ich sah mich um, zwei meiner Kumpels steuerten die Bar an, der andere bewegte sich nach Aufmerksamkeit heischend so extravagant auf der Tanzfläche, dass die anderen Tanzenden einen leichten Bogen um ihn machten. Carsten war längst verschwunden. Simone begann mit aufreizenden Bewegungen vor mir zu tanzen, das offene Haar wirbelte um ihre Schultern. Ihr Blick suchte meinen und ich lächelte zurück, freute mich über den Anblick, der sich mir bot. Sie war ganz anders als Kathi, aber auch das gefiel mir.

Als anschließend ein ruhigeres Lied gespielt wurde, schmiegte sich Simone ohne zu zögern an mich und meine Hände rutschten unwillkürlich ihren Rücken hinunter und landeten eine Etage tiefer. Mein Körper reagierte offenbar anders als mein Kopf es vorschrieb, und resigniert kam mir das bekannte Sprichwort in den Sinn: Appetit holt man woanders, gegessen wird zu Hause. Am kommenden Wochenende würde Kathi wieder kommen, endlich! Es schien fast so, als würden die Abstände jedes Mal länger werden, denn meine Sehnsucht nach ihr wurde immer größer. Als die Musik verklang, schüttelte ich den Kopf – kein neuer Tanz mehr – und schlängelte mich zum Rand hindurch zurück zu meinen Kumpels.

Auf einmal knackte es laut und vernehmlich und die Musik brach ab. Einen Moment war es still, dann war lautes Fluchen zu hören. Die jungen Leute verließen schulterzuckend und geduldig die Tanzfläche, vor der Bar bildete sich ein Knäuel, weil viele die Pause nutzten, um sich mit Getränken zu versorgen. Simone war mir gefolgt.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt