Sascha
Es war einige Minuten später, als Kathi in der für sie typischen Geste eine Strähne um ihren Finger wand und wissen wollte: „Kann ich irgendwas tun?"
Ich berührte mit den Fingerspitzen ihr Gesicht.
„Es hilft schon, dass du da bist. Zu wissen, dass irgendwo auf dem Weg ein Licht leuchtet."
Es hörte sich ungemein kitschig an, aus welchen Tiefen des Gehirns hatte ich diese Wortwahl bloß ausgegraben? Aber Kathi schien es zu gefallen, sie strahlte für einen Moment. Dann wurde sie wieder ernst.
„Dein Vater...", begann sie und verstummte.
Ich ahnte, was sie dachte.
„Das macht er kein weiteres Mal", erwiderte ich mit Nachdruck - und wenn doch, dann Gnade ihm Gott, dann würde ich zurück schlagen, nochmal würde ich mir so etwas nicht gefallen lassen, dachte ich entschlossen.
„Das hätte er halt vom eigenen, nach außen hin so angepassten Sohn nicht erwartet."
Ich lachte sarkastisch. Jetzt würde Vater mir die Zukunft verbauen, das Studium in Moskau war mit Sicherheit in weite Ferne gerückt. Aber das erleichterte mir nur meinen Entschluss. Das Visum nach Ungarn war beantragt, denn da ich volljährig war, hatte ich dafür zum Glück nicht mehr die Einwilligung meiner Eltern benötigt.
Ich spielte angelegentlich mit Kathis Fingern, die ich in die Hand genommen hatte und setzte an, ihr von meiner Idee zu erzählen, unterließ es aber, warum, wusste ich selbst nicht genau. Konnte es tatsächlich gelingen, die in Ungarn weniger scharf bewachte Grenze zu überwinden? Wir würden uns vor Ort einmal schlau machen müssen und dann weiter sehen. Über mögliche Konsequenzen, wenn es schief gehen würde, weigerte ich mich nachzudenken, verschob es auf einen Zeitpunkt, an dem alles ein wenig konkreter wäre. Sollte ich Kathi meine Idee nicht doch erzählen? Aber erneut zögerte ich. Vielleicht würde sie versuchen, es mir auszureden...
Kathi kramte inzwischen in ihrem Rucksack herum und hielt mir schließlich zwei Geldscheine entgegen – D-Mark.
„Hier. Das kannst du vielleicht brauchen."
Wortlos starrte ich auf die zwei grün-grauen Scheine und schluckte. Mir kam das Gespräch mit Rainer in den Sinn, bei dem ich noch so überzeugt gewesen war, mir auf keinen Fall von Kathi Geld schenken zu lassen, sofern es sich nicht um das Geld handelte, das sie sonst eh hätte wegschmeißen oder abgeben müssen. Jetzt hingegen wären die Devisen durchaus nicht so unwillkommen...
Es war dennoch ein unangenehmes Gefühl, so als wäre unsere Liebe eine Zweckbeziehung, um an Geld zu kommen und als würde ich mich von ihr abhängig machen. Natürlich war das nicht der Fall und mir war auch klar, dass Kathi nicht so dachte, aber trotzdem – ich wollte unsere Gefühle eigentlich nicht mit so etwas Profanem wie Geld beschweren. Aber den Luxus dieser Gedanken konnte ich mir wohl nicht länger leisten, wer weiß, wozu ich das Geld noch brauchen könnte.
Verlegen nahm ich die Scheine entgegen und stopfte sie in die Hosentasche, ihrem Blick ausweichend murmelte ich ein kaum hörbares Danke. Dann zog ich sie an mich, legte mein Kinn auf ihrem Kopf ab und schloss die Augen. Meine Zukunft lag im Ungewissen, was sich zugleich merkwürdig und aufregend anfühlte.
„Was willst du nach der Schule machen?", murmelte ich schließlich, ein wenig schläfrig von der Wärme dieses Sommertages, und spürte die Sonnenstrahlen auf meinen bloßen Armen.
„Ich weiß noch nicht", gab Kathi gedehnt zurück, „Vielleicht studieren, vielleicht eine Ausbildung."
„Kann man bei euch alles studieren, was man will?"
Eine Biene summte heran und ich verscheuchte sie unwillig mit der Hand.
„Klar! Nur vielleicht nicht unbedingt alles an jedem Ort."
Es klang beneidenswert.
„Susi will was mit Sprachen machen, vielleicht Übersetzerin oder Dolmetscherin", fuhr Kathi fort. „Ich mag Bio und Deutsch. Vielleicht wäre ja Germanistin etwas für mich."
Ich spielte mit ihren Locken und wollte dann wissen:
„Kann man denn damit bei euch Geld verdienen?"
„Keine Ahnung."
Kathi lachte unbeschwert, bis sie einen Moment später wieder ernst wurde.
„Deine Studienpläne müssen sich jetzt wohl ändern, hm?"
Sie guckte ein wenig schuldbewusst, so dass ich ihre Hand drückte und mit einem lässigen Lächeln zurückgab:
„Sieht wohl so aus."
Tatsächlich tangierte mich das inzwischen ja weit weniger als sie wissen konnte. Mit den Gedanken an das, was mir drohte, wenn die Idee mit Ungarn nicht umzusetzen sein würde, fügte ich unbedacht hinzu:
„Vorher ist aber ohnehin noch der Militärdienst dran."
Ihrem überraschten Blick entnahm ich, dass sie das nicht wusste. Woher auch, ich hatte es ja bislang tunlichst verschwiegen.
„Aber hier in Berlin, oder?"
Fragend ruhten ihre blauen Augen auf mir und ich bereute es bereits, so impulsiv den kommenden Wehrdienst erwähnt zu haben, denn die Antwort auf ihre Frage musste nun unweigerlich zu einer Erklärung führen, die uns beiden den restlichen Tag verderben würde. Mit Blick auf die Grashalme, die wir gerade durch unser Gewicht zerdrückten, gab ich leise zur Antwort:
„Nee, in Sachsen."
„Was?!", entfuhr es Kathi lautstark und ich blickte wieder auf und sah sie entsetzt die Augen aufreißen. „Wie lange?"
„Achtzehn Monate", erwiderte ich frustriert und fuhr dann zart über Kathis Hand, als könnte ich damit von der Tatsache ablenken, dass so eine Dauer und Entfernung fast das Schlimmste war, was man sich für eine Beziehung vorstellen konnte.
Verzweifelt ließ Kathi den Kopf hängen und schluckte hörbar.
„Heh!", Ich gab ihr einen aufmunternden Stups und legte mehr Optimismus in meine Stimme, als ich tatsächlich fühlte. „Wir schreiben uns. Du wirst sehen, die Zeit vergeht wie im Nu..."
Was für ein Blödsinn, dachte ich schuldbewusst und entschied mich im gleichen Moment, ihr von meinen Fluchtplänen zu berichten, um die Stimmung wieder aufzuhellen. Doch in diesem Augenblick stand Kathi hastig auf und sagte mit einem unterdrückten Schluchzen in der Stimme:
„Lass uns bitte zurück zum Boot gehen."
Und ehe ich reagieren konnte, war sie auf dem Pfad zwischen den Büschen verschwunden. Toll, Brenner, das hast du ja super hinbekommen, fluchte ich und dann blieb mir nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
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Herz in den Wolken
Любовные романыDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...