4. September, Markus
Die Schule hatte sie wieder und das letzte Jahr war angebrochen. Wie immer nach den Ferien herrschte eine ausgelassene, fast aufgekratzte Stimmung. Man berichtete sich Urlaubserlebnisse und diskutierte über den neuen Stundenplan. In Markus Leistungskurs kam hinzu, dass sie gleich zu Anfang des Schuljahres noch Besuch von der Partnerschule in Lille bekamen.
Seine Mitschüler waren schon vor einem Jahr in Frankreich zu Besuch gewesen, jetzt wurde dieser Besuch erwidert. Markus war schon sehr gespannt. Da die französische Deutschklasse mehr Schüler als der Französischleistungskurs hatte, traf es sich gut, dass es mit Markus' Zuhause eine zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit gab, der fast gleichaltrige Pierre würde bei ihm wohnen.
Markus war nicht der Einzige, der sich darauf freute, endlich wieder französisch zu sprechen, auch seine Mutter hatte ohne ihr sonst übliches Zögern sofort zugestimmt. Es würde natürlich ein bisschen eng in seinem Zimmer werden, mit der zusätzlichen Matratze, aber für zwei Wochen würde es wohl gehen. Markus hoffte, dass Pierre nicht mit einem eigenen Zimmer rechnete. Zur Not, hatte seine Mutter gesagt, würde sie bei Ines schlafen und ihr Schlafzimmer zur Verfügung stellen.
„Habt ihr schon gehört, wir gehen alle zusammen ins Musical mit den Franzosen", verkündete Benni im Klassenraum und fläzte sich so in seinem Stuhl, dass er mehr lag als saß.
„Geil", kommentierte Kristin, während sie damit beschäftigt war, eine neue Patrone in ihren Füller zu stecken. „Was gibt es denn?"
„Ich glaube, West Side Story?" Benni kratzte sich am Kopf.
„Das ist doch auf Englisch? Kann ich mir nicht vorstellen", dämpfte Markus die aufsteigende Begeisterung.
„Phantom der Oper ist auf Deutsch", wandte Kristin ein.
„Das wollte ich schon immer mal sehen", begeisterte sich Karola und rückte ihre Brille zurecht. „Ich kann es kaum erwarten, bis sie hier sind. Der Stéphane ist sooo süß."
Sie und Kristin kicherten und Benni und Markus verdrehten die Augen.
Die erste Französischstunde nach den Ferien verging damit, dass sie Pläne schmiedeten, was sie alles mit den Franzosen zu unternehmen gedachten. Es war in der Tat ein Musicalbesuch geplant und am Wochenende sollten die Familien etwas mit den Gastschülern unternehmen. Außerdem beschlossen sie, mit den Franzosen in eine der angesagtesten Diskos zu gehen.
Markus hatte vorgehabt, Sanne mitzunehmen, aber nach dem ersten erfreuten Glitzern in den Augen war sie merkwürdig einsilbig geworden, wenn das Thema aufkam und hatte gemeint, sie würde nur am Wochenende oder abends mitkommen, wenn sie Deutsch sprechen dürfe.
„Keine Angst", hatte Markus lachend gesagt und ihr das Haar zärtlich verstrubbelt, „Es beißt dich schon keiner, wenn du etwas Falsches sagst."
Die Euphorie dieser Planungen trug Markus durch die nachfolgende langweilige Geschichtsstunde – der Lehrer hatte es sich nicht nehmen lassen, gleich am ersten Schultag mit Verweis auf das anstehende Abitur ihnen zwei extrem komplizierte Texte zu lesen zu geben – und dann war endlich große Pause.
Draußen regnete es in Strömen und daher schienen sich alle Schüler in der engen Eingangshalle aufzuhalten, wo die neuen Pläne aushingen und ganz allgemein eigentlich jeder durch musste, um von den Klassenräumen zu den Fachräumen zu gelangen.
„Platz für die Lehrer, Platz für die Lehrer!" rief die Musiklehrerin Meyer Zwo ausgelassen und schob sich, beladen mit einem Keyboard, an den Schülern vorbei. Markus, Nils und Benni lachten, Frau Meyer Zwo war durch ihre lockere Art allgemein beliebt. Während Markus ihr hinterher sah, geriet ein bekannter Lockenkopf in sein Blickfeld.
Er winkte Sanne zu, aber sie schien ihn nicht zu bemerken. Mit gesenktem Kopf stand sie neben Biggi und Nicole vor den neuen Stundenplänen und sah bedrückt aus. Markus schlängelte sich durch die Menge zu ihr hin. Sanne bemerkte ihn erst, als er direkt vor ihr stand, und es schien, als huschte für einen Moment ein resignierter Blick über ihr Gesicht. Dann ließ sie sich unbeteiligt auf die Wange küssen. Markus kannte das natürlich, sie mochte keine Zärtlichkeitsbekundungen in der Schule, aber er hatte doch schon gehofft, dass sie diese Scheu über die Ferien abgelegt hätte. Schließlich waren sie bereits zwei Monate zusammen.
„Heh, was ist los", fragte er mitfühlend und strich ihr sanft über die Wange.
„Es ist nichts", erwiderte sie tonlos und stand in so einer abweisenden Haltung da, dass es Markus ein wenig verletzte.
„Dein Vater?", versuchte er es hilflos erneut, doch Sanne schüttelte stumm den Kopf.
„Sie fühlt sich nicht", erläuterte Nicole und sah ihn entschuldigend an. Sanne sah wirklich ein wenig blass um die Nase aus.
„Soll ich dich nach Hause bringen?", bot Markus besorgt an.
„Nee, nicht nötig, danke", lehnte Sanne ab und schaffte es zumindest, ihn beruhigend anzulächeln. „Lass uns später telefonieren, okay?"
„Okay", stimmte Markus besorgt zu und dann läutete es und er sah ihr nachdenklich und ein wenig betroffen hinterher, als sie sich auf den Weg zur nächsten Unterrichtsstunde machte. Irgendetwas war doch mit Sanne. Warum wollte sie ihm nur nichts davon erzählen?
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Herz in den Wolken
عاطفيةDas verflixte Liebesleben - ist in der geteilten Stadt Liebe über die Mauer hinweg möglich? Katharina stellt fest, dass das schwieriger ist als gedacht. Zumal der Zorn ihres Freundes Sascha über die Begrenzung seiner Freiheit ständig größer wird. Un...