28. Dezember, Kathi

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Sascha stand an das Geländer gelehnt und sah nachdenklich auf die Havel, die unter der Brücke hindurch floss und sich in der Ferne zu einem See verbreiterte. Sein Atem bildete eine kleine Wolke in der frostigen Luft und alle paar Momente strich er den langgewordenen Pony beiseite, der ihm immerzu ins Gesicht fiel. Ich legte meine behandschuhten Finger auf seine Hand, die auf dem eiskalten Geländer ruhte, aber er reagierte nicht darauf.

Ich runzelte verwirrt die Stirn. Sascha war nach dem Arbeiten abends ziemlich zerschlagen und seit einigen Tagen auffallend schweigsamer geworden. Auch wenn ich ihn abends in meinem alten Zimmer besuchte, war er teilweise nicht mehr so gelöst und entspannt, wie ich es sonst vom ihm kannte, und es konnte passieren, dass ich viel früher sein Zimmer verließ, als ich es bislang getan hatte. Sein Verhalten war definitiv merkwürdig und das konnte nicht nur am Arbeiten liegen, dachte ich. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen.

Heute hatte er allerdings frei und ich hatte sowieso Ferien, und wir hatten daher beschlossen, trotz der Kälte in Richtung Potsdam zu fahren. Unbeschwert und ausgelassen waren wir die hügeligen Wege im Park, die stellenweise von Glätte überzogen waren, hinunter geschlittert, bis die Glienicker Brücke vor uns aufgetaucht war. Noch immer warnte neben dem Wächterhäuschen eindrucksvoll das Schild You are leaving the American sector, was mir früher jedes Mal Betroffenheit verursacht hatte, wenn ich bei meinen Ausflügen bis hierhin gekommen war.

Inzwischen waren der bisherige Schlagbaum und der Grenzübergang allerdings offen und ein reger Strom von Spaziergängern und vorbeifahrenden Autos machte von dem Übergang zwischen Ost und West nun redlich Gebrauch.

Beeindruckt hatten wir unsere Blicke die elegante Stahlkonstruktion empor gleiten lassen und waren dann schließlich in der Mitte der Brücke stehen geblieben, wo ein weißer Strich auf dem Boden die faktische Grenze zwischen DDR und West-Berlin verkündete. Der Blick über das Wasser und auf die wilde Natur in der Ferne, die zu Potsdam gehörte, war überwältigend schön. Sascha wies mit seiner Hand zu einem entfernten baumbestandenen Ufer:

„Siehst du den Turm dahinten? Der gehört zu Babelsberg. Im Sommer habe ich da gestanden und hierher geblickt. Ist doch wirklich unglaublich..."

Ein Stück Ergriffenheit lag in seiner Stimme. Dann lächelte er und zog mich an sich.

„Und jetzt bin ich von hier aus so schnell in Potsdam... Verrückt. Früher habe ich eineinhalb Stunden dafür gebraucht."

Tief atmete er die kalte, klare Luft ein und fuhr dann zufrieden fort:

"Im Frühling kann ich dich dann endlich mal hier mit aufs Wasser nehmen. Und im Sommer dann auch auf die Ostsee."

Sein Lächeln vertiefte sich und ich spürte seine Lippen federleicht auf meiner Wange. Mit einem Strahlen angesichts dieser verheißungsvollen Aussichten wollte ich neugierig wissen:

„Bist du hier mit deinem Boot gesegelt?"

Ich deutete mit einem Nicken auf das Wasser vor uns. Sascha schüttelte den Kopf.

„Nicht hier. Ist alles Grenzgebiet. Die haben hier andauernd patrouilliert."

Mit einem plötzlichen Ruck wandte er sich um, machte einen Gedankensprung und schlug aufgekratzt vor:

„Ich zeige es dir jetzt schon mal. Sollte eh mal nach dem Rechten sehen."

Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm er entschlossen meine Hand und zog mich vom Geländer fort zurück zu unseren Rädern, die wir vor der Brücke stehen gelassen hatten. Ich genoss es, Sascha wieder in seiner üblichen, fröhlichen Stimmung zu erleben und stimmte bereitwillig zu, unsere Radtour noch ein wenig zu verlängern.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt