14. September, Kathi

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Kathi

Erneut stand ich vor einem unbekannten Haus. Es hatte ein wenig gedauert, bis ich die richtige Straße gefunden hatte, denn in diesem Wohngebiet sah fast alles gleich aus und fragen wollte ich niemanden. Hohe Wohnblöcke standen beiderseits der Straße, dazwischen ein wenig Rasenfläche und grüne Sträucher. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben, zählte zehn Stockwerke. Es sah so völlig anders aus als in Zehlendorf, wobei mir schon bewusst war, dass es auch in dem Teil Berlins, aus dem ich kam, Plattenbauwohnungen gab.

Nervös studierte ich die Namensschilder neben den Klingelknöpfen. Wie viele Mieter hier wohnten! Da hatte ein Postzusteller gut zu tun. Ich bemerkte, dass ich das Klingeln heraus zögerte und ärgerte mich darüber, dass mich die Umgebung irgendwie einschüchterte. Dabei war hier doch nichts, wovor ich Angst haben müsste. Stattdessen würde ich nach wochenlanger Trennung endlich Sascha wieder sehen können!

Nervös durchkämmte ich mit den Fingern noch einmal meine Haare und sah kritisch an mir herunter. Wie von Sascha gewünscht hatte ich eine alte Jeans angezogen und ein einfarbiges unscheinbares Sweatshirt übergestreift, wobei ich mir allerdings trotzdem nicht sicher war, ob das ausreichte, meine westdeutsche Herkunft zu verbergen.

Ich vermutete, dass Sascha auf Nummer Sicher gehen wollte, falls ich von irgendwelchen Nachbarn gesehen werden würde. Unsicher sah ich zu den Fenstern empor und dann wurde mir klar, dass ich tatsächlich auffallen würde, wenn ich nicht endlich von der Eingangstür verschwinden würde. Ich gab mir daher endlich einen Ruck und klingelte bei Brenner.

Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich eine Ewigkeit lang wartete, bis endlich der Summton ertönte, der mir Einlass gewährte. Was hatte Sascha gesagt, in welchem Stock er wohnte? Ich hatte es vergessen. Da war es mir einerlei, dass der Fahrstuhl defekt war, ich musste ohnehin in jeder Etage nachschauen.

Mit jedem weiteren Stockwerk kam ich mehr außer Atem, das wegen der Ferien fehlende Handballtraining war deutlich an meiner mangelnden Kondition zu merken. In den ersten vier Stockwerken schaute ich mich vergebens um, in der fünften Etage stand jedoch eine Tür offen. Sobald ich Sascha im Flur dahinter entdeckt hatte, machte mein Herz einen kleinen Satz. Ich schob mich durch den Türrahmen und fiel ihm mit einem kleinen Aufschrei in die Arme. Sascha stieß mit Schwung die Haustür zu, so dass sie ins Schloss fiel, und legte mir einen Arm um die Hüfte. Unsere Lippen fanden sich zu einem langen Kuss.

„Lass uns in mein Zimmer gehen", schlug Sascha schließlich vor, „Das wird allmählich ziemlich anstrengend hier."

Er löste sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, und humpelte mit den Krücken schwerfällig voraus. Ich beobachtete ihn mitfühlend – was er sicher nicht zu schätzen gewusst hätte, hätte er es bemerkt – und folgte langsam, wobei ich mich neugierig umblickte.

Wir gelangten in ein Wohnzimmer, in dem sich auch ein Esstisch und eine Durchreiche zur Küche befanden, und von da aus in ein Jugendzimmer, in dem der Schal eines Fußballklubs, den ich nicht kannte, die ganze Breite der Wand einnahm. Ein Foto von Sascha weckte meine Aufmerksamkeit. Er stand vor einer Gruppe von Jugendlichen in gleichfarbigen blauen Hemden umringt etwas erhöht und sah mit einem selbstbewussten Lächeln in die Kamera. Es war ein wirklich schönes Bild von ihm und erinnerte mich daran, dass ich vergessen hatte, die Fotos mitzubringen, die ich von uns beiden beim letzten Mal gemacht hatte.

„Was ist das? Hast du da eine Rede gehalten?" wollte ich neugierig wissen.

Sascha schüttelte nur wortlos den Kopf, hatte offenbar keine Lust, darüber zu sprechen, und ließ sich aufatmend aufs Bett fallen. Dann klopfte er auffordernd auf den Platz neben sich. Behutsam ließ ich mich auf die Matratze sinken und fand mich sogleich von zwei kräftigen Armen umfangen, von denen ich mich nur zu gern an Saschas Brust ziehen ließ.

„Ich habe dich so vermisst, mein Spatz", flüsterte Sascha in mein Ohr und ich hauchte zurück:

„Ich dich auch. Ich hatte Angst, du hättest still und heimlich Schluss gemacht, als du nicht am zweiten September an der verabredeten Stelle warst."

Ich presste meine Hände an seine Taille, als hätte ich Angst, er könnte sich auf einmal in Luft auflösen, während er entschieden versicherte:

„Das würde ich niemals tun. Glaub mir, ich habe den ganzen Sonntag an dich gedacht und gehofft, dass dich meine Nachricht noch rechtzeitig erreicht hat."

„Was für eine Nachricht?" wollte ich verwundert wissen.

„Rainer sollte sie in die Post geben..." begann Sascha, wurde aber ungeduldig von mir unterbrochen.

„Hauptsache, ich weiß jetzt Bescheid", beschied ich und drückte meinem Freund erneut einen lang ersehnten Kuss auf die Lippen, während es in meinem Bauch angenehm kribbelte wie jedes Mal, wenn wir uns nach den erzwungenermaßen getrennt voneinander verbrachten Wochen endlich wieder sahen. Der nächste Kuss war im Prinzip nicht mehr jugendfrei und dann strichen seine Finger unter dem Shirt meinen Rücken hinauf und lösten den Verschluss meines BHs.

„Ganz schön frech, Herr Brenner", konstatierte ich, machte aber keine Anstalten, ihn aufzuhalten, denn wie lange hatte ich mich schon danach gesehnt....

„Was zum Träumen an diesen unendlich langen Tagen", murmelte Sascha und ließ seine Hände verheißungsvoll meine Brust entlang fahren. Ich schloss genießerisch die Augen und verlor mich in Vorstellungen über mögliche Fortsetzungen. Als Sascha plötzlich mit seinen Berührungen inne hielt, öffnete ich fragend die Augen und sah direkt in sein lächelndes Gesicht.

„Na, wovon träumst du?", neckte er mich. Ich spürte, wie ich rot wurde.

„Von diesem und jenen", gab ich verlegen zur Antwort, unfähig in Worte zu fassen, dass ich mir eine Wiederholung unseres Schäferstündchens in der Datsche gewünscht hätte. Aber mit dem Gipsbein würde das ja nun leider nichts werden. Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf Saschas Gesicht, als ahne er, woran ich dachte.

„Es gibt schon Möglichkeiten zu „diesem und jenen", kommentierte er gedehnt und hatte ein verräterisches Glitzern in den Augen. „Ich zeig's dir."

Und mit diesen Worten ließ er sich in die Kissen sinken und zog mich zu sich hinunter.

Herz in den WolkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt