Kapitel 62: Angst

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"Es ist gut, dass du wieder da bist, Elizabeth. Für das nächste Spiel wärst du unentbehrlich gewesen. Viele waren enttäuscht, dass letzte Woche kein Artikel von dir erschienen ist." Schüchtern lächelte ich den Trainer an.

"Ja, es tut mir leid. Das war so alles nicht geplant gewesen" Der Coach lächelte leicht. 

"Wer plant denn schon krank zu werden? Das Wichtigste ist, dass du wieder gesund bist. Das bist du doch, oder?"

"Mir geht es wieder besser, ja", entgegnete ich ihm als wir uns gemeinsam auf den Weg zu den anderen Spielern machten. Er bemerkte, dass ich nicht wirklich auf seine Frage geantwortet hatte, doch er sagte nichts dazu. Coles Mitspieler hatten gestern bereits bemerkt, dass ich wieder da war, sodass heute kein großer Aufruhr entstanden war. Man hatte mich begrüßt als wäre ich nie wirklich weg gewesen, was mich schon etwas gefreut hatte. Ich setzte mich auf die Bank der Ersatzspieler und war in Gedanken noch bei der Versammlung der Schülerzeitung, die vor einer halben Stunde war. Dort war man nämlich nicht so erfreut mich zu sehen, auch wenn sie versucht hatten es sich nicht anmerken zu lassen. Naja, alle außer Jessy. Diese war drauf und dran mir die Augen auszukratzen, weil sie vorhatte mir meinen Job bei der Zeitung abzuluchsen. Die einzige, die nicht verstand um was es ging, war Mrs. Carter. Nachdem sie weg war, konnte ich mir eine ganze Ansprache davon anhören, dass ich unverantwortlich wäre, einfach meine Aufgabe bei der Zeitung zu vernachlässigen. Der einzige Grund, warum sie mich nicht rausgeschmissen haben, war, weil bis jetzt absolut jeder mit meiner Arbeit zufrieden war. Doch trotzdem stellten sie sich alle auf Jessys Seite, sie kannten sie immerhin länger als mich und sie waren alle untereinander befreundet. 

"Elizabeth! Pass auf!" Ich blickte auf und konnte dem Ball, der in meine Richtung flog, gerade noch ausweichen. Hinter mir hörte ich einige Cheerleader kichern. Ich verdrehte die Augen. Ich wusste nicht, was die letzten Wochen hier vorgefallen war, doch mittlerweile sahen immer mehr von den Cheerleadern beim Training zu als sonst.

"Sorry. War nicht mit Absicht", entschuldigte sich derjenige, der den Ball holen kam. Ich winkte ab. Das war schon einige Male vorgekommen und es wird nochmal passieren. Das restliche Training verlief ohne weitere Vorkommnisse. Cole schulterte seine Tasche und gemeinsam gingen wir zu seinem Wagen.

"Wie war eigentlich die Versammlung? Ich hab dich vorhin nicht gefragt" Ich seufzte.

"Furchtbar. Ich könnte nicht mal sterben ohne, dass es unverantwortlich gegenüber der Schülerzeitung wäre" Cole antwortete nichts, doch ich konnte sehen, dass er sein Kiefer anspannte. Schweigend legten wir den Weg bis zum Auto zurück. Als wir den Parkplatz verlassen hatten, brach Cole das Schweigen.

"Möchtest du das denn?" Verwundert blickte ich zu ihm.

"Was?" 

"Sterben" Immer noch blickte er mich nicht an. Ich biss auf die Innenseite meiner Wange. Wie kam er jetzt da drauf?

"Ist es wegen dem, was ich vorhin gesagt habe? Das war nicht ernst gemeint. Ich fand es nur beschissen, dass ihnen die Zeitung wichtiger ist als die Gesundheit anderer" Er nickte.

"Du hast meine Frage trotzdem nicht beantwortet" Ich runzelte die Stirn als ich nachdachte. Warum führten wir solche Gespräche eigentlich immer in seinem Auto?

"Als Dad starb, da hab ich manchmal darüber nachgedacht. Vor allem als es in der Schule immer schlimmer wurde mit dem Mobbing und Mum sich nicht wirklich für mich interessierte" Cole fuhr in die Garage und stellte dann den Motor ab. Doch trotzdem blieben wir sitzen. Ich glaubte, dass war wirklich der Ort an dem wir all diese Gespräche führten.

"Was hat dich dann abgehalten?" Endlich sah er mich wieder an und ich glaubte, Sorge in ihnen zu erkennen. Ich schluckte.

"Angst. Ich habe mich nie wirklich getraut diesen Schritt zu gehen. Ich stelle mir zu viele Fragen. Was passiert wenn man stirbt? Tut es weh wenn man stirbt? Was wenn der Tod noch schlimmer ist als das Leben? Jeder sagt immer, wenn man stirbt, ist man erlöst doch wer will das denn wissen? Warum gibt es eine Todesstrafe, wenn der Tod doch besser ist als das Leben? Das wäre ja unfair uns gegenüber. All diese Dinge halten mich davon ab, es zu tun"

"Nur das?" Ich schüttelte den Kopf.

"Als ich das erste Mal eingewiesen wurde, hatte mein Psychiater das Thema auch angesprochen. Er hatte mir Fragen dazu gestellt. Wann, wo und wie ich es gerne tun würde, wenn ich es denn vorhätte und ich konnte ihm keine Antwort drauf geben. Er hatte mir dann erklärt, dass dies wichtige Fragen wären um das Suizidrisiko zu bewerten. Sobald nur eine Frage unbeantwortet bleibt, sinkt das Risiko. Später sprachen wir darüber, was aus mir werden würde, wenn sich mein Zustand stabilisiert. Dinge, die ich immer tun wollte. Und da realisierte ich, dass ich noch nicht bereit bin das alles hinter mir zu lassen. Es gibt für mich immer noch viel mehr Gründe zu bleiben als zu gehen und daran halte ich fest." Ich legte meine Hand auf seinen Unterarm und lächelte ihn aufmunternd an. 

"Mach dir keine Gedanken darüber, dass ich irgendwann gehen werde. Die Liste mit Gründen zu bleiben ist noch ziemlich lang"

Nobody like youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt