Kapitel 22: Ich verschwinde

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Den ganzen Tag über sahen wir uns irgendwelche Doku-Soaps und Reality-TV-Serien an. Dabei sprachen wir nicht wirklich viel miteinander, was aber eigentlich nicht so schlimm war. Die Stille, die sich zwischen uns gelegt hatte, war eigentlich ganz angenehm doch der werte Herr, neben mir, dachte sich die jetzt zerstören zu müssen.

"Ich werde aus der ganzen Sache nicht schlau", begann er einfach aus dem Nichts zu erzählen. Fragend blickte ich zu ihm rüber und fragte mich, was jetzt schon wieder sein Problem war.

"Das ist doch jetzt nicht so schwer zu begreifen. Die kleine Schwester hat mit dem Ehemann ihrer großen Schwester geschlafen, weil diese immer mehr Aufmerksamkeit bekam von der Familie, und sogar ein Bild davon verschickt. Die große Schwester versucht trotzdem noch verzweifelt die Ehe zu retten, da sie schwanger ist doch die kleine Schwester treibt die beiden immer weiter auseinander", erklärte ich den lächerlichen Sinn der Show, die wir uns gerade ansahen.

"Das meinte ich gar nicht. Diese Serien sind sowieso gestellt. Ich meinte eher, dass ich aus der Beziehung, die du zu deiner Mutter hast immer noch nicht schlau werde" Seufzend richtete ich mich auf und blickte aus dem Fenster. Von dem sonnigen Wetter von heute morgen war nicht viel übrig geblieben, Regentropfen peitschten gegen die Fensterscheibe. Ich strich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Du bist nicht der einzige, der daraus nicht schlau wird. Ich habe nie die Liebe erfahren,die andere von ihrer Mutter bekamen. Unser Verhältnis war immer schon sehr eisig, seit ich mich erinnern konnte. Mein Dad war die gute Seele zwischen uns, die Brücke, sozusagen, die uns zusammenhielt. Als er starb, wurde die Beziehung mit meiner Mutter immer schlechter, das Resultat selbst kennst du ja"

"Du hast also wirklich keine Ahnung, wieso sie so ist?" Ich schüttelte mit dem Kopf und betrachtete meine Hände, die in meinem Schoß lagen. Ich würde alles dafür geben um das heraus zu finden.

"Ich rauche kurz eine", meinte er und stand schon auf um das Fenster zu öffnen.

"Wäre es als Sportler nicht besser nicht zu rauchen?", kommentierte ich seinen Versuch bei diesem Sauwetter die Zigarette zum glühen zu bringen. Er schaffte es jedoch und blies entspannt den Qualm aus dem Fenster.

"Du hast keine Ahnung, wie schwierig es ist damit aufzuhören", bemerkte er trocken. Sanft strich ich die Erhebungen auf meinem Arm nach. Er hatte ja keine Ahnung. Als er fertig war, schnippste er den Stümmel aus dem Fenster und schloss diese wieder.

"Glaubst du nicht, dass das Verhalten deiner Mum mit dem Tod deines Vaters und deiner Reaktion darauf verbunden ist?" Ich zuckte mit den Schultern.

"Machst du jetzt einen auf Psychiater oder was? Das brauchst du nämlich nicht. Ich hab schon einen und die ganze Schule weiß es", fauchte ich ihn an. Er sollte aufhören sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Dabei kam mir ein Geistesblitz. Eine Erinnerung, die kurz vor meinem inneren Auge erschien und genauso schnell wieder verschwand.

"Du warst außerdem der einzige, der von dem Fakt, dass ich einen Psychiater aufsuche, nicht überrascht war. Du steckst bestimmt mit Cindy unter einer Decke und das hier ist nur ein Versuch etwas über mich raus zu finden" Wütend stand ich vom Bett auf und packte alle meine Sachen wahllos in meine Tasche. Ich wollte mit ihm nicht im gleichen Raum sein.

"Was hast du vor?" Ich schnaubte wütend auf als ich meine Tasche schulterte.

"Ich verschwinde" Damit war ich schon auf dem Weg zur Tür.

"Verdammt, Elizabeth. Ich dachte, wir hätten das Kriegsbeil endlich begraben. Was hätte ich davon wenn ich dich so bloßstellen würde? Ich kann Cindy nicht mal leiden", hörte ich ihn noch erklären bevor sich Arme um meinen Bauch schlangen und ich sanft mit dem Rücken gegen seine Brust gedrückt wurde. Ein wohliger Schauer ging durch meinen Körper, den ich mir nicht erklären konnte, weswegen ich einfach starr stehen blieb.

"Du hattest in der Küche telefoniert als ich einfach reingeplatzt bin, weißt du noch? Du hast dir dabei eine Nummer aufgeschrieben. Als du weg warst habe ich sie schraffiert und die Nummer behalten, jedoch nichts damit gemacht. Erst als du Nachmittags einfach weg warst und später so aufgelöst zurück kamst, habe ich dort angerufen. Ich habe dir nicht geglaubt als du sagtest, dass du beim Arzt wärst, ich dachte du steckst in irgendwelchen Schwierigkeiten. Danach stellte sich dann doch heraus, dass du wirklich beim Arzt warst. Ich hab niemandem davon erzählt, dass du zum Psychiater gehst, wirklich. Sogar Nash und Trason haben erst in der Schule davon erfahren", stammelte er eine ganze Erklärung zusammen. Meine Augen brannten und ich spürte schon wie eine Träne meine Wange hinab rollte.

"Du hast wirklich nichts gesagt?" schluchzte ich fragend.

"Nein, wirklich nicht. Es tut mir trotzdem Leid, ich hätte nicht in deinen Sachen herumschnüffeln sollen", meinte er reumütig und lockerte den Griff um meinen Bauch.

"Es tut mir leid wegen gerade. Ich reagiere schnell über und habe das alles noch nicht ganz im Griff.", gestand ich. Cole winkte ab und setzte sich wieder aufs Bett. Ich tat es ihm gleich, nachdem ich die Tasche wieder auf dem Boden abgesetzt hatte.

"Darf ich dich etwas fragen? Du musst auch nicht antworten wenn du nicht willst es ist nur eine Vermutung von mir", setzte er wieder zu einem Gespräch an. Ich blickte nicht zu ihm sondern zum Fernseher, wo die große Schwester ihrer kleinen Schwester gewaltig eine klatscht. Er hatte die Frage absichtlich so formuliert, da er Angst hatte, dass ich wieder ausrasten würde. Dabei war diese Vermutung berechtigt. Wenn ich bei ihm war, hatte ich meine Gefühle noch weniger im Griff als sonst schon. Ich zögerte also kurz bevor ich dann schließlich doch nickte.

"Kann es sein, dass du den Tod deines Dades noch immer nicht ganz verkraftet hast?" Da war sie, diese verdammte Frage. Bevor ich nach San Francisco kam, war ich der festen Überzeugung, dass ich das wäre. Doch jeden Tag den ich weiter so vor mich hinlebte, zeigte mir, dass es nicht so war. Meine Gefühle, mein Verhalten, meine Reaktionen zeigten mir, dass es nicht so war.

"Höchstwahrscheinlich nicht", antwortete ich daher wahrheitsgemäß. Er fuhr sich kurz durch seine, sowieso schon, verwuschelten Haare und nickte dann.

"Das bringt mich dann zu meiner zweiten Annahme" Ich gab ihm wortlos zu verstehen fortzufahren um das Ganze einfach hinter mich zu bringen.

"Dein Dad ist nicht an Krebs gestorben, oder?"


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