Kapitel 66: Besetzt!

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Ich gab Sandra ihre Zeitung wieder, schnappte mir meine Sachen und entschuldigte mich, dass ich gehen musste bevor ich die Cafeteria verließ. Natürlich war mein Abgang nicht unbemerkt geblieben und noch bevor ich die Tür hinter mir schloss, begann bereits das Geflüster und Getuschel. Tief nach Luft atmend um mich wieder zu beruhigen, bog ich in den nächsten Toilettenraum ein. 

"Offen für alles", flüsterte ich wütend vor mich hin als ich zum Zeitvertreib meine Hände wusch.

"Für wen hält sie sich bitte? Für eine Heilige? Ich laufe nicht um drei Uhr morgens in fremden Häusern umher, nachdem ich mit jemandem geschlafen habe" murmelte ich weiter vor mich hin. An der Tür klopfte es.

"Hast du dich abgeregt?" 

"Was willst du?", stellte ich die Gegenfrage. Hinter der Tür hörte ich es seufzen. 

"Ich komm jetzt rein" Und schon öffnete sich die Tür und Cole trat ein.

"Das ist die Mädchentoilette", bemerkte ich spitz als ich Papiertücher aus dem Spender zog um meine Hände abzutrocknen. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Cole mich beobachtete. Er stand an der Tür gelehnt und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Dadurch kamen seine Armmuskeln gut zur Geltung.

"Was willst du?", wiederholte ich meine Frage als ich mich ans Waschbecken lehnte und seine Position nachahmte. 

"Ich wollte wissen wie es dir geht", meinte er. Ich schnaubte.

"Ich bin sauer. Jetzt da du das weißt, kannst du wieder gehen" Cole verdrehte die Augen, blieb jedoch dort wo er war.

"Warum macht dich das so sauer? Keinen interessiert was dort geschrieben steht. Wir haben doch schon einmal darüber gesprochen. Du sollst doch nicht immer so viel auf die Meinung von anderen geben" Ich erinnerte mich noch sehr genau an das, was er mir in der Psychiatrie gesagt hatte. Das machte mich jedoch nicht weniger wütend.

"Darum geht es nicht. Sie schreibt über mich, dass ich offen für alles wäre. Dass ich mir nehmen würde, was ich gerade will. Dass es mir nichts ausmacht die Beziehung von anderen Leuten zu zerstören. Das ist Slut-Shaming, Cole" Cole runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.

"Es macht mich wütend, dass es ihr nicht einmal etwas auszumachen scheint, so etwas über mich zu schreiben. Sie ist selbst ein Mädchen und sexuell viel aktiver als ich. Sie müsste es eigentlich besser wissen, als so was über mich zu schreiben" Ich redete mich immer mehr in Rage. Ich spürte schon, dass mir vor Wut die Tränen kamen, doch schluckte um sie zu unterdrücken.

"Ich verstehe nicht ganz, was du damit meinst", gestand Cole schließlich. Ich schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. 

"Erinnerst du noch, ganz am Anfang als ich hier hergezogen bin, an die Gerüchte über mich? Dass ich mit dem ganzen Fußballteam geschlafen haben sollte?" Langsam nickte er, doch ich konnte erkennen, dass er noch immer verwirrt war. 

"Zac hat diese Gerüchte ja ernst genommen und du weißt ja wie er reagiert hat. Andere könnten jetzt auch so reagieren, es stand ja immerhin in dieser behämmerten Zeitung, dass ich 'offen für alles' bin" Seine Stirn glättete sich wieder und man konnte ihm ansehen, dass er endlich verstanden hatte um was es mir geht.

"Denkst du wirklich, dass jemand das tun würde?" Ich schnaubte.

"Natürlich. Jessy hat mich in diesem Artikel ja praktisch angeworben und das ist es was mich wütend macht" Die Klinke der Toilettentür wurde runtergedrückt, doch da Cole noch immer gegen diese gelehnt war, konnte die Person nicht eintreten.

"Besetzt!", rief Cole.

"Sorry", ertönte eine peinlich berührte Mädchenstimme, gefolgt von einem Kichern. Ich verdrehte die Augen. Das hier würde die Gerüchteküche noch mehr einheizen. Genau das, was ich jetzt brauchte.

"Jessy ist ebenfalls ein Mädchen. Das hätte ihr ebenfalls passieren können, das könnte jedem andern Mädchen passieren. Und was tut sie? Sie sieht mich als ihre Konkurrenz und versucht mich in allem schlecht aussehen zu lassen. Sie ist sauer und lässt das alles an mir aus, weil es so viel einfacher ist als sich mit ihren Problemen zu befassen. Und was hab ich davon? Ich werde wieder nur auf meinen Körper reduziert, den ich, ganz nebenbei bemerkt, nicht einmal ausstehen kann" Wieder verschränkte ich meine Arme und starrte auf meine Schuhspitzen. Dabei spürte ich seinen intensiven Blick auf mir.

"Schreib einen Artikel darüber" Fragend blickte ich ihn an. 

"Einen Artikel über was?" 

"Über Slut-Shaming. Die Fußballsaison ist nächste Woche vorbei. Die Schule aber nicht. Und du hast Recht. Das könnte jedem Mädchen passieren und es wird auch bestimmt wieder jemandem passieren. Wir alle sollten viel mehr zusammenhalten und vielleicht kann ein Artikel über Slut-Shaming helfen" Ich lächelte leicht.

"Weißt du, dass du dich immer mehr zu einem Feminist entwickelst?" Bemerkte ich amüsiert. Er grinste.

"Vielleicht sollte ich das werden. Ich finde es nämlich schon unfair, dass Frauen nicht oberkörperfrei rumlaufen dürfen. Komm jetzt, der Unterricht beginnt gleich" Er öffnete die Tür und ich schlug ihm, im Vorbeigehen, zum Spaß gegen die Schulter. Als ich jedoch wieder auf den Schulflur trat, verging mir das Lächeln. Natürlich hatten alle bemerkt, dass ich mit Cole aus der Schultoilette kam. Er legte seine Hand auf meinen Rücken und schob mich einfach weiter.

"Wenn du dich immer wieder durch Worte kontrollieren lässt, dann hat jeder Kontrolle über dich. Vergess das nicht. Beobachte die Dinge mit Logik. Die Gerüchte können dir nichts anhaben, weil du weißt, dass sie nicht wahr sind, okay?", flüsterte er mir zu als er mich zu meinem Spind bugsierte. Verstehend nickte ich und blieb schließlich vor meinem Spind stehen. Er nickte mir noch einmal zum Abschied zu bevor er dann verschwand. Ich sah ihm noch nach bis er am Ende des Ganges um die Ecke bog.

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