Kapitel 1: Was machst du denn hier?

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Müde hievte ich mich und meinen schweren Koffer aus dem Bus und ging auch gleich ein Stück zur Seite um nicht umgetrampelt zu werden. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich bereits seit über 12 Stunden unterwegs war. Ich stieß ein genervtes Seufzen aus und wühlte in meiner Tasche nach dem letzten Brief, den meine Mum mir geschickt hatte. Laut Absender des Briefes musste ich nach Nob Hill. Seufzend ging ich zum Busfahrplan und hoffte, dass in nächster Zeit irgendein Bus dorthin fahren würde. Das Glück schien mal auf meiner Seite zu sein, denn tatsächlich kam in weniger als 5 Minuten ein Bus, der mich dorthin bringen würde.

Also hob ich meinen Koffer in den nächsten Bus und machte mich auf den Weg nach Nob Hill. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und beobachtete die Gegend. Mum war vor einem halben Jahr hier hin gezogen, zu ihrem neuen Freund. Ich blieb in San Diego, sollte aber nachkommen. Ich wollte nicht umziehen. San Diego war meine Stadt und erinnerte mich an meinen Dad, der vor fast 2 Jahren gestorben war. Seitdem haben Mum und ich uns auseinander gelebt. Das Verhältnis vor Dads Tod war schon nicht das Beste aber danach hatte es sich immer mehr verschlechtert. Weswegen wusste ich selbst nicht.

Die Anzeige im Bus zeigte mir, dass wir uns Nob Hill näherten und auch die Umgebung veränderte sich. Man sah immer weniger Bürokomplexe und immer mehr stilvolle Häuser und Villen. Meine Mum hatte sich scheinbar in einen Bonzen verliebt. Als wir dann in Nob Hill angekommen waren, ließ ich mir noch rasch vom Busfahrer den Weg zur Washington Street erklären und machte mich dann zu Fuß auf den Weg. Dank der Beschreibung des Busfahrers fand ich die Straße recht schnell, was mich sehr erfreute, da es bereits zu dämmern begann.

Schnell suchte ich die Adresse und musste einmal schlucken. Das Haus, besser gesagt die Villa war riesig. Wenn ich mich so umblickte, war es die größte in dieser Straße. Schnell überprüfte ich nochmals die Adresse bevor ich klingelte und mich blamierte. Doch die Adresse stimmte. Also musste meine Mutter wohl hier wohnen. Schließlich schnappte ich mir meinen Koffer, ging damit durch den schön gepflegten Vorgarten und stieg die prunkvollen Treppen hoch um endlich die Klingel zu erreichen. Als ich sie dann gedrückt hatte, begann ich mir nervös auf die Lippen zu beißen. Ich hatte meine Mum immerhin ein Jahr nicht mehr gesehen. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und meine Mutter blickte mich verdutzt an.

"Was machst du denn hier?" Ich verdrehte die Augen.

"Ich finde es auch schön dich zu sehen, Mum", meinte ich und schulterte meine Tasche neu. Eine andere Begrüßung hätte ich auch nicht erwartet.

"So meinte ich das nicht, Elizabeth. Komm doch rein" Sie öffnete nun die Tür ganz für mich und machte mir Platz um einzutreten. Neugierig sah ich mich um. Dieses Haus sah von innen noch größer aus als von draußen. Ich ließ meinen Koffer im Gang stehen, stellte meine Tasche drauf und zog meine Schuhe aus. Als ich mich umdrehte wurde ich dann von meiner Mum in eine feste Umarmung gezogen, welche etwas unangenehm war. Ich war soviel Nähe nicht gewöhnt und schon gar nicht von meiner Mutter. Also ließ ich locker die Arme an mir herabhängen und hoffte, dass es gleich vorbei war. Mum sagte nichts dazu, entweder merkte sie es nicht oder es war ihr einfach schlichtweg egal.

"Was machst du jetzt schon hier? Du solltest doch erst nächste Woche kommen", fragte Mum als sie mich noch immer an den Schultern festhielt und mich von oben bis unten musterte.

"Ich wurde etwas früher entlassen", antwortete ich und spürte mich sichtlich unwohl wenn sie mich so musterte.

"Du hättest etwas sagen können. Ich hätte dich abgeholt"

"Ich wollte nicht nerven", gestand ich kleinlaut. Ihr Blick flog noch einmal über meinen Körper.

"Du hast abgenommen", flüsterte sie. Ich presste meine Lippen aufeinander und nickte. Sie strich über meine hellbraunen Haare, die mir bis zur Brust gingen.

"Und die Haare geschnitten. Deine schönen langen Haare", murmelte sie gedankenverloren.

"Schatz, wer war eigentlich an der Tür?", hörte ich eine männliche Stimme und gleich darauf kam ein Mann um die Ecke ungefähr im Alter meiner Mum. Er blieb überrascht stehen als er mich sah.

"Schatz, das ist meine Tochter, Elizabeth. Elizabeth, das ist mein Freund, Louis" Er musterte mich kurz, bevor er mit einem Schritt bei mir war und mir die Hand reichte.

"Schön dich kennen zu lernen. Deine Mutter hat schon viel von dir erzählt" Das hat sie bestimmt nicht, dachte ich mir als ich seine Hand schüttelte.

"Hast du schon etwas gegessen?", fragte mich Mum. Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen.

"Gut dann essen wir heute doch zu dritt", meinte Louis und führte mich ins Esszimmer. Immer noch beeindruckt und leicht eingeschüchtert von der ganzen Einrichtung nahm ich am Esstisch Platz. Anders als erwartet deckte Mum für mich den Tisch und nicht ein Dienstmädchen. So begannen wir relativ schweigend zu essen bis mir etwas einfiel.

"Louis, du meintest wir essen doch zu dritt. Habt ihr jemand anderes erwartet?" Louis sah meine Mutter kurz vorwurfsvoll an bevor er mir antwortete.

"Deine Mutter hat dir wohl vergessen zu sagen, dass ich einen Sohn habe, der auch hier wohnt. Er ist etwas älter als du. Eigentlich sollte er mit uns essen, doch er wird wohl über Nacht bei Freunden sein. Ihr werdet euch bestimmt gut verstehen" Beinahe hätte ich mich an meinem Essen verschluckt, konnte mich aber gerade noch so beherrschen. Wie konnte Mum mir sowas verschweigen? Mit keinem Wort hatte sie in ihren Briefen erwähnt, dass ihr Freund einen Sohn hatte.

"Mir fällt gerade ein dass du noch gar nicht für die Schule angemeldet bist", versuchte sie vom Thema abzulenken. Das konnte sie immer gut. Ablenken.

"Meine Sozialarbeiterin hat das geregelt. Ich kann morgen zur Schule gehen", erklärte ich.

Nobody like youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt