Kapitel 22

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Am Morgen des 28. Februar liegt endlich kein Schnee mehr. Es ist ein grauer Morgen, doch der ekelhafte Westwind der letzten Wochen hat abgeflaut und als ich probeweise vors Schloss trete, ist es nahezu windstill.

Ich habe schlecht geschlafen, aber das ist keine Seltenheit, seitdem ich vor zwei Wochen mit Finn auf der Tribüne saß.

Ich habe ein nervöses Flattern im Bauch, wenn ich daran denke. Schon seit Tagen. Die vergangenen zwei Wochen herrschte zwischen Finn und mir absolute Funkstille, wenn man mal von dem fast schon übertrieben höflichen Umgang im Unterricht absieht. Es ist nicht so, dass wir uns aus dem Weg gehen, aber-

Gut, vielleicht gehen wir uns aus dem Weg.

Ich habe ihm quasi gesagt, dass ich mehr will. Er hat nichts weiter darauf gesagt, als meinen Namen zu stammeln.

Ich saß danach sicher zwei Stunden heulend im Mädchenbadezimmer und habe gehofft, dass niemand hereinkommt. Ich hätte nicht mal sagen können, warum ich so in Tränen aufgelöst war. Es fühlte sich an wie Schluss machen, obwohl das Blödsinn ist. Wir hatten – was? Einmal geknutscht? Trotzdem hatte ich dieses Gefühl nicht mehr ausgehalten. Er hatte Recht: Wir waren keine Freunde. Waren wir nie gewesen.

Und jetzt dürfen wir heute dieses Match gegeneinander spielen. Das wird... Ich weiß nicht.  Seltsam. Wir haben um den Sieg gewettet, aber ich bin mir gar nicht so sicher,  ob er will, dass dieser Wetteinsatz eingelöst wird - sollten wir wirklich verlieren und ich mit ihm nochmal ins Wasser müssen.

Immerhin herrschen fast perfekte Bedingungen, denke ich mir, als ich zum Frühstück gehe. Zumindest das Wetter spielt mit.

Dort versammelt sitzt mein Team bereits zusammen und löffelt Porridge in sich hinein. „Und?", fragt Jackson mit vollem Mund.

„Noch windstill", gebe ich zurück und sehe zum Slytherin-Tisch. Und einigermaßen warm. Aber das sage ich nicht laut. Hier ist es nie warm.

Das gegnerische Team ist noch nicht zum Frühstück erschienen. Bis jetzt.

„Schaut mal." Cassie nickt zum Eingang der Große Halle.

Die Mannschaft der Slytherins kommt herein, aber versprengt nacheinander. Es ist nicht so, dass das ungewöhnlich wäre für die Slytherins, aber gerade vor einem Spiel achten sie eigentlich schon darauf, geschlossen aufzutreten. Heute kommen sie wirklich alle nacheinander.

Lediglich Finn und Atti sitzen zusammen und brüten offensichtlich noch über dem Spielbuch.

„Was ist eigentlich mit Goldenblatt? Spielt der?", fragt Olly und reckt den Kopf. Hector ist bislang noch nicht beim Frühstück aufgetaucht und war auch erst vor drei Tagen wieder im Unterricht.

Das erste Aufeinandertreffen von ihm und Finn im Unterricht war – um ehrlich zu sein – eine Katastrophe. Ich bin mir sehr sicher, dass es überhaupt das erste Aufeinandertreffen der beiden nach Finns Aussetzer mit dem Sprengfluch war. Irgendwer hat erzählt, dass Hector sich geweigert hat, Finn in den Krankenflügel zu lassen. Vi hat erzählt, er wollte sich entschuldigen, aber das steht jetzt wohl aus. Hector scheint das am Allerwertesten vorbei zu gehen.

Seit Hector aus der Krankenstation zurück ist, hält der sich mit Sticheleien jedenfalls nicht zurück. Er provoziert Finn in einer Tour, aber gestern in Kräuterkunde ist es eskaliert. Hec hat ihn in einer Tour so heftig herausgefordert, so schlimm, dass Professor Longbottom irgendwann dazwischen ist und Hector um ein Haar aus dem Unterricht verwiesen hätte. Erst dann war Ruhe. Finn hat versucht, sich nichts anmerken zulassen, aber an der Art, wie sein Kiefergelenk gezuckt hat, habe ich gemerkt, dass ihm nicht nur Bombarda auf der Zunge lag, um das Theater endgültig beenden. Er war stinksauer.

Longbottom hat die beiden schließlich auseinandergesetzt, um Schlimmeres zu verhindern. Finn saß dann neben Vi und mir. Vermutlich, weil sie seine Schwester ist. Violett war vollkommen außer sich. „Du solltest McGonagall bitten, das Haus zu wechseln! Das grenzt an Mobbing, was der gerade mit dir gemacht hat!", hat sie ihrem Bruder nach der Stunde um die Ohren geworfen, aber Finn war nur mit einem geschnaubten „Pah" davon gerauscht.

So viel zum Chaos in seinem Leben. Meine angebotene Hand hatte er jedenfalls noch nicht ergriffen. Er ist so ein Idiot.

Ich würde gerne etwas tun, um es besser zu machen, aber er musste etwas daran ändern. Er musste zumindest reden. Aussprechen, was ihn belasszet und nicht alles in sich hineinfressen. Ich habe keine Ahnung, was noch alles passieren muss, um den Jungen zum Aufwachen zu bewegen.

„Also, wenn der spielt", sagt Henry und stopft sich eine weitere Ladung Porridge mit ordentlich Zimt in den Mund, „kommt uns das unter dem Strich nur entgegen."

„Warum?", Jackson schüttelt sich. „Goldenblatt ist einer der besten Jäger der Saison!" Er schüttelt sich.

In dem Moment kommt Hector in die Halle. Finn und Atti schauen auf. Hector schnaubt verächtlich und setzt sich ans andere Tischende. Dom Manners rollt genervt die Augen. Mary Coat und Max Morris sitzen irgendwie verloren dazwischen.

Ich verstehe, was Henry meint. Ich winke meine Mitspieler näher an mich heran und senke die Stimme. „Die haben Beef untereinander. Die werden heute nicht als Team funktionieren. Unabhängig davon, ob Goldenblatt spielt oder nicht: Die sind jetzt schon neben der Spur. Und Goldenblatt hat immer noch 'ne lädierte Schulter." Ich nicke in seine Richtung. Versucht unauffällig, reibt sich Hector die rechte Schulter, dort wo Finns Fluch ihn getroffen haben muss.

„Die uns nichts bringen wird", flüstert Sally. „Er wirft auch mit links sensationell."

Ich schüttele den Kopf. „Das ist unerheblich. Er ist einfach noch nicht fit. Und ein Arschloch. Er wird sich an keinen der angesagten Spielzüge von Finn halten."

Die sechs sehen mich an, Olly runzelt die Stirn. „Finn."

Ich weiß im ersten Moment nicht, was er meint. „So heißt er eben", sage ich dann.

„Niemand nennt ihn Finn."

Hängt er sich ernsthaft auf dieses Gerücht drauf, dass zwischen uns was läuft? Ich stöhne genervt auf und rolle die Augen. „Willst du ernsthaft darüber diskutieren?" Ich verstehe diese Sache zwischen Olly und McDou immer noch nicht.

„Er-", setzt er an und sieht argwöhnisch zum Nachbartisch. Dann schüttelt er den Kopf. „Vermutlich hast du Recht."

Ganz sicher habe ich das. Hector Goldenblatt ist noch arroganter, als Finneagan Sly McDougal es jemals sein könnte. Er wird das Spiel verkacken. Da bin ich mir einhundertprozentig sicher.

Die Sache ist nur die... Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich dieses Spiel noch gewinnen will. Nach unserer Wette um den Sieg und den Einsatz darum weiß ich wirklich nicht, ob ich das will.

Es ist einfach nur noch komisch zwischen uns. Die Leichtigkeit ist weg.
Und ich weiß nicht,  ob ich es dann aushalten würde, denn Wetteinsatz wirklich einzulösen,  wenn wir dieses Spiel tatsächlich nicht gewinnen sollten.

.....

Jemand hier, der ihre Zweifel verstehen kann?

Keeper Seeker (Harry Potter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt