Sie war wieder da. Maryann Westminster hatte monatelang in einem Käfig gesessen, zusammengekauert und doch so oft schreiend. Ihre Liebe zu Morgan hatte so viel verändert, sie hatte ihre Maske verändert. Scar war eine Facette von ihr gewesen und doch war sie nun fort. Sie war einfach fort, als Mar durchgebrochen war. Nicht ein einziges Mal hatte sie Scarlett Silverstone als einen Teil von sich angesehen und andersrum genauso wenig. Jetzt war sie wieder da und das lag an der einzigen Person, die sie immer geliebt hatte. Immer. George hatte sie an der Hand genommen und aus den Tiefen ihres Gefängnisses gezogen. Er musste sie nur ansehen, um sie zu retten. Und jetzt musste er dafür sorgen, dass sie nicht verblutete.
„Mar, ich hab' s gewusst. Mar. MAR!" Seine Schwester konnte ihn nur anlächeln. Sie musste sich darauf konzentrieren, nicht an ihrem eigenen Blut zu ersticken. Morgan, der zweite Mann in ihrem Dasein, war immer noch völlig fassungslos. Wie oft war er kurz davor gewesen seine Liebste zu erkennen? Wie oft hatte er ihre Augen gesehen und es einfach nicht begreifen können? Es musste Schicksal sein, dass erst George ihr helfen konnte. Morgan fühlte sich ganz tief in sich etwas gekränkt und auch irgendwie unfähig, aber die Freude überwog und daher griff er nach Mars Hand, die ihren Blick für einen Moment an ihn sandte und ein stummes Ich liebe dich mit den Lippen formte. Chloe konnte gar nichts sagen. Sie stand mit weit aufgerissenen Augen an der Tür und sah mindestens genauso verloren aus wie Jeanne.
„Ich hab' keine Ahnung was hier abgeht und ich unterbreche euch nur ungern, aber ich muss jetzt den Wundkleber auftragen. Das wird saumäßig weh tun, aber es ist die schnellste Möglichkeit", meldete sich Robyn und trug etwas von der klebrigen, trüben Masse auf ihre Finger. Ihre Hände zitterten leicht und bevor jemand sie darauf ansprechen konnte, verteilte sie alles auf der schnittartigen, aber unglaublich tiefen Verletzung.
Scar war fort, ja, sie war definitiv die schwächere der beiden Seelen gewesen und doch kam der geschwächte Körper der schönen wieder Errötenden nicht umhin zu schreien. Sie brüllte so laut, dass Robyn zusammenzuckte und Scar presste Morgans Hand so fest zusammen, dass ihre Knöchel weiß hervor traten. Der Ton aus ihrer Kehle überdeckte alles. Robyns „Es ist gleich vorbei", Morgans „Hörst du? Halt durch, Liebste", Georges „Mar, oh bitte, Mar" und Chloes Schweigen. Sie konnte all das nicht hören und dann geschah etwas, das Morgans Herz gefrieren ließ: Mars immer noch gold betupfte aber blau werdende Augen drehten sich so weit nach oben, dass nur noch das Weiß zu sehen war und dann senkten sich ihre Lider. Ihr Körper wurde schlaff, ihr Händedruck verschwand und Robyn atmete erleichtert aus, ganz im Gegensatz zu Morgan. George schien ebenfalls entlastet.
„Was ist mit ihr? Stirbt sie? Verdammt, STIRBT SIE?", brüllte nun er, doch George konnte ihn beruhigen.
„Das ist eine Schutzfunktion", erklärte er und Robyn nickte. „Ihr Gehirn schaltet jetzt alle Funktionen herab, die erstmal unwichtig sind. Stoffwechsel und sowas und sie wird halt bewusstlos. Jetzt kann sich ihr Körper darauf konzentrieren, die Verletzung zu versorgen und wir unterstützen ihn dabei." Morgan verstand nicht sofort. Er war aufgewühlt und seine Schöne sah so schrecklich blass und sterblich aus, dass ihm immer noch so war, als schütte jemand einen Eimer Eis in seinen Magen. Doch umso öfter er die Worte Robyns rekonstruierte, desto besser fühlte er sich. Der Kleber war nun gänzlich aufgetragen und begann die Wunde zu verschließen. Eine Weile starrten alle nur auf die Zurückgekehrte, bis Robyn Jeanne damit beauftragte Kochsalzlösung, Nadel und Schlauch und wenn möglich eine Bluttransfusion aus dem Versorgungszentrum zu besorgen. Da sich in Regenerationis nicht annähernd so oft Soldaten verletzten wie in Pugno, gab es keine Krankenstation. Der kleine, einem Abstellraum ähnliche, Raum war nur für Befugte zugänglich und da Jeanne eine von denen war, die nach Abreise der Obersten einen Schlüssel bekommen hatte, machte sie sich sofort auf den Weg. Chloe nahm sie gleich mit, da die immer noch nicht in der Lage war irgendwas zu sagen oder zu verstehen, was da gerade geschah.
-
Kritisch beobachtete Hailey die beiden Jungen, die nun seit mehreren Stunden an der Bombe bauten. Sie hatten sich keine Sekunde gewährt, sofort angefangen und bis auf die fünf Minuten, in denen einer auf die Toilette musste, durchgängig gearbeitet. Sie sahen aus wie Geschwister; beide blond und braunäugig mit der selben Nase, aber ein paar Jahre auseinander. Dem größeren lief der Schweiß über die Stirn und er wischte ihn mit dem Ärmel fort. Jedoch sahen sie nicht nervös oder ängstlich aus, eher sehr ausgeglichen und ruhig. Als hätten sie nichts zu befürchten. Und das verwunderte Hailey. Natürlich hatte sie bis dahin nicht vor, den beiden etwas anzutun, aber wenn sie in ihrer Lage wäre, hätte sie Todesangst. Sie hätte Anst, Fehler zu machen oder für den Geschmack ihrer Entführer zu lange zu brauchen. Außerdem starrte sie die beiden seit einer Weile an und nahm jeden Schritt unter die Lupe. Auch das brachte die Jungen nicht aus der Ruhe. Kopfschüttelnd stand sie von der Couch auf und verschwand in die Küche. Nur Alec und Max nahmen davon Notiz. Als sie eine Dose eingelegter Pfirsiche öffnete, gesellte sich Adam zu ihr, der in ihrem Zimmer geschlafen hatte, um noch etwas Kräfte für das Kommende zu sammeln. Sie alle wussten, dass es bald soweit war. Ob Morgan bis dahin zurück gekehrt war oder nicht, beeinflusste sie nicht. Auch nicht, ob er mit zwei weiteren oder nur mit Chloe kam. So grausam es war, aber sie durften sich jetzt nicht aufhalten lassen. Sie waren auch nicht aufgebrochen um Lauren zu suchen und das aus genau den selben Gründen. Klar war – sobald der Sprengkörper fertig war, würden sie loslegen. Sie würden den Palast in die Luft fliegen lassen.
„Geht' s dir gut?", fragte Adam und betrachtete sie von der Seite. Sie zerschnitt einen halben Pfirsich und bot ihm schulterzuckend etwas an. Er nahm ihr Gabel und Messer ab, legte beides auf die Ablage und griff nach ihren Händen.
„Was ist los?" Sie atmete tief durch, wirkte angespannt und irgendwie unruhig.
„Ich traue den beiden nicht." Adam wusste sofort, von wem sie sprach.
„Meinst du sie machen was falsch?", fragte er, doch sie schüttelte energisch den Kopf, verschränkte ihre Finger mit seinen.
„Das meine ich nicht. Keine Ahnung, ob die das ordentlich machen. Aber die sind so verdammt entspannt bei allem."
„Na ist doch super. Besser als wenn sie die ganze Zeit versuchen würden zu fliehen oder flennen würden", versuchte Adam die Situation aufzulockern und stahl Hailey auch ein winziges Lächeln.
„Als ich in den Orden gekommen und mit Mar in einem Zimmer aufgewacht bin, hatte ich so eine Angst, dass ich mir fast in die Hosen gemacht hätte. Dabei hat mir da noch nicht mal jemand befohlen, 'ne Bombe zu bauen und mich bedroht." Ihre Augen flitzten zwischen seinen hin und her. Er hielt dem Stand. „Verstehst du? Wie können die so scheiße relaxed sein?" Adam öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen, um sie zu beruhigen und ihr auszureden, was sie sich da gerade ausmalte, aber ehrlich gesagt, kam ihm die Situation langsam selbst komisch vor. Ohne etwas erwidert zu haben, ging er mit ihr an der Hand ins Wohnzimmer, beobachtete die Szene und sah sie dann schulterzuckend an.
„Also entweder die sind extrem cool oder sie wissen, dass sie nichts zu befürchten haben", raunte er ihr dann ins Ohr.

DU LIEST GERADE
Die Soldatin
FantasyMisstrauisch blickte Mar aus dem Fenster. Ihr Atem schlug an das kalte Glas. Ruckartig zog sie die Vorhänge zu. „Okay, pass auf. Ich erzähle es dir einmal und dann nie wieder, verstanden?“ Hailey nickte. „Wir wurden her gebracht um zu kämpfen.“ Verw...